Datum: 21. Mai 2025

Aktuelle Debatte Erinnerungskultur – Maicher: Diese Kürzungen sind geschichtsvergessen

Redebeitrag der Abgeordneten Dr. Claudia Maicher (BÜNDNISGRÜNE) zur Zweiten Aktuellen Debatte auf Antrag der Fraktion BÜNDNISGRÜNE: „Als gäbe es kein Gestern und kein Morgen – wer bei Gedenkstätten kürzt, gefährdet eine wachsame Demokratie.“

13. Sitzung des 8. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 20.05.2025, TOP 6

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

wir sind in den laufenden Haushaltsberatungen alle mit vielen Zahlen und Details beschäftigt. Jeder Politikbereich hat seine Sorgen, wo das Geld an dringendsten gebraucht wird. Dabei dürfen wir aber nicht aus dem Blick verlieren, was um uns herum in der Gesellschaft passiert und worauf es besonders ankommt.

Die Demokratie steht am Scheideweg. Anders kann man es nicht mehr sagen. Die offene Gesellschaft wird angegriffen wie nie in 80 Jahren seit Kriegsende und Befreiung Europas vom Nationalsozialismus, seit der friedlichen Revolution.

Wenn morgen Menschen- und Freiheitsrechte noch intakt sein sollen, müssen wir heute diese Werte verteidigen.

Deshalb ist es richtig, am 8. Mai zu mahnen. Ministerpräsident Kretschmer sprach von der Verantwortung, die historische Wahrheit weiterzugeben. Aus der Koalition hieß es, Demokratie sei keine Selbstverständlichkeit. Das historische Bewusstsein sei wachzuhalten.
Daraus sollte man schließen, dass die Menschen und Organisationen gestärkt werden, die genau das machen.

Wieso verschont dann aber dieselbe Regierung nicht einmal Gedenkstätten und historisch-politische Bildungsarbeit von Kürzungen? Wieso stellen sich die Fraktionen von CDU und SPD tatenlos dahinter? Wie passt Ihr Reden und Ihr Handeln zusammen? In welchem Sachsen leben Sie eigentlich?

Schauen wir auf die aktuellen Berichte: Gewalt gegen Zugewanderte und Andersdenkende wie in den 90ern, Nazi-Jugendgruppen trauen sich wieder was, Christopher Street Days werden militant bekämpft, terrorbereite Aktivisten fühlen sich pudelwohl unter dem Schirm der AfD. Und wenn sich ein Landrat mit Neonazis in Szene setzt, fördert das deren Normalisierung.

Das tiefsitzende Problem ist die rassistische und hassgeprägte Grundhaltung in einem Teil der Gesellschaft. Menschenfeindlichkeit droht normal zu werden in öffentlichen Räumen, in Schulen. Es ist eben nicht bloß Provokation, wenn Görlitzer Schüler in Auschwitz rechtsextreme Gesten zeigen. Das ist ein zunehmender Geschichtsrevisionismus, ein gelebtes Vergessen und Umdeuten, das in Familien, Nachbarschaft und Institutionen immer weniger Widerspruch erfährt.

Gegen diese Tendenzen helfen nicht allein Flaggen, Kränze und symbolische Bekenntnisse. Da hilft nur alltägliches Dagegenhalten, mit Fakten und Werten.

Aber die Staatsregierung schwächt genau die gesellschaftlichen Ressourcen, die einen wichtige Funktion für dieses Dagegenhalten haben. Sie schränkt die Fördertätigkeit der Gedenkstättenstiftung ein, schwächt die Arbeitsfähigkeit der Fachstelle NS-Erinnerungsarbeit und sagt den Aufbau der KZ Gedenkstätte Sachsenburg ab. Ein ähnliches Bild bei den Orten der Demokratie, den Integrativen Maßnahmen, der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus usw.

Dieser Haushaltsentwurf ist sowohl geschichtsvergessen als auch zukunftsvergessen, ein blindes Sparen, als gäbe es kein Gestern und kein Morgen!

Von der Koalition kommt dazu nur ein Schulterzucken. Von der SPD sind wir das schon gewohnt. Sie findet immer alles Mögliche wichtig, wenn es aber drauf ankommt, dann lässt sie die Akteure hängen. Deshalb stand schon im letzten Doppelhaushalt die Verstetigung der Fachstelle NS-Aufarbeitung auf dem Spiel. So war es auch bei der vorläufigen Haushaltsführung, die die Erinnerungskultur gerade massiv einschränkt. Jetzt winken sie diese Kürzungen mit durch. Draußen versprechen Sie zwar überall, Lösungen zu finden, gleichzeitig bleiben Sie im Landtag tatenlos, oder habe ich Vorschläge von Ihnen dazu übersehen?

Ich bin mir nicht sicher, ob CDU und SPD verstanden haben, wie verheerend schon das Signal an Beschäftigte und Engagierte ist: Eure Arbeit ist letztlich verzichtbar. Damit treiben sie die Leute in Gedenkstätten und Demokratiearbeit zum Verzweifeln und zum Aufgeben. Und das in dieser gesellschaftlichen Situation?

Die Kürzungen dürfen auch deshalb nicht so stehen bleiben, weil sie eine lähmende Resignation ausstrahlen. Die Verwaltung von Resignation ist aber nicht das, was eine Demokratie im Verteidigungs-Modus braucht!

Wir müssen Zuversicht in diesem Land schaffen. Die Zuversicht, dass wir einen Rückfall in Diktatur und Barbarei verhindern. Weil wir nicht nur Gedenkrituale pflegen, sondern eine kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit im Spiegel der Gegenwart fördern.

Wir brauchen einen Konsens der demokratischen Kräfte in dieser Frage, dafür werbe ich, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bitte Sie deshalb, überdenken Sie ihren Handlungsspielraum, damit die Erinnerungskultur nicht geschwächt wird.

Sehr geehrter Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen,
die Koalition tut so, als sei alles halb so schlimm. Warum erreichen uns dann so viele Notrufe? Die Konsequenzen der Kürzungen liegen offen auf dem Tisch. Gehen wir doch ins Detail:

Richtig bitter ist der Haushaltsentwurf für die Gedenkstättenstiftung. Nach Jahren des Entwicklungsstaus liegt seit vergangenem Jahr das Entwicklungskonzept vor. Es zeigt einen klaren Pfad auf, was die Stiftung braucht, um ihren Auftrag zeitgemäß zu erfüllen, sich zu öffnen, junge Menschen zu erreichen. Das haben wir demokratischen Fraktionen immer gefordert.

Aber die Staatsregierung geht in die entgegengesetzte Richtung. Eine halbe Million Euro weniger in 2025 und in 2026 Mittel auf dem Niveau von 2024. Weil die Personalkosten steigen, ist ein stabiler Mittelansatz faktisch eine Kürzung. Die stiftungseigenen Gedenkstätten wie die Gedenkstätte Bautzen oder der Erinnerungsort Torgau müssten Besucherdienste und Öffnungszeiten einschränken, zusätzliche Bildungsangebote wären noch weniger umsetzbar.

Die Förderung der Gedenkstätten in freier Trägerschaft, wie z.B. die Gedenkstätte für Zwangsarbeit in Leipzig oder der Lern- und Gedenkort Kaßberg-Gefängnis in Chemnitz, würde um 20 oder gar 30 Prozent sinken. Das bedeutet Insolvenz oder Personalabbau.

Die Förderung von Projekten würde praktisch zum Erliegen kommen. Audiowalks zur NS-Zwangsarbeit, Aufarbeitung an den Orten ehemaliger KZ-Außenlager oder Veranstaltungen wie „Stasi-Knast und Ostseeflucht“ finden dann nicht mehr statt. Das wäre katastrophal für eine lebendige historisch-politische Bildung vor allem auch im ländlichen Raum.

Als wäre das nicht radikal genug, soll auch die Fachstelle NS-Erinnerungsarbeit ein Drittel weniger Mittel erhalten. Das würde Beratung, Weiterbildung, Vernetzung und Drittmitteleinwerbung vom Bund und Stiftungen drastisch einschränken.

Wenn Sie, verehrte Staatsministerin Klepsch, von einer verlässlichen Förderung ausgehen, dann ist das allenfalls eine verlässliche Unterfinanzierung. Ich glaube Ihnen zwar, dass Ihnen die Gedenkstätten nicht egal sind, zumal Sie als Stiftungsratsvorsitzende eine besondere Verantwortung tragen. Es bleibt im Ergebnis aber gleich: Wenn das „Anti-Kreditaufnahme-Dogma“ in der sächsischen CDU weiterhin das Schicksal dieses Landes bestimmen sollte, dann geraten landesweit aufgebaute Strukturen ins Rutschen.

Der Konsolidierungsentwurf ist nicht alternativlos. Das hat nur die Minderheitskoalition bisher mit sich so ausgemacht. Es gibt eine Alternative, das zeigen wir BÜNDNISGRÜNE mit unserem Deckungskonzept.

Mit unseren Änderungsanträgen wollen wir Kürzungen verhindern und eine verlässliche Perspektive für das Erinnern schaffen. Deshalb wollen wir der Stiftung und der Fachstelle auch zusätzliche Mittel geben, um Kostensteigerungen auszugleichen. Für die Stiftung fordern wir zudem als ersten Schritt zur Umsetzung des Entwicklungskonzeptes mehr Mittel für die gewachsenen Verwaltungsaufgaben und die Gedenkstättenpädagogik. Denn Gedenkstätten sind keine Läuterungsanstalten, die man zwei Stunden besichtigt und dann klappt es wieder mit der Demokratie. Das reicht nicht. Wir brauchen eine Weiterentwicklung als Lernorte und mehr Kooperation mit Bildungseinrichtungen.

Wenn es nur nach unseren „Wünschen“ ginge, sähen unsere Änderungsanträge anders aus. Dann käme die Stiftung einen Schritt weiter auf ihrem Entwicklungspfad und die Fachstelle könnte besser auf die landesweiten Bedarfe eingehen. Wir haben eher pragmatische Änderungen vorgeschlagen, zu denen man eigentlich INNERHALB einer Koalition fähig sein sollte. Damit plädieren wir für einen breiten Konsens, die Demokratiestütze Erinnerungskultur wenigstens instand zu halten.

Wir wollen selbstverständlich auch den Aufbau der KZ-Gedenkstätte Sachsenburg retten. Nach so viel Durchhalten der Initiativen vor Ort, so vielen Ausgaben des Freistaates zur Vorbereitung, nachdem die Kommune anpackt, der Bund mitfördert und die Stiftung die Gedenkstätte in ihre Trägerschaft aufnehmen will, war diese Leerstelle im Regierungsentwurf ein Schock. Für uns steht fest, dass der Aufbau nicht ins Ungewisse verschoben werden darf.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die finanzielle Sicherung ist auch eine Voraussetzung für Resilienz gegenüber Demokratiefeinden. Der Druck auf die Erinnerungskultur, die sich aus sich selbst heraus für Menschwürde einsetzt, steigt.

Lassen Sie uns nicht noch denen helfen, die eine „erinnerungspolitische Wende um 180-Grad“ anstreben. Halten wir zusammen dagegen.