Aktuelle Debatte Lebenshaltungskosten – Čagalj Sejdi: Wir müssen Bürger*innen gezielt unterstützen und Armut mildern
Redebeitrag der Abgeordneten Petra Čagalj Sejdi (BÜNDNISGRÜNE) zur Dritten Aktuellen Debatte auf Antrag der Fraktion DIE LINKE: „Zum Leben zu wenig … – steigende Preise und Lebenshaltungskosten ausgleichen: Höhere Löhne und armutsfeste Sozialleistungen. Jetzt!“
50. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 05.05.2022, TOP 1
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Präsident,
meine Damen und Herren,
ja, wir müssen auf die steigenden Preise und Lebenshaltungskosten reagieren. Wir müssen Menschen in Armut finanziell unterstützen und Armutsrisiken durch gezielte Entlastungen aller Bürger*innen mildern.
Wenn man gerade so das Nötigste zum Leben hat, dann ist es schwer, wenn Preise für Lebensmittel und Lebenshaltungskosten steigen, das Einkommen aber gleich bleibt. Leider gibt es immer noch zu viele Menschen in Deutschland, die in Armut leben müssen. Es sind zum Beispiel viele Alleinerziehende, kinderreiche Familien, Rentner*innen oder Zugewanderte, die dies betrifft. Und es ist natürlich unsere Pflicht, die Menschen im Blick zu haben und ihnen in der Not zu helfen. Doch ist sowohl die Steigerung von Löhnen als auch die Steigerung von Sozialhilfe eine Entscheidung, die auf Bundesebene getroffen werden muss.
Das Bundeskabinett hat vergangene Woche ein umfassendes Entlastungspaket auf den Weg gebracht. Das umfasst:
- für jedes Kind ergänzend zum Kindergeld einen Einmalbonus von 100 Euro ab Juli
- weitere 100 Euro für Empfänger und Empfängerinnen von Sozialleistungen zusätzlich zu den schon in einem Corona-Hilfe-Paket versprochenen 100 Euro
- eine Energiepreispauschale in Höhe von 300 Euro für alle Bürger*innen, die mit der Einkommenssteuer verrechnet wird.
Darüber hinaus:
- entfällt die EEG-Umlage auf den Strompreis ab dem 1. Juli
- gibt es einen Kindersofortzuschlag von 20 Euro ab 1. Juli bis zur Einführung der Kindergrundsicherung
- bekommen Wohngeldbezieher*innen, Studierende und Auszubildende einen Heizkostenzuschuss von bis zu 270 Euro im Sommer (sobald die Betriebskostenabrechnungen ins Haus flattern)
- werden Arbeitnehmer*innen durch einen Grundfreibetrag und Arbeitnehmerpauschalbetrag steuerlich entlastet
- gibt es eine höhere Pendlerpauschale
- wird der Mindestlohn zum 1. Juli auf 10,45 steigen und zum 1. Oktober auf 12 Euro
- schafft das 9-Euro-Ticket für 90 Tage einen Zugang zum öffentlichen Nahverkehr – so günstig wie noch nie in Deutschland. Davon profitieren auch viele Kinder in den Sommerferien.
- wird die Energiesteuer auf Benzin auf das europäische Mindestmaß abgesenkt
- werden Unternehmen z.B. durch die Verlängerung der Kurzarbeiterregelung unterstützt
- profitieren Rentner*innen mit wenig Rente oder in Grundsicherung ebenso von den vielfältigen Maßnahmen. Auch für sie werden das Tanken oder Bus und Bahn etwas günstiger. Zudem gibt es eine leichte Rentenerhöhung zum 1. Juli.
Ich zähle diese Maßnahmen hier so auf, weil es zeigt, wie schnell und umfassend Bundespolitik in der Kürze der Zeit reagiert hat. Und das sollte bei aller Kritik im Detail zumindest zur Kenntnis genommen werden.
Nun, die Kritik der Sozialverbände, dass diese Hilfen nicht ausreichend und nicht zielgenau sind, kann ich persönlich nachvollziehen. Wir müssen Menschen wirklich aus der Armut bringen. Deshalb:
- arbeiten wir mit Hochdruck an der Kindergrundsicherung.
- haben wir ein Sanktionsmoratorium bei Hartz IV-Empfänger*innen in Kraft gesetzt. Das heißt es werden keine Sanktionen unter das Existenzminimum mehr verhängt.
- soll im nächsten Schritt das neue Bürgergeld eingeführt werden, um Hartz IV endlich zu überwinden. Es wird die größte sozialpolitische Reform seit der Agenda 2010.
- soll der Mindestlohn bereits zum 1. Oktober auf zwölf Euro pro Stunde steigen.
Um sich das alles leisten zu können, sollten die Steuern auf sehr hohe Einkommen und Vermögen angehoben werden, wie jüngst auch wieder eine DIW-Studie bekräftigte.
Doch der Ruf nach der Bundespolitik ist nicht ausreichend. Die Frage muss auch lauten: Was kann Sachsen tun?
Wir müssen die Beratungsstrukturen ausbauen, niedrigschwellig gestalten und dabei die gesamte Gesellschaft in den Blick nehmen. Dafür brauchen wir vertrauensvolle Partner*innen, denen die Bürger*innen vertrauen. Denn Armut ist in unserer Gesellschaft oft mit Scham belegt.
Wir müssen beraten, bevor die Probleme über den Kopf wachsen, die momentanen Ängste ernst nehmen und so informieren, dass energiesparendes Verhalten gefördert wird. Wir können in Sachsen leider nicht an der Preisschraube drehen, aber wir können dafür sorgen, dass die Menschen wissen, was auf sie zukommt und dabei helfen, den Verbrauch zu senken und Energieeffizienz zu steigern.
Ein sehr gutes Beispiel dafür ist das „Osterpaket“ der sächsischen Landesenergieagentur SAENA gemeinsam mit der Verbraucherschutzzentrale Sachsen, das allen Mieter*innen und Hauseigentümer*innen praktische Hilfe für kurz- und mittelfristige Energieeinsparungen gibt – online, direkt und bei Bedarf auch telefonisch.
Zusätzlich müssen wir die soziale Schuldnerberatung und Verbraucherinsolvenzberatung stärken, damit Betroffene eine Überschuldungskrise bewältigen können.
Zielgruppen angepasste Beratung und flächendeckende Beratungsangebote sind das, was wir in Sachsen leisten können und wie wir als Land Menschen vor und in Armut helfen können. Das müssen wir unterstützen, das müssen wir ausbauen.