Aktuelle Debatte Mindestlohn − Zais: Ein Mindestlohn nur auf dem Papier ist nicht akzeptabel!

Redebeitrag der Abgeordneten Petra Zais zur Aktuellen Debatte der Fraktion DIE LINKE zum Thema:
"Für einen Mindestlohn, der vor Armut schützt – jetzt handeln, Herr Dulig", 7. November, TOP 5

– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrte Frau Präsidentin,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

zunächst sollte man klarstellen: Es ist ein Verdienst der SPD in Regierung, den Mindestlohn als gesetzliche Untergrenze mit ordnungspolitischer Funktion eingeführt zu haben. Letzteres insbesondere mit Blick auf die Begrenzung des unfairen Wettbewerbs und Lohndumpings in nicht wenigen Bereichen der Wirtschaft. Millionen Menschen haben davon profitiert und die prognostizierten Unternehmenszusammenbrüche sind nicht eingetreten. Das ist gut.

Gleichzeitig war die Festsetzung des Ausgangswertes auf das europaweit betrachtet niedrige Niveau von 8,50 Euro ein Fehler, denn dieser Stundenlohn schützt nicht vor Armut – nicht im Berufsleben und schon gar nicht bei der Rente.

Der Blick auf Sachsen zeigt:

2017 verdienten 6,4 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern (131.000 Menschen) nur 60 Prozent des Durchschnittslohnes oder weniger. Trotz lang anhaltender, guter Konjunktur sind diese Menschen armutsgefährdet, der Aufschwung kommt bei ihnen nicht an.

Das ist die Kritik, die auch bei der SPD bleibt. Und sie ist berechtigt: Denn wer sich der Diktion der Arbeitgeberverbände und Lobbyisten de facto beugt und der These von niedrigen Löhnen als Standortfaktor nicht ausreichend Widerstand entgegensetz, muss sich heute – zu Recht! – zu wenig entschlossenes Handeln vorwerfen lassen. Heute suchen in Sachsen eine Reihe von Branchen händeringend Arbeitskräfte. In Chemnitz schränken die ersten Gaststätten ihre Öffnungszeiten ein. Nicht der Mindestlohn macht der Wirtschaft Probleme – die Wirtschaft bekommt heute dort Probleme, wo sie nicht ausreichend attraktive Arbeitsbedingungen bietet.  

Nun hat die SPD das Dilemma erkannt und ihr Vize Olaf Scholz prescht mit der Forderung nach 12 Euro bis zum Jahr 2020 vor und Hubertus Heil will künftig ein neues Verfahren zur Mindestlohnfestsetzung entwickeln. Das halten wir GRÜNE für falsch, auch wenn wir die Forderung eines höheren Mindestlohns unterstützen.  

Die Einführung des Mindestlohns war Aufgabe der Politik; die Erhöhung des Mindestlohns ist Sache der Sozialpartner und der Wissenschaft. Deshalb stehen wir GRÜNE ohne Wenn und Aber zur Mindestlohnkommission.

Statt die Kommission zu schwächen muss sie gestärkt werden. Dazu gehört, ihre Entscheidungsbefugnis auszuweiten. Die Höhe des Mindestlohns darf sich künftig nicht mehr alleine an der Tarifentwicklung orientieren und im Gesetz muss der Schutz vor Armut als Zielsetzung zwingend verankert werden. Die Mindestlohnkommission braucht mehr Freiheit und größeren Ermessensspielraum, damit der Mindestlohn über die Tarifentwicklung hinaus steigen kann.

Weiterer Handlungsbedarf besteht wie folgt:
1. Ausnahmen (z.B. für Langzeitarbeitslose) und Schlupflöcher müssen gestrichen werden.
2. Mehr Personal für Finanzkontrolle im Bereich Schwarzarbeit.
3. Die 1,8 Millionen Beschäftigten, die einen Anspruch auf Mindestlohn haben, bekamen – laut einer Studie des DIW Berlin aus 2017 – weniger (Mini Jobberinnen und Jobber/kleine Firmen).
Berücksichtigt man auch Erwerbstätige ohne Anspruch auf den Mindestlohn, wie Selbständige, verdienten im Jahr 2016 insgesamt etwa 4,4 Millionen Menschen in Deutschland weniger als 8,50 Euro brutto pro Stunde. Wird der tatsächliche Stundenlohn der Arbeitnehmerinnen betrachtet, also auf Basis der tatsächlichen statt der vertraglichen Arbeitszeit gerechnet, steigt die Zahl derjenigen, die weniger als den Mindestlohn bekommen von 1,8 auf 2,6 Millionen Personen an.

Ein Mindestlohn nur auf dem Papier ist nicht akzeptabel!