Aktuelle Debatte Mindestlohn – Liebscher: Wir müssen in Sachsen alle staatlichen Hebel aktivieren, um Tarifbindung zu stärken

Redebeitrag des Abgeordneten Gerhard Liebscher (BÜNDNISGRÜNE) zur Ersten Aktuellen Debatte der Fraktion SPD zum Thema: „Gute Arbeit für Sachsen: Tariflöhne für Fachkräfte, 12 Euro Mindestlohn aus Respekt.“
51. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 01.06.2022, TOP 2

– Es gilt das gesprochene Wort

 

Sehr geehrter Herr Präsident,
segr geehrte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete,

nach der Arbeit noch zum Zweitjob: Das ist heute die Lebensrealität vieler Sächsinnen und Sachsen. Wir sprechen von über 90.000 Menschen – Menschen, denen ein Job allein nicht mehr zum Leben reicht. Mehrfachbeschäftigte, die 50, 60 und mehr Stunden die Woche für ihren Lebensunterhalt schuften. Aufgrund der sinkenden Tarifbindung drohen hierzulande niedrige Lohnschichten abgehängt zu werden.

In einem breiten Bündnis aus Gewerkschaften und Parteien haben auch wir BÜNDNISGRÜNE daher Jahrzehnte lang für die Einführung des Mindestlohns gekämpft. 2014 wurde er endlich ins Leben gerufen.

2022, acht Jahre später, wird mit Beschluss der Ampel, die Untergrenze des Mindestlohns auf zwölf Euro angehoben. Damit wird eine Lohn-Untergrenze gesetzt, die vor Armut schützt!

Und auch heute erzählen die Gegner des Mindestlohns denselben Unfug wie vor acht Jahren! Dabei haben sich alle Befürchtungen als unbegründet herausgestellt: Weder hat der Mindestlohn den Wettbewerb in Deutschland in den vergangenen Jahren negativ beeinflusst, noch führte er zu einer Bedrohung einzelner Branchen.

Im Gegenteil: Mit Einführung des Mindestlohns haben vier Millionen Beschäftigte unmittelbar profitiert. Insbesondere im Osten stärkt der Mindestlohn die Kaufkraft: 20,7 Prozent der ostdeutschen Beschäftigten haben dank Mindestlohn mehr in der Tasche. In der sächsischen Gastronomie bedeutete das bisweilen einen Lohnzuwachs von über 20 Prozent.

Aber, meine Damen und Herren,

Wir BÜNDNISGRÜNE sagen: Nein, eine reine Erfolgstory war der Mindestlohn bisher nicht! Warum sagen wir das?

Der Mindestlohn war zu niedrig. Denn wir sind 2015 zu niedrig gestartet. Ohne die heutige politische Korrektur des Mindestlohns reichte vielen Arbeitnehmenden der Lohn nicht zum Leben. Drohten Zweitjob und Überlastung, drohte Altersarmut.

Wir BÜNDNISGRÜNE fordern deshalb von jeher einen Lohn, der vor Armut schützt und Existenzen absichert. Und: Wir fordern, die Mindestlohnkommission mit dem nötigen Werkzeug auszustatten, diese Lohnuntergrenze zu setzen!

Die Anhebung des Mindestlohns zum 01. Oktober 2022 auf zwölf Euro die Stunde bedeutet eine Lohnsteigerung für 6,5 Millionen Menschen. Eine wichtige Errungenschaft und schlichtweg eine Frage der Gerechtigkeit.

Das ist eine Basis, auf der wir reden können. Und von diesem Punkt aus muss aus grüner Sicht der Mindestlohn weiter ansteigen.

Werte Damen und Herren,

was bedeutet das für die Arbeit der Mindestlohnkommission? Selbstverständlich, sagen wir, muss sie ihre Rolle weiterhin wahrnehmen! Die Kommission genießt breites Vertrauen. Die Festlegung des Mindestlohns soll bei den Sozialpartnern bleiben. Doch offenbar fehlen dort die Instrumente, um einen Arbeitslohn zu garantieren, der vor Armut sichert!

Schauen wir dafür ins Mindestlohngesetz. Das liefert uns – im Begründungstext – die wertvolle Zielsetzung: Die Mindestlohnhöhe muss zu einem „angemessenen Mindestschutz der Arbeitsnehmerinnen und Arbeitnehmer“ beitragen.

Ein einheitlicher Mindestlohn soll Lohndumping verhindern. Staatliche Transferleistungen für Arbeitnehmende sollen nicht nötig sein.

Wir BÜNDNISGRÜNE sagen weiterhin: Um dieses Ziel zu erreichen, müssen sowohl die Mindestlohnkommission als auch die Umsetzung des Mindestlohnes reformiert werden:

  • Die nachziehende Kopplung des Mindestlohns an die Tarifentwicklung muss abgeschafft werden und das eigentliche Ziel, der Schutz vor Armut, muss als wichtigste Voraussetzung gesetzlich verankert werden.
  • Wir BÜNDNISGRÜNE setzen uns weiter dafür ein, Ausnahmeregelungen beim Mindestlohn zu beenden.
  • Wir setzen uns weiterhin für ein branchenspezifisches Mindesthonorar ein, um auch Soloselbstständige und Kleinstunternehmer*innen zu erreichen.
  • Und letztendlich ist jedes Gesetz immer nur so wirkungsvoll wie die Durchsetzung. Daher fordern wir die Ausweitung von Kontrollen und den Kampf gegen Betrug, durch höheres Bußgeld und den Ausschluss von öffentlichen Vergabeverfahren bei Missachtung.

Sehr geehrte Damen und Herren,

geringe Stundenlöhne betreffen überdurchschnittlich häufig Beschäftigte in Ostdeutschland. Betroffen sind insbesondere Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund. Betroffen sind geringfügig Beschäftigte und Beschäftigte ohne Tarifbindung.

Das können wir nicht zulassen, das können wir uns nicht leisten!

Ein wichtiger Schritt ist getan, aber die Anhebung des Mindestlohns allein sichert noch keine gleichwertigen Lebensverhältnisse. Wir müssen auch hier, unmittelbar in Sachsen, tätig werden und alle staatlichen Hebel aktivieren, um Tarifbindung zu stärken.

Was wir tun können, ist die Vergabe öffentlicher Aufträge an Tarifbindung koppeln. Dafür wollen wir in diesem Jahr ein modernes Vergabegesetz verabschieden, das klare Anreize für Unternehmen setzt: Nur wer fair zahlt, macht künftig Geschäfte mit dem Staat.

Was wir noch tun können, ist die Tarifbindung von landeseigenen Unternehmen anzuschieben. Dafür muss Schluss sein mit der elenden Entenklemmerei.

Wir wollen in Sachsen einen handlungsfähigen Landeshaushalt aufstellen. Das erfordert Tilgungsfristen, die Luft lassen für politisches Gestalten.

Sparzwang, zum Prinzip erhoben, lässt unser gesellschaftliches Fundament erodieren. Wir stehen hier für bewusstes Wirtschaften, für die Angleichung der Lebensverhältnisse und für die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts!

Vielen Dank!