Aktuelle Debatte Stärkung Zivilgesellschaft – Lippmann: Es braucht eine Förderung all jener, die sich tagtäglich für unsere Demokratie einsetzen
Redebeitrag des Abgeordneten Valentin Lippmann (BÜNDNISGRÜNE) zur Ersten Aktuellen Debatte auf Antrag der Fraktion DIE LINKE zum Thema: „Von Pegida-Aufmärschen bis zu Corona-Protesten: Sachsen durch CDU-geführte Staatsregierung nicht zum ‚Land der Verharmloser‘ machen lassen – zivilgesellschaftliche Bündnisse für Solidarität in der Krise unterstützen!““
42. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 22.12.2021, TOP 1
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
wer in einem Abstand von fünf Jahren auf Sachsen schaut, der könnte sich zu Recht die Frage stellen, ob unser Bundesland sich in einer Art staatlichen Variante von „Täglich grüßt das Murmeltier“ befindet.
Zu sehr gleichen sich die Angriffe auf die Werte unserer Demokratie und unseres Miteinanders. Und zu sehr ähneln sich gesellschaftliche Risse wie vermeintliche Diskurse. Der Unterschied ist nur der Anlass. War es 2015/16 der Kampf einer radikalisierten Minderheit gegen eine humanitäre Flüchtlingspolitik, ist es nun der Widerstand nahezu identischer Teile der Gesellschaft gegen eine vermeintliche Corona-Diktatur.
Wir sehen hier die gleichen Radikalisierungsmechanismen. Aus Hass auf der Straße und im Netz entstanden rechtsextreme Netzwerke und Terrorgruppen. Vom widerwärtigen Hass der Pegida-Demos war es nur ein kleiner Schritt zu einem Anschlag auf eine Moschee. Und so ist es heute auch nur ein kleiner Schritt vom gegenseitigen Aufstacheln gegen die Demokratie auf Corona-Demos oder in Social-Media- Beiträgen der AfD hin zu Mordplänen gegen den Ministerpräsidenten.
Es ist ganz klar: Die geistigen und verbalen Brandstifter von damals sind die Gleichen. Es sind die AfD und ihre demokratiefeindlichen Vorfeldorganisationen auf der Straße und im Netz.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
nachdem wir gestern über die Rolle der Sicherheitsbehörden bei der Bewältigung der schwersten Bedrohung unserer Demokratie seit langem debattiert haben, versuchen wir uns heute der Antwort zu nähern, wie wir nicht nur Symptome bekämpfen, sondern unsere Demokratie resistent machen können gegen die permanenten Angriffe auf ihre Werte.
Dazu gilt es zunächst schmerzvoll zu konstatieren: Es sind die gleiche Fehler wie im Umgang mit Pegida und Co. gemacht worden. Viel zu viele Verantwortungsträger haben viel zu lange viel zu vielen lautstarken, ja brüllenden, Minderheiten zugehört und ihnen das Gefühl gegeben, das Geschehen dominieren zu können – anstatt sich mit denen zu solidarisieren, die sich tagtäglich bis zur Grenze der Aufopferung für Demokratie einsetzen.
Es ist eindeutig sichtbar: Der wertefreie Dauerdialog ist als Mittel gegen die Radikalisierung gescheitert. Und ja, es gilt zu konstatieren: Er hat das Problem verstärkt, weil es jenen, die lautstark gegen die Demokratie agitierten, erneut das Gefühl gab, gehört zu werden. Und, noch fataler, jenen Teilen einer demokratischen Zivilgesellschaft mal wieder das Gefühl gab, ignoriert zu werden.
Spätestens mit Blick auf die Radikalisierung in den vergangenen Wochen ist es notwendig, endlich umzusteuern: Wir müssen konsequent und uneingeschränkt diejenigen stärken, die sich Rechtsextremen und Demokratiefeinden widersetzen, auf der Straße wie im Netz. Davon gibt es unglaublich viele, auch in Sachsen. Und diese Menschen würden sich wünschen, dass die Verantwortlichen in Sachsen nicht erst einmal in jedem Interview Verständnis für Gegner der Corona-Maßnahmen äußern, sondern sich mal klar bei der Zivilgesellschaft bedanken.
Und es ist an der Politik und ihren Entscheidungsträgern, Haltung zu zeigen, klare Grenzen zu ziehen und Rechtsextremisten als solche zu benennen und ihren Zielen deutlich zu widersprechen.
Wir brauchen endlich ein Verständnis, dass Zivilgesellschaft nicht der Rettungsanker des Staates ist, sondern das Fundament unseres Zusammenlebens. Es muss aufhören, dass immer nur dann nach Zivilgesellschaft gerufen wird, wenn der Karren im Dreck steckt. Vielmehr ist eine kontinuierliche Stärkung durch bessere Rahmenbedingungen notwendig.
Das heißt auch, dass es eben nicht angehen kann, dass die Polizei in vergangen den Wochen zwar regelmäßig Corona-Leugner laufen ließ, aber gleichzeitig den zivilgesellschaftlichen Protest dagegen teils gewaltsam zur Seite räumte.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
wir brauchen eine starke finanzielle und politische Förderung all jener, die sich tagtäglich für Demokratie einsetzen, im Kleinen wie im Großen, die Werte vermitteln und die großartige Idee von Freiheit und Menschlichkeit leben. Dafür sind wir BÜNDNISGRÜNE mit in diese Koalition eingetreten und dafür werden wir auch weiter kämpfen.
Das gestern vom Kabinett beschlossene Gesamtkonzept gegen Rechtsextremismus, das unter breiter Beteiligung der Zivilgesellschaft erarbeitet wurde, ist ein Beispiel, wie ein Paradigmenwechsel aussehen kann. Wir brauchen mehr davon.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
im Film „täglich grüßt das Murmeltier“ endet die Zeitschleife, als sich der Protagonist verliebt. Hoffentlich endet die Zeitschleife hier eines Tages durch eine klare und uneingeschränkte Liebenserklärung des Freistaates an seine Zivilgesellschaft.
Vielen Dank!