Aktuelle Debatte Sozialstaat stärken – Liebscher: Soziale Sicherungssysteme dringend solidarisch umbauen

Redebeitrag des Abgeordneten Gerhard Liebscher (BÜNDNISGRÜNE) zur Zweiten Aktuellen Debatte der Fraktion SPD: „Sicherheit im Wandel: Beschäftigte mit kleinen und mittleren Einkommen schützen – den Sozialstaat stärken“
49. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 04.05.2022, TOP 4

– Es gilt das gesprochene Wort

 

Sehr geehrter Herr Präsident,
werte Damen und Herren Abgeordnete,

nach zwei von der Pandemie gezeichneten Jahren konnten wir am vergangenen Sonntag zur 1. Mai-Kundgebung unser Augenmerk auf neue Themen legen.

Allerding ist die Beklommenheit, die uns in diesem Jahr verbindet, eine andere: Die liberale Demokratie Europas ist durch den aggressiven Angriffskrieg Russlands von außen und durch Lügengebäude rechtsnationaler Kader von innen bedroht.

Ich bin die Bilder von Nazi-Aufmärschen am 1. Mai leid und werde diese hier nicht reproduzieren. Ich ermuntere stattdessen alle hier anwesenden Demokratinnen und Demokraten, unsere demokratische Mehrheit sichtbar zu machen: Sachsen hat ein buntes Bild in den Abendnachrichten verdient, tragen wir es auf die Straße!

Werte Kolleginnen und Kollegen,

der russische Angriffskrieg bedeutet eine Ruptur in unserem Wirtschaftsgefüge, das haben wir heute Morgen ausführlich besprochen. Die wirtschaftspolitischen Auswirkungen des externen fossilen Preisschocks treffen in Sachsen, wie in ganz Europa, auf eine Gesellschaft mit pandemiegeschwächter Grundkonstitution: In der Pandemie verstärkte sich die soziale Ungleichheit. Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen, ohne Tarifbindung und ohne Sozialversicherung traf die Pandemie finanziell am härtesten.

Maßnahmen wie das Kurzarbeiter*innengeld konnten dramatischere Entwicklungen erfolgreich verhindern. Dennoch stieg die Armut bundesweit laut des Berichtes des paritätischen Gesamtverbandes an. Betroffen sind durch die Pandemie vermehrt auch Selbstständige. Überproportional oft trifft die Armut Alleinerziehende, Arbeitslose, Menschen mit Migrationsbiografie und auch Ostdeutsche. Denn viele Menschen dieser sozialen Gruppen leben von Anstellungen in prekären Arbeitsverhältnissen. Über ein Drittel der von Armut betroffenen Menschen sind arm trotz Erwerbstätigkeit.

Lohnunterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland finden sich auch unter sozialversicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmenden. In weiten Teilen Sachsens sind mehr als 30 Prozent der Erwerbstätigen der Gruppe des unteren Entgeltbereichs zuzuordnen.

Werte Damen und Herren,

mit der aktuell steigenden Inflation sind erneut niedrige Einkommen stärker belastet, da diese keine Möglichkeit haben, auf Rücklagen zurückzugreifen. Für viele Menschen bedeutet „Zeitenwende“, jeden Euro vor dem Einkauf zweimal umzudrehen.

Die Antwort muss daher sein, zielgerichtet die niedrigen Einkommen zu schützen. Die gezielte Unterstützung durch die Bundesregierung kann jedoch keinen vollen Inflationsausgleich leisten. Löhne müssen entsprechend steigen, um die Kaufkraft der Bürgerinnen und Bürger zu stabilisieren. Tarifgebundene Arbeitsverhältnisse geben den Beschäftigten planerische Sicherheit.

Sehr geehrter Herr Präsident,
werte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete,

die Politik hat nach Vorstellung der genannten Zahlen und der außen- wie auch innenpolitischen Bedrohungen durch Feinde der Demokratie die dringende Verantwortung, einen sozialen Ausgleich herbeizuführen, um Härten abzufedern und sozialer Spaltung vorzubeugen.

Soziale Sicherungssysteme sind dringend solidarisch umzubauen. Die Vorhaben der Ampel im Bereich der Kindergrundsicherung sind schnellstmöglich umzusetzen.

Auch steuerpolitisch müssen wir solidarische Antworten entwickeln, um notwendige Investitionen zu tätigen und Ungleichheiten auszutarieren. Die Besteuerung besonders hoher Vermögen ist eine Option, die erneut auf den Tisch muss. Die Pandemie verstärkte auch in Deutschland die Vermögenskonzentration. Während die Wirtschaft pandemiebedingt global einbrach, erweiterten die Superreichen ihre Vermögen auf einhundert Milliarden Euro, was 2020 laut DIW drei Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung entsprach.

Eine Besteuerung besonders hoher Einkommen wäre nach BÜNDNISGRÜNER Position zu koppeln an Ausgaben im Bildungsbereich und käme damit direkt dem Abbau sozialer Spreizung zugute.