Redebeitrag der Abgeordneten Petra Čagalj Sejdi (BÜNDNISGRÜNE) zur Aktuellen Debatte auf Antrag der Fraktion DIE LINKE: „‚Wär‘ ich nicht arm, wärst du nicht reich‘ – Das Leben für alle bezahlbar machen, anstatt Kampagnen gegen die Ärmsten zu führen!“
63. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Freitag, 16.12.2022, TOP 1
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Präsident, meine Damen und Herren,
unsere Lebenslage, unsere Lebensumstände bestimmen, ob wir in Armut aufwachsen und ob wir aus der Armut herauskommen werden. Armut ist leider auch in einem so reichen Land wie Deutschland an der Tagesordnung und aus diesen Gründen braucht bei der Armutsbekämpfung ein ganz generelles Umdenken.
Wir haben das gestern auch schon bei der Debatte über Kinderarmut hier im Landtag diskutiert.
Die Ampel-Regierung blickt der Armut ins Gesicht und stößt weitreichende Reformen an, die es in den vergangenen Jahren so nicht gab. Darin ist durchaus ein Prozess der Selbstkritik und Reflektion erkennbar. Kindergrundsicherung, Bürgergeld, Sanktionsmoratorium bei Hartz IV-Bezieher*innen, vielfältige Entlastungen in der Energiekrise – das zeigt, wir wollen und können handeln. Nur leider, und das hat auch die Entscheidung im Bundesrat zum Bürgergeld gezeigt, haben noch nicht alle politischen Entscheidungsträger in unserem Land erkannt, dass es diesen Richtungswechsel braucht, um Menschen aus der Armut zu holen.
Wir müssen das System Hartz IV hinter uns lassen, denn es hilft den Menschen, die schon länger auf Grundsicherung angewiesen sind nicht. Es hilft ihnen nicht, aus der Arbeitslosigkeit herauszukommen und bietet zu wenig, um wirklich neue Lebens- und Jobperspektive zu finden. Es nährt nur die Angst vor Abstieg, in Krisenzeiten und einer sich stark verändernden Arbeitswelt.
Das Bürgergeld der Ampel-Koalition war im Ursprung als eine der größten Sozialreformen der letzten 20 Jahre gedacht. Es sollte ein Paradigmenwechsel werden.
Jetzt haben wir einen Kompromiss, der von der CDU per Blockade im Bundesrat erzwungen wurde. Es ist ein Kompromiss, der weit weg liegt von dem, was die Ampel sich auf Bundesebene vorgenommen hatte. Aber es ist eine Einigung, zu der wir BÜNDNISGRÜNE stehen. Im Übrigen auch Thüringen unter Regierungsbeteiligung der Linksfraktion.
Die Debatte zum Bürgergeld von Seiten der CDU war kaum auszuhalten. Sie war geprägt von einem pauschalen, tiefen Misstrauen gegenüber Menschen, die auf ALG II angewiesen sind. Sie waren im Kern auf Populismus und Stimmungsmache ausgelegt und bekräftigten Vorurteile über arbeitslose und arme Menschen. Es schüttelt mich, wenn ich höre, wie über Menschen in Not als Nutznießer gewettert wird. Menschen, die oft am Rande des Existenzminimums leben müssen. Das erinnert mich an längst vergangene Zeiten, in die wir ganz bestimmt nicht mehr zurückkommen sollten.
Nahezu grotesk waren die Übertreibung von Unionspolitikern. CDU-Vorsitzender Friedrich Merz polemisierte, dass sich durch das Bürgergeld Arbeit nicht mehr lohne. Michael Kretschmer legte nach und behauptete, so wie das Ganze konstruiert sei, sei es leistungsfeindlich und schaffe falsche Anreize und sei deswegen am Ende unsozial. Es sei „der endgültige Abschied von der Leistungsgesellschaft“, es „entwerte die Leistungsbereitschaft“.
Bei allem inhaltlichen Streit und berechtigten gegensätzlichen politischen Grundüberzeugungen finde ich, diese Debatte ist der CDU entgleist. Und ich frage mich, wie sie hier in Sachsen bei den Menschen wirklich ankommt. Mich haben dazu durchaus mehrere Bürgerbriefe erreicht. Darin geht es um die besonders niedrigen Löhne in Sachsen, die oft dazu führen, dass Beschäftigte trotz Arbeit mit Hartz IV aufstocken müssen. Wir haben in Sachsen besonders wenig Vermögen und Rücklagen und damit verbunden größere Abstiegsängste. Die Debatte um geringere Vermögensgrenzen geht bei vielen Menschen hier voll an der Lebensrealität vorbei.
Ich weiß nicht, ob die Herren, die sich diesermaßen über das Bügergeld ausgelassen haben, jemals im ALGII-Bezug waren – ob sie überhaupt wissen, wie es sich anfühlt, am Existenzminimum zu leben. Wie es ist,
- wenn man nichts hat und einem dann auch noch unterstellt wird, man würde das bisschen, was man bekommt, zu Unrecht bekommen.
- wenn man dadurch psychisch krank wird und keinen Sinn mehr in seinem Leben sieht, aber dennoch Kinder hat, für die man da sein muss und die man versorgen muss.
- wenn man als Kind Eltern erleben muss, die keine Möglichkeit mehr sehen, aus der Armut herauszukommen.
Armut ist eine Abwärtsspirale und Hartz IV konnte diese Spirale nicht aufhalten. Das Bürgergeld könnte es, wenn es sich grundsätzlich von Hartz IV unterscheidet und einen Neuanfang bringt.
Es geht im Kern darum, ob wir Betroffenen in dieser Lebenssituation auf Augenhöhe und mit Respekt begegnen, ob wir sie verstehen, ob wir bereit sind, die Perspektive zu wechseln und die eigene privilegierte Brille abzusetzen.
Der neue Geist, den das Bürgergeld atmen sollte, wurde von der CDU verhindert. Die Vertrauenszeit ohne Sanktionen durch das Jobcenter ist weggefallen. Die Karenzzeit für Schonvermögen wurde auf ein Jahr reduziert. Und das geschützte Vermögen verringert. Unterm Strich stehen aber massive Verbesserungen zur früheren Rechtslage.
Und dennoch fehlt mir die Fantasie, wie die CDU Sachsen diese Zugeständnisse als Erfolg verkaufen will. In einem Bundesland mit sehr geringer Tarifbindung, geringen Löhnen, hoher Arbeitskräfte-Abwanderung und einer zunehmenden Altersarmut.
Die CDU kritisiert, es müsse sich „lohnen zu arbeiten“. Ja, das sollte es, aber das darf im Umkehrschluss nicht bedeuten, dass soziale Leistungen niedrig bleiben und dass Arbeitslose, Geringverdienerinnen und andere arme Menschen abgewertet werden. Es muss bedeuten, dass Arbeitsbedingungen, Gehälter und Löhne sich verbessern, damit alle Menschen gut leben können.