Aktuelle Debatte neue Bundesregierung – Schubert: Menschen erwarten, dass das Land gestaltet wird
Redebeitrag der Abgeordneten Franziska Schubert (BÜNDNISGRÜNE) zur Ersten Aktuellen Debatte auf Antrag der Fraktion SPD: „Impulse für Zusammenhalt, Generationengerechtigkeit und ostdeutsche Perspektiven: Was Sachsen von der neuen Bundesregierung erwartet.“
13. Sitzung des 8. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 20.05.2025, TOP 6
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
meine Damen und Herren,
die SPD hat diese Aktuelle Debatte unter das Motto gestellt: „Impulse für Zusammenhalt, Generationengerechtigkeit und ostdeutsche Perspektiven.“
Ein schwergewichtiger Titel. Klar – wir brauchen Impulse. Was wir derzeit stattdessen hören aus Berlin, mutet nach Rückkehr zu einem Politikstil an, der vorgibt, es ginge allein um Leistung, als würden Menschen durch bloßes Anstrengen ihre Lebensrealität verbessern können – egal, ob in Görlitz oder in Gelsenkirchen.
1. Was man wohl erwarten darf – von einem Kanzler Friedrich Merz
„Leistung muss sich wieder lohnen“ – das sagt Friedrich Merz. Immer wieder. Aber was meint er eigentlich damit?
Wenn wir genauer hinschauen, dann ist klar: Gemeint ist nicht die Pflegekraft, die Doppelschichten schiebt – sondern der Spitzenverdiener, der sich über Vermögens- und Erbschaftssteuer aufregt. Gemeint ist nicht die alleinerziehende Mutter, die nachts im Supermarkt Regale einräumt – sondern der Mann im Anzug, der findet, das Land sei zu weich geworden. Gemeint ist nicht der Mensch mit Behinderung, der für Teilhabe und Barrierefreiheit kämpft.
Mit Friedrich Merz und seinen Mannen ist ungesund viel toxische Männlichkeit in die Bundespolitik zurückgekehrt – so dass ich davon ausgehe, wie wenig er den Blick für das haben wird, was an politischen Aufgaben ansteht.
Ein Friedrich Merz wird nicht die strukturelle Benachteiligung ostdeutscher Regionen bekämpfen. Er wird nicht den Strukturwandel sozial gestalten, sondern mit alten Rezepten neue Gräben ziehen: Markt vor Mensch. Macht vor Verantwortung. Und wer dann nicht mithalten kann – der hat eben „nicht genug geleistet“.
„Leistung muss sich wieder lohnen“, das heißt bei CDU/CSU eher: Du kannst Millionen an Steuergeldern für Maskendeals verschleudern, daran mitverdienen – und dann Fraktionsvorsitzender im Bundestag werden.
Wer das unter „Leistung“ versteht, meint nicht die Pflegekraft, nicht die Grundschullehrerin, nicht den Busfahrer. Der meint sein Netzwerk. Und seine Privilegien.
Wir sagen: Echte Leistung findet auf den Stationen statt, in den Klassenzimmern, auf den Feldern, im Ehrenamt – und genau dort muss sie sich endlich lohnen. Nicht an der Börse. Nicht im Hinterzimmer. Und nicht auf dem Rücken der Allgemeinheit.
2. Was die Bürger:innen tatsächlich erwarten dürfen – wenn Politik Verantwortung ernst nimmt
Was Menschen in Sachsen – was Menschen im ganzen Land – wirklich erwarten, ist Verlässlichkeit. Respekt. Redlichkeit. Und das Arbeiten an echten Aufgaben.
Das heißt zum Beispiel konkret:
Weibliche Care-Arbeit endlich als das anerkennen, was sie ist: harte Arbeit, systemrelevant, und verdammt schlecht bezahlt. Leistung, Herr Merz, ist auch, wenn Frauen unbezahlt Angehörige pflegen.
Geburtshilfe flächendeckend erhalten – damit Frauen echte Wahlfreiheit und Sicherheit haben, wenn sie ihr Kind zur Welt bringen.
Die Energiewende als das zentrale Infrastrukturprojekt des 21. Jahrhunderts begreifen – mit dem Netzausbau, mit Speichern, mit Windkraft und Solar, der Senkung von Netzentgelten für Ostdeutschland.
Demokratie aktiv schützen, gerade jetzt, wo rechte Netzwerke systematisch versuchen, Vertrauen zu zerstören. Rechtsextremismus ist kein ostdeutsches Regionalproblem – und das muss ein Kanzler klar benennen und systematisch angehen wollen.
Migration als Realität gestalten, nicht als Dauerskandal inszenieren – mit Integrationspolitik, die funktioniert, statt mit Symboldebatten. Mit der Unterstützung der Kommunen, die sie benötigen, um den sozialen Frieden zu wahren.
3. Die ostdeutsche Realität: Mehr als Standort – es geht um Struktur
Ich komme aus der Oberlausitz. Mich haben die 1990er Jahre so krass geprägt, diese heftige Anstrengung in den Familien, nicht unterzugehen, in der neuen Zeit klarzukommen. Was sie nicht brauchen, 35 Jahre nach der Wende, sind Politiker, die ihnen erzählen, sie müssten sich einfach nur mehr anstrengen. Das ist ein Zynismus, der die Lebensrealitäten vieler Menschen ignoriert.
Was sie stattdessen brauchen, sind:
- verlässliche Rahmenbedingungen,
- beste Bildung in modernen Kitas und Schulen,
- echte Aufstiegschancen für alle,
- stabile Gesundheitsversorgung vor Ort.
Wir wollen, dass gleiche Arbeit auch gleiche Anerkennung bekommt – egal, ob in Leipzig oder Liebertwolkwitz. Egal, ob Frau oder Mann. Mit dem Respekt vor Lebenswegen, die nicht linear verlaufen.
4. Generationengerechtigkeit
Generationengerechtigkeit ist mehr als die schwarze Null. Es ist die Frage: Auf wessen Kosten leben wir heute? Wie leben wir morgen? Was hinterlassen wir?
Ohne wirksamen Klimaschutz wird es keine Zukunft geben, die lebenswert ist. Ohne Investitionen in Bildung, Infrastruktur und soziale Gerechtigkeit verspielen wir die Stabilität unserer Gesellschaft. Und ohne eine sozial-ökologische Transformation werden die Jungen zu Recht sagen: Ihr habt uns betrogen.
5. Und jetzt – Zusammenhalt.
Wenn wir über Zusammenhalt reden, dann reden wir auch über politischen Stil. Wir brauchen eine Renaissance des Anstands im politischen Miteinander demokratischer Kräfte. Die Menschen spüren, ob Politik ihnen zuhört – oder ob über sie hinweggeredet wird.
Ich wünsche mir, dass mit diesem Land nicht so umgegangen wird, als könne man es verwalten wie eine Firma. Sondern dass es gestaltet wird – an den Aufgaben orientiert, zeitgemäß. Das ist das Mindeste, woran sich die neue Bundesregierung wird messen lassen müssen.