Annekathrin Giegengack: Bundeswehr in der Schule – Informationsrecht der Eltern regeln, Teilnahme der Kinder frei stellen, alternative Angebote

Redebeitrag der Abgeordneten Annekathrin Giegengack zum Antrag der GRÜNEN-Fraktion „Zusammenarbeit von Schulen und Bundeswehr verbindlich regeln, Grundsätze des Beutelsbacher Konsenses garantieren“ (Drs. 5/4972) in der 36. Sitzung des Sächsischen Landtages, 25.05., TOP 8
Bundeswehr in der Schule – Verwaltungsvereinbarung muss Informationsrecht der Eltern regeln, Teilnahme der Kinder frei stellen und alternative Angebote zum Thema Friedenssicherung anbieten
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

als Ende letzten Jahres über die Medien bekannt wurde, dass unser Kultus-minister eine Kooperationsvereinbarung mit der Bundeswehr unterschrieben hat, erreichten auch unsere Fraktion Anfragen von Eltern, wie denn die konkrete Verfahrensweise in den Schulen diesbezüglich sei. Nun, es war wohl meinem Idealismus geschuldet, dass ich diesen Eltern mitteilte, ich ginge davon aus, dass Eltern natürlich über den Besuch der Bundeswehr in der Schule ihrer Kinder informiert würden und Kinder nicht zwangsweise an diesen Veranstaltungen teilnehmen müssten.
Hintergrund meiner Annahme war, dass ein Staat, der seinen Bürgern Glaubens- und Gewinnsfreiheit garantiert und in diesem Zusammenhang auch die Möglichkeit des Zivildienstes einräumt – Kinder und Jugendliche zu Veranstaltungen der Bundeswehr nicht zwangsverpflichtet.
Doch weit gefehlt. In der mündlichen Fragestunde des Januar-Plenums teilte Kultusminister Wöller mit: „Ich sehe aus den dargelegten Gründen keinen zwingenden Grund, weshalb die Eltern vorab [vom Besuch der Bundeswehr in der Schule] unterrichtet werden müssten. Selbstverständlich spricht nichts dagegen, diese Information vorab zu geben, aber nicht, um eine Freistellung vom Unterricht zu ermöglichen, für die es keinen Anlass gibt. Es ist beispielsweise auch und vielleicht sogar gerade für einen Schüler mit einer skeptischen Haltung gegenüber der Bundeswehr förderlich, sich im Rahmen des Bildungsauftrages der Schule mit anderen Aspekten und Meinungen zum Thema Friedenssicherung auseinanderzusetzen.“
Nun meine Damen und Herren, ich gebe zu, diese Antwort hat mich nicht nur überrascht sondern zutiefst getroffen. Ich kann es nicht glauben, dass sich ein Bildungsminister heute noch aufschwingt und glaubt, vorgeben zu können, welche Haltung zu Themen wie Krieg und Frieden die richtige sei und wer von den Kindern und Jugendlichen eine besondere Förderung – also Nachhilfe braucht, um die richtige Haltung zu Armee und Militär zu entwickeln.
Abgesehen davon, dass ich es für ausgesprochen erstrebenswert und löblich halte, wenn Kinder und Jugendliche Dingen gegenüber skeptisch sind und nicht alles Vorgekaute kritiklos hinnehmen, sind die Zeiten auch in unserem Land vorbei, wo ein Minister darüber entscheiden kann, welche Haltungen besonders zu fördern und welche besser zu unterbinden sind.
Bevor einige von Ihnen wieder in alte Verhaltensmuster verfallen, wie ‚von den Grünen ist ja auch nichts anderes zu erwarten‘ oder ‚diese weltfremden Öko-Pazifisten würden ja am liebsten die Bundeswehr abschaffen‘ – meine Damen und Herren, keine Frage, dies würden wir nicht tun und haben es auch nicht getan. Im Gegenteil, gerade wir GRÜNEN haben insbesondere in Bezug auf die Auslandseinsätze der Bundeswehr schwerste Debatten hinter uns gebracht und um unsere Position gerungen. Wir haben nicht den Anspruch, dass jeder diese Position teilen muss – skeptische Haltungen sind bei uns erlaubt.
Doch kommen wir zu dem, was unsere Kinder und Jugendlichen erwartet, wenn die Bundeswehr in die Schulen geht. Das politische Bildungsangebot der Jugendoffiziere für Schülerinnen und Schüler umfasst laut Kooperationsvereinbarung Vorträge im Unterricht, mehrtägige Seminare in Bonn und Berlin, Besuche von Bundeswehrstandorten, Bereitstellung von Informationsmaterial und das Projektangebot interaktive Simulation „Politik und internationale Sicherheit&quot“ – kurz POL&IS.
POL&IS ist ein geopolitisches Plan- und Rollenspiel. Simuliert wird das Weltgeschehen – aus Sicht des Militärs. Mit diesem Spiel soll gezeigt werden, wie globale Politik, Ökonomie und vernetzte Sicherheit funktionieren. POL&IS gilt als Kernstück der bildungspolitischen Arbeit der Bundeswehr und ist mit bundesweit 365 Simulationen pro Jahr und über 16.120 Teilnehmern eine Erfolgsgeschichte.
Was sich dahinter verbirgt, welches Welt- und Menschenbild vermittelt wird, worin die Aufklärung über die Brennpunkte der Welt und ihre Ursachen besteht und welche Lösungen auf der Agenda der POL&IS-Welt stehen, damit hat sich die Journalistin Cornelia Beuel auseinandergesetzt. Sie hat ein POL&IS-Seminar mit Auszubildenden des Bayer-Konzerns begleitet und darüber ein Feature gemacht. Ausgestrahlt wurde dies am 1. April dieses Jahres im Deutschlandfunk – es ist bis heute auf der Homepage von Deutschlandradio zu hören. Die POL&IS-Welt ist ein Modell, in Struktur und Aufbau – so der Anspruch – Spiegel der realen Welt. Es gibt Vertreter von 13 Weltregionen – sogenannte Superminister – zuständig für Armee, Polizei, Geheimdienst, Entwicklungshilfe und Wirtschaft gleichermaßen – darüber hinaus die Weltbank, die Weltpresse und Greenpeace.
Die Superminister bekommen bunte Spielsteine die die Infanterie, Panzerarmeen, Luftflotten, Marine Streitkräfte, strategische Raketenverbände, strategische Bombergeschwader, Atom- und U-Boot-Flottillen sowie atomare und chemische Waffen symbolisieren. Diese dürfen auf der großen bunten Weltkarte stationiert und bewegt werden. Nachgespielt werden die verschiedenen globalen Konflikte, Bürgerkriege und Piraterie in Afrika oder der Afghanistan Konflikt. Dafür gibt’s noch einmal Steine: Steine mit Bomben drauf für organisierte Verbrecherbanden, Piratensteine und Steine, die die Guerilla symbolisieren. Auf ihnen ist der Kopf von Che Guevara abgebildet.
„Du darfst jetzt deine Leute schicken“, fordert der Jugendoffizier im Feature den Superminister von Europa auf. Und erklärt weiter: „Ziel ist es für Euch, alle diese Steinchen zu entfernen, also könnte ein Ziel sein, wäre vorteilhaft für euch, weil dann wäre die Krise, der Konflikt beseitigt. Wie das funktioniert steht im Regelheft drin. Da gibt’s verschiedene Möglichkeiten. Wollt ihr lieber verhandeln mit den Taliban oder wollt ihr lieber militärisch vorgehen. Das ist eure Politik. Da müsst ihr überlegen was sinnvoll ist.“
Meine Damen und Herren, ich weiß gar nicht wie ich das beschreiben soll, was da bei den POL&IS-Spielen abgeht. Ich weiß nur eins, mit den Zielen, die in der Vereinbarung zwischen Kultusministerium und Bundeswehr vereinbart wurden, hat das nichts zu tun. Die Schüler sollen durch den Besuch der Bundeswehr in den Schulen zur differenzierten Analyse von sicherheitspolitischen Themen motiviert und befähigt werden – insbesondere sollen sie sich auseinandersetzen mit der Entstehung und den Hintergründen internationaler Konflikte, mit Friedenssicherung, Konfliktverhütung und Krisenbewältigung. Die eben zitierte Sequenz zeigt, dass Rollen- und Planspiele nicht immer geeignet sind, komplexe Zusammenhänge differenziert zu vermitteln. Es ist auch zweifelhaft, ob eine Institution in der Lage ist, sich selbst, ihre Aufgaben, Herausforderungen und Defizite objektiv und selbstkritisch zu vermitteln. Die Jugendoffiziere müssten ihre eigene Rolle in Frage stellen, wenn sie dem Kontroversitätsgebot gerecht werden wöllten.
Wir GRÜNEN wollen deshalb, dass Eltern informiert werden, wenn die Bundeswehr an die Schule ihre Kinder kommt und auch darüber, was an Aktivitäten geplant ist. Wir wollen, dass Eltern frei entscheiden können, ob ihre Kinder an solchen Spielen wie POL&IS teilnehmen oder nicht. Wir wollen, dass andere Institutionen wie z.B. die Landeszentrale für Politische Bildung, die Kirchen oder Friedensinitiativen obligatorisch eingeladen werden, wenn die Bundeswehr kommt. All das soll in einer Verwaltungsvereinbarung geregelt werden, damit Direktoren und Lehrer nicht im luftleeren Raum und über die Eltern und Schüler hinweg entscheiden.
Wir fordern ganz bewusst nicht, die Kooperationsvereinbarung zurückzunehmen. Wir wollen es ins Ermessen der Eltern stellen, ob sie möchten, dass ihre Kinder an einer Veranstaltung der Bundeswehr teilnehmen, denn sie tragen die Verantwortung für die ethisch, moralische Erziehung ihrer Kinder.
Und das sehen nicht nur wir so, sondern auch die Vertreter der ev.-luth. Kirchgemeinden in diesem Land. Auf Antrag des Sozial-Ethischen Ausschusses beschloss die Landessynode der ev.-luth. Landeskirche Sachsen am 11.4.2011, das Landeskirchenamt zu Gesprächen mit dem Kultusministerium bezüglich der KV zwischen SMK und Bundeswehr aufzufordern. Bei diesem Gespräch sollen folgende Bedenken der Landessynode zur Sprache kommen:
• die verpflichtende Teilnahme von Schülern an Veranstaltungen und Angeboten der Bundeswehr während des Schulunterrichtes,
• die nicht geregelte Informationspflicht der Schule gegenüber den Eltern zu geplanten Veranstaltungen der Bundeswehr,
• der fehlende Möglichkeit, Referenten mit anderen friedens-ethischen Ansätzen einzubeziehen und
• die fehlende Eingrenzung der Schulform und Klassenstufen für die Angebote der Bundeswehr sowie
• der fehlende Hinweis auf das Schulgesetz und das damit verbundene  Mitwirkungsrecht der Elternschaft.
Wir bieten mit unserem Antrag, eine Verwaltungsvereinbarung zu erlassen, die alle oben angeführten kritischen Punkte klar regelt, einen auch für Sie, Herr Minister, gangbaren Weg an. Das Grundgesetz verpflichtet den Staat zu Neutralität und Toleranz gegenüber den erzieherischen Vorstellungen von Eltern. Herr Minister sie klagen diese Verantwortung – zu Recht, wie ich finde – immer wieder ein. Wenn Sie es ernst damit meinen, können sie nicht bei einem Thema wie der Friedenserziehung den Eltern auf einmal Vorschriften machen und ihre Haltung zur Bundeswehr zum Maßstab erheben.
Ich habe ganz vergessen, zu erzählen wie das Polis-Spiel mit den Auszubildenden im Radio Feature ausgeht. Nun, der amerikanische Superminister entscheidet sich nach schweren Verlusten an Soldaten für eine diplomatische Lösung in Afghanistan und unterstützt Afrika bei der Bewältigung seiner Konflikte insbesondere mit Europa. Der Superminister Europas, der noch am Anfang des Spiels die „Höhlenbewohner in Afghanistan“ einfach machen lassen wollte, versenkt im Laufe des Spiels ein Piratenschiff, obwohl sich die Seeräuber bereits ergeben hatten, bedroht andere Regionen und erpresst Afrika. Der Kommentar des Jugendoffiziers am Ende des Spiels: „Ich hätte gern noch länger mit Ihnen gespielt, sie waren eine liebe Truppe und so kreativ.“