Annekathrin Giegengack: Auf den Anfang kommt es an. GRÜNE befürworten den Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz
Redebeitrag der Abgeordneten Anekathrin Giegengack zum Antrag "Nein zum Betreuungsgeld – Ja zum Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz!", 55. Sitzung des Sächsischen Landtages, 9. Mai 2012, TOP 9
– Es gilt das gesprochene Wort –
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Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident!
Herr Krauß, Sie haben den Eindruck erwecken wollen, die CDU stehe für ein Sowohl-als-auch. Ich kann das nicht erkennen. Mit großer Aufmerksamkeit habe ich das Interview von Herrn Flath in der Freien Presse vom 4.5. gelesen.
Es wurde eine Frage zum Betreuungsgeld gestellt. Neben vielen Ausführungen hat Herr Flath wörtlich gesagt:
„Dass Unternehmen qualifizierte Frauen schnell in das Berufsleben zurückholen wollen, liegt nahe. Ich kann auch das Interesse der Frau an einer nicht allzu langen Unterbrechung des Arbeitslebens verstehen. Aber gibt es nicht auch noch ein Interesse des Kindes?“
Nun von den Kindern unter drei Jahren in Sachsen besuchen fast 38% eine Kita, mehr als 5% eine Kindertagespflege. Bereits von den Zweijährigen sind mehr als 75% in einer Kindertagesbetreuung und damit erheblich mehr als im Bundesdurchschnitt (gut 43%).
Auch wenn Herr Flath so etwas sagt, kann ich mir nicht vorstellen, dass er allen Ernstes der Meinung ist, dass dreiviertel aller Väter und Mütter von Kleinkindern in unserem Land die Interessen ihrer Kinder missachten und ihnen Geborgenheit und Zuwendung vorenthalten.
Ich finde, das ist ein ziemlich harter Vorwurf, den ich auch persönlich zurückweisen möchte. Ich lasse mir von Ihnen nicht unterstellen, dass ich die Interessen meines Kindes missachtet hätte, weil ich mein Kind – ein Einzelkind – mit einem Jahr halbtags in die Krippe gebracht habe.
Ich weiße diesen Vorwurf auch im Namen aller pädagogischen Fachkräfte zurück, die in den Einrichtungen der frühkindlichen Bildung tätig sind. Ich bitte jeden, sich mit Pädagogik im frühen Kindesalter auseinanderzusetzen, bevor er solche Aussagen trifft. Das gebetsmühlenartige Abstellen auf Bindungstheorien ist eindimensional und ermüdend.
Ich möchte auf das Betreuungsgeld in den nordischen Ländern eingehen; es ist schon angesprochen worden. In der Tat hat Norwegen seit 1998 das Betreuungsgeld; es umfasst circa 10 Prozent des durchschnittlichen Monatslohnes. Die große Mehrheit der Leistungsempfänger in allen nordischen Ländern Mütter mit geringem Einkommen, niedrigem Bildungsniveau oder Migrationshintergrund. Das sin d diejenigen – wir haben schon mehrere Theorien gehört -, bei denen es besonders empfehlenswert ist, dass die Kinder eine Kindertageseinrichtung besuchen.
Insgesamt hat das Betreuungsgeld eine sehr negative Auswirkung auf den Beschäftigungsgrad der Frauen, Auch deswegen ist die Inanspruchnahme des Betreuungsgeldes rapide zurückgegangen. Norwegen hat die Konsequenz gezogen und schafft es zum 1. August dieses Jahres ab. Angesichts dessen frage ich mich, warum wir nicht diese Erfahrungen der skandinavischen Länder wahrnehmen können, damit wir nicht die gleichen Fehler bei uns machen.
Ich möchte einen dritten Punkt ansprechen: Ab 2013 besteht ein Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz. Auch einige Kommunen in Sachsen werden Probleme haben, genügend Betreuungsplätze zur Verfügung zu stellen. Aus diesem Grund unterstützen wir die Forderung der Linksfraktion, dieses Geld – man redet von circa 2 Mrd. Euro, um die es da geht – eher in den Ausbau der frühkindlichen Bildung zu stecken, nicht nur, damit Mütter und Väter tatsächlich eine Wahlfreiheit haben, in Bezug auf die Betreuung ihres Kindes, sondern auch aus einem weiteren Grund.
Ich verweise hierzu auf die Bertelsmann Studie: „Volkswirtschaftlicher Nutzen von frühkindlicher Bildung in Deutschland – Eine ökonomische Bewertung langfristiger Bildungseffekte bei Krippenkindern“. Hier wird der Einfluss des Besuchs frühkindlicher Bildungs- und Betreuungseinrichtungen auf den späteren Schulbesuch untersucht. Und die Autoren kommen zu dem Ergebnis:
Dass sich für den Durchschnitt aller Kinder die Wahrscheinlichkeit, später ein Gymnasium zu besuchen, mit dem Krippenbesuch von 36 auf 50 Prozent erhöht. Diese Verbesserung der langfristigen Bildungschancen durch einen Krippenbesuch fällt bei den Kindern mit Migrationshintergrund und Eltern mit geringem Bildungsabschluss noch höher aus. Von diesen Kindern gehen später zwei Drittel mehr aufs Gymnasium, wenn sie eine Krippe besucht haben. Wie es unser ehemaliger Bildungsminister immer gesagt hat: Auf den Anfang kommt es an. Das sehen wir auch so und unterstützen deshalb den Antrag der Linksfraktion.