Aktuelle Debatte Handwerk – Liebscher: Handwerkliche Berufe sind Grundlage der nachhaltigen Gestaltung unserer Gesellschaft

Redebeitrag des Abgeordneten Gerhard Liebscher (BÜNDNISGRÜNE) zur Aktuellen Debatte auf Antrag der CDU-Fraktion zum Thema: „Handwerk hat auch in Zukunft goldenen Boden – aktuelle Probleme konsequent angehen: Fachkräftebedarf, Rohstoffknappheit, Bürokratieabbau“
53. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 13.07.2022, TOP 2

– Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrte Frau Präsidentin,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,

das Handwerk hat goldenen Boden – und eine grüne Zukunft! Es sind die Handwerkerinnen und Handwerker, die die großen Pläne unserer Zeit umsetzen: ob das regionale Wirtschaften oder die Fortführung kultureller Tradition, die Umsetzung energetischer Sanierung oder die Integration internationaler Arbeitskräfte.

Aktuell sind die Auftragsbücher gefüllt. Angesichts der Angebotskrise von Rohstoffen sieht man sich vom Bau und Bäcker bis Textilhandwerk mit Preissteigerungen und Unsicherheiten beim Abschluss von Verträgen konfrontiert. Oftmals federn Unternehmen selbst die Preissteigerung ab. Bei Aufträgen der Landesregierung wird seit Frühjahr daher in Umsetzung des Bundeserlasses bereits eine Stoff-Preisgleitklausel bei geeigneten Verträgen angewandt.

Als BÜNDNISGRÜNE sehen wir in der aktuellen Angebotskrise die dringende Notwendigkeit, die Kreislaufführung unserer Rohstoffe zu intensivieren. Es gibt gerade in Sachsen herausragende Beispiele der Recyclingkunst des Handwerks, wertvollste Materialien mechanisch zu recyclen und so mit geringem Energieaufwand Rohstoffe wiederzugewinnen. Auch als Bauherr muss der Freistaat die Recyclingwirtschaft im Bau gezielt anregen. Das Handwerk ist dabei ein wichtiger Partner, um die Produkte an den heutigen Stand der Technik anzupassen.

Viele Unternehmen rechnen künftig mit rückläufigen Aufträgen infolge der Preissteigerungen. Hier müssen wir auch als Freistaat sorgfältig darauf achten, dass die Angebotskrise nicht zur Nachfragekrise wird. Die Staatsfinanzen brauchen in diesen Zeiten ausreichend Spielraum zur Investition!

Werte Damen und Herren,

der Schuh drückt auch im Bereich der Fachkräfte-Sicherung. Der riesige Generationenwechsel, der bei weit über 7.000 Unternehmen in Sachsen ansteht, erfordert neue Lösungen. Handwerkliche Berufe müssen gesellschaftlich die Wertschätzung erhalten, die ihrer Verantwortung für die nachhaltige Gestaltung der Gesellschaft entspricht.

Der Wahlspruch „Goldner Boden – Grüne Zukunft“ stammt nicht von mir – das ist der Name einer Kampagne der Handwerkskammer Koblenz, von Ausstellungen und Bildungsinitiativen, die ich Ihnen ans Herzen legen möchte. Ich würde mich freuen, ein analoges Angebot mit der Handwerkskammer auch hier Sachsen ins Leben zu rufen.

Über die Kampagnenarbeit hinaus sehen wir aber handfesten Handlungsbedarf: So ist ein faires Gehalt für Auszubildende die Grundlage für attraktive Angebote. Die Zahlung von Mindestlohn und Orientierung an Tarifverträgen ist daher auch in die öffentliche Vergabepraxis aufzunehmen. Das ist ein großes Schritt für das Handwerk, das möchte ich ausdrücklich anerkennen. Aber die Zahlungsbereitschaft auch von Auftraggeber-Seite braucht es, um jungen Menschen eine Perspektive zu bieten!

In vielen Bundesländern wird derzeit diskutiert, die Kosten des Meisterbriefs staatlich zu übernehmen. Nun ist der Haushalt kein Wunschkonzert. Aber ich möchte mich gern für dieses Ziel aussprechen und bei entsprechender Haushaltslage darauf drängen, das Angebot der kostenfreien Ausbildung auch im Handwerk umzusetzen.

Um besonders Frauen den Schritt ins Handwerk und damit in die eigene Selbstständigkeit zu ermöglichen, sind die Rahmenbedingungen anzupassen. Die Familienfreundlichkeit ist ein bekanntes Problem. Ich unterstütze daher ausdrücklich die Forderung der Petition Handwerker*innen (von Handwerksgrün) „#Meine Werkstatt bleibt!“ für eine Reform des Mutterschutzes und für die Einrichtung einer Betriebshilfe, wie es sie in der Landwirtschaft gibt.

Um schlussendlich Lebenslanges Lernen auch im Handwerk zu ermöglichen, fordern wir die Einführung einer Bildungsfreistellungsgesetzes, auch für Handwerkerinnen und Handwerker. Gern lässt sich über die Ausgestaltung debattieren. Doch die Einführung ist notwendig: Einmal um im Ländervergleich mitzuhalten und zweitens, um auch in Sachsen regelmäßige Weiterbildungsmöglichkeiten zu sichern.

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,

der Entbürokratisierung möchte ich meine zweite Rederunde widmen. Wir haben die Zahlen deutlich vor Augen: In Sachsen sind wir fast bei der Vollbeschäftigung angekommen. Für wirklichen Aufwuchs von Fachkräften ist eine Unterstützung aus dem Ausland unabdingbar.

Wir fordern als BÜNSDNISGRÜNE daher, die Blue Card auf nicht-akademische Berufe auszuweiten. Das langwierige, bürokratische Ringen um die Berufsanerkennung im Rahmen des Fachkräfte-Einwanderungsgesetz ist durch Fristensetzung für Anerkennungsstellen zu begrenzen. Aus BÜNDNISGRÜNER Sicht ist die verlängerte West-Balkanregelung komplett zu entfristen und auf weitere Herkunftsländer auszuweiten, für die ebenfalls eine Vergleichbarkeit der Berufsabschlüsse gegeben ist.

Sehen Sie, denn insbesondere aus dem Handwerk, der Gastronomie und dem Baugewerbe besteht eine hohe Nachfrage nach der Anwendung dieser Regelung. Als BÜNDNISGRÜNE wollen wir diesen Prozess in sensibler Abstimmung mit Herkunftsländern flankieren, um „Brain-Drain“ zu vermeiden.

Durch das Chancenaufenthaltsrecht der Bundesregierung wurde vergangene Woche ein weiterer wichtiger Schritt vollzogen. Die jahrelange Duldung integrierter Menschen wird in eine Aufenthaltserlaubnis umgewandelt. Damit werden – wie schon mit Ausbildungs- und Beschäftigungsduldung – Bedingungen geschaffen, dass auch hier bereits in Sachsen lebende Menschen, die Chance erhalten, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.

Das, meine Damen und Herren, sind die bürokratischen Hürden, die unsere Fachkräfte-Situation belasten!

Vielen Dank.