Aktuelle Debatte Beteiligung – Hammecke: Beteiligung stärkt die Demokratie und das Vertrauen in die repräsentativen Institutionen

Redebeitrag der Abgeordneten Lucie Hammecke (BÜNDNISGRÜNE) zur Zweiten Aktuellen Debatte der Fraktion BÜNDNISGRÜNE zum Thema: „Sachsen mitgestalten – Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern im Freistaat stärken und leben“
71. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 31.05.2023, TOP 3

– Es gilt das gesprochene Wort –

 

Sehr geehrter Herr Präsident,
werte Abgeordnete,

„Sachsen mitgestalten – Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern im Freistaat stärken und leben“ – unter diesem Titel haben wir als BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN heute die Aktuelle Debatte angemeldet. Und eigentlich könnte ich jetzt sagen: Check. Sieht gut aus. Hier ist die Koalition in den vergangenen vier Jahren wirklich ziemlich große Schritte gegangen: Mehr Geld zur Verfügung gestellt, neue Förderrichtlinie geschaffen, im Parlament tätig geworden und die Kommunalrechtsnovelle inklusive den Ermöglichungen von Bürgerbeteiligungssatzungen sowie das Transparenzgesetz als Voraussetzung für wirksame Beteiligung verabschiedet.

Und das muss ich nichtmal einfach nur behaupten – als Teil der Regierungskoalition. Das kann ich quasi zitieren vom gestrigen Parlamentarischen Abend des Fachbeirats Bürger*innen-Beteiligung.

Da wurde von einer „beispielgebenden“ neuen Förderrichtlinie gesprochen, von einem „dicken Lob“, Sachsen sei auf dem richtigen Weg. Es wurde debattiert, über das Forum Corona, als erstem landesweiten Bürger*innen-Rat im Freistaat, über die Richtlinie zur Beteiligung und das Erfahrungsnetzwerks. Aber anstatt, dass ich jetzt in der ersten Runde in Ruhe erkläre, was alles gemacht wurde, möchte ich gerne die Frage nach dem WARUM beantworten.

Weshalb haben wir als Haushaltsgesetzgeber mehr als 9 Millionen Euro in die Bürger*innen-Beteiligung gesteckt, hat das SMJusDEG Ressourcen genutzt, um Kommunen und Zivilgesellschaft zu beraten und zu begleiten auf dem Weg hin zu einem Mehr an Beteiligung? Einer Beteiligung an unserer Demokratie, die mehr ist, als alle paar Jahre ein, zwei (oder in der Kommunalwahl auch eine Vielzahl von) Kreuz(en) zu machen.

Weshalb findet Bürger*innen-Beteiligung über so viele verschiedene politische Lager so große Zustimmung, dass sich in den sächsischen Netzwerken ehemalige Ministerpräsident*innen finden, oder der ehemalige Bundestagspräsident Schäuble sich von seiner eigenen Fraktion distanziert, um für die Durchführung von Bürger*innen-
Räten zu plädieren?

Dafür gibt es mehr als nur einen guten Grund. Und auf diese möchte ich gerne eingehen.

Einer, der zumindest mich sehr überzeugt, ist eigentlich ganz simpel: Bürger*innen-Beteiligung – davon bin ich überzeugt – macht Entscheidungen besser. So wie wir auf das Wissen von Sachverständigen in unseren Anhörungen zählen, so sollten wir auch – vor allem in konkreten Planungen – auf „das Wissen der Vielen“ zählen. In der festen Überzeugung, dass gute, dass breite Beteiligung Entscheidungen qualifiziert, dass
Blickwinkel gehört werden und lokale Besonderheiten beachtet werden, die ansonsten vielleicht hinten runtergefallen wären.

Gerade auf lokaler Ebene kann Beteiligung dazu beitragen, die Gefahr von Fehlplanungen, Verzögerungen und Protesten zu verringern.

Als BÜNDNISGRÜNE sind wir davon überzeugt, dass viele Menschen viele gute Ideen für die Zukunft Sachsens haben. Deshalb wollen wir ihnen die Chance geben, Politik auch zwischen den Wahlen aktiv mitzugestalten.

Punkt 2 schließt eigentlich sehr gut an den ersten an: Beteiligung sorgt für mehr Akzeptanz. Im Konkreten heißt das, dass eine gute und frühzeitige Beteiligung die Konfliktlinien, die ohnehin existieren, frühzeitig offen gelegt werden – und so einen guten, einen dialogischen und konsensorientierten Austausch über verschiedene, auch konkurrierende Interessen ermöglicht. Es zeigt sich: Je früher Menschen beteiligt werden, also informiert werden und auch mitbestimmen können – desto konstruktiver kann mit den konkreten Interessenskonflikten umgegangen werden.

Im Abstrakten schafft gut gemachte Beteiligung eine ganz andere Art von Akzeptanz: Bürgerbeteiligung stärkt die Demokratie und das Vertrauen in die repräsentativen Institutionen. Denn Bürgerbeteiligung verändert das Bewusstsein für politische Prozesse beim Einzelnen – auch über das konkrete Projekt und über einen längeren Zeitraum hinaus. Eine Studie der Bertelsmann Stiftung hat gezeigt, dass
Teilnehmer*innen von Beteiligungen ein positiveres Bild unserer Demokratie als Ganzes haben.

Punkt 3: Breite, gut gemachte Beteiligung schafft es, auch diejenigen anzusprechen, die sich bisher vielleicht eher wenig für bestimmte Angelegenheiten interessiert haben. Hier bieten natürlich gerade Bürger*innen-Räte mit zufällig gelosten Teilnehmer*innen eine gute Möglichkeit, aber sind nicht die einzigen Instrumente. Beteiligung, die es schafft, sehr lokal und mit verschiedenen, zielgruppengerechten Ansprachen arbeitend die Meinung der Bürger*innen einzuholen, die ansonsten sich nicht zu einem Themenfeld oder auf einer bestimmten politischen Ebene zu engagieren – diese Beteiligung zeichnet ein viel vielfältigeres und damit auch ein
viel repräsentativeres Bild der Meinung der Bevölkerung.

Punkt 4: Ist ein Punkt, der mich besonders im Bereich Kinder und Jugendbeteiligung umtreibt. Denn Beteiligung schafft eine Identifikation mit Städten, mit Dörfern, mit dem konkreten Lebensumfeld von Menschen. Wenn Kinder ihre
Lebensrealität mitbestimmen, dann entwickeln sie nicht nur ein Verständnis für politische Prozesse und das Funktionieren unserer Demokratie – sondern fühlen sich ernst genommen, machen Selbstwirksamkeitserfahrungen und positive Erlebnisse und binden sich so auch ein Stück an ihr Zuhause – und Städte und Regionen bleiben so attraktiv.

Punkt 5 ist ein sehr simpler: Menschen wollen beteiligt werden. Der Sachsen Monitor zeigt es, der Wunsch nach mehr Beteiligung ist hoch. Am höchsten im Konkreten vor Ort in der Stadt und Gemeinde. Aber über alle politischen Ebenen hinweg bis zur Europäischen Union wollen eine Mehrheit der Sächs*innen sich mehr beteiligen.

Sehr geehrter Präsident,
werte Abgeordnete,

ich bin in der ersten Runde fast lapidar darauf eingegangen, was im Freistaat Sachsen eigentlich alles passiert ist, im Bereich Bürger*innen-Beteiligung. Dazu möchte ich jetzt gerne nochmal kurz ausholen – denn es ist wirklich wirklich einiges losgegangen. Und auch meine Aufzählung hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Wir haben zwei starke Förderprogramme, die ganz unterschiedlich an das Thema Bürger*innenbeteiligung herangehen und die mit insgesamt neun Millionen Euro ausgestattet sind:

Mit der Richtlinie „Orte der Demokratie“ werden „Orte“ gefördert, bei denen konkrete Fragen und Herausforderungen im Zusammenleben vor Ort demokratisch ausgehandelt und konstruktiv gestaltet werden können. Alle, die wollen, sollen mitreden und mitgestalten können.

Aktuell sind 13 Projekte am Start und der Bedarf ist steigend, die nächste Ausschreibung lief bereits. Dabei sind Projekte so vielfältig, wie es die sächsischen Regionen sind. Von ‚Pödelwitz hat Zukunft‘ bis zur ‚Brigitte-Reimann-Bibliothek‘ in Hoyerswerda.

Mit der Förderrichtlinie Bürgerbeteiligung werden Vorhaben der Kommunen und zivilgesellschaftlicher Träger zur Beteiligung und Einbindung der Bürger*innen in politische Entscheidungsprozesse gefördert.

Im Januar wurde der 3. Förderaufruf gestartet und auch hier ist die Nachfrage enorm groß. Das Besondere ist eben die Breite der Förderrichtlinie, die auch gestern bei besagtem parlamentarischen Abend auf große Zustimmung stieß. Beispielhaft sei hier die „Bürgerkommune“ Brandis genannt mit dem Jugendrat „Auf LOS geht’s los“. Dieser fand im Herbst 2022 statt und ich habe mal in den Abschlussbericht reingeschaut: Was wollen die Jugendlichen? Sie wollen mitreden, wenn es ums Geld geht, zum Beispiel über Jugendbudgets oder über die Digitalisierung an Schulen (Erfahrung Corona wichtig), aber auch Anpassung von Schulzeiten und Busfahrplänen oder eine Kantine an jeder Schule (S. 11).

Es wurde ein Beratungsnetzwerk geschaffen, damit keine Kommune und kein Träger immer wieder von vorne und alleine mit guten Ideen startet und so alles doppelt erfunden werden muss. Stattdessen können Best-Practice-Beispiele ausgetauscht werden! Seit Mitte 2022 gibt es das Erfahrungs- und Beratungsnetzwerk und es unterstützt förderinteressierte Kommunen und Initiativen dabei, sächsische Bürger*innen besser in
Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Und das Interesse vor Ort ist groß! Am 08. Dezember fand das zweite Netzwerktreffen mit mehr als 140 Teilnehmenden statt!

Ein externer Fachbeirat unterstützt bei der Bewertung der eingegangenen Anträge, eben jener Fachbeirat, der gestern unter Schirmherrschaft der Thüringer Ministerpräsidentin a.D. Christine Lieberknecht (CDU) auch zum parlamentarischen Abend eingeladen hatte – und von dem alle Fraktionen gestern etwas gelernt hätten, wenn sie gekommen wären.

Wir haben den einzelnen Fachressorts im Doppelhaushalt Mittel für Beteiligung zur Verfügung gestellt. Sei es im Staatsministerium für Regionalentwicklung für die Kinder- und Jugendbeteiligung im Strukturwandel oder im Sozialministerium.

Ich bin aber der festen Überzeugung – und das bin by the way auch nicht nur ich – sondern ebenso die Expert*innen aus dem Fachbeirat Bürger*innen-Beteiligung ebenso wie die Sachverständigen zur Anhörung im letzten Rechtsausschuss: Das, was es jetzt braucht, ist eine Gesamtstrategie für die Bürger*innen-Beteiligung im Freistaat
Sachsen. Denn wir alle profitieren davon. Nicht nur unsere Demokratie im Abstrakten und Großen. Sondern wir alle auch im Kleinen. Mit jeder Entscheidung, die ein kleines bisschen besser gemacht wurde, sei es im Verkehr oder in welchem Bereich auch immer.

Und deshalb machen wir das Ganze. Weil wir davon überzeugt sind, dass es wirklich für alle Sächsinnen und Sachsen nur gewinnbringend sein kann.

Vielen Dank.