Annekathrin Giegengack: Den Schulen in freier Trägerschaft geben, was ihnen zusteht
Redebeitrag der Abgeordneten Annekathrin Giegengack zum Antrag der GRÜNEN-Fraktion "Kostenerstattung für Schulen in freier Trägerschaft für das verfassungswidrige vierte Jahr der Wartefrist"
95. Sitzung des Sächsischen Landtages, 10. April 2014, TOP 10
– Es gilt das gesprochene Wort –
Meine Damen und Herren,
sieben Schulen stehen im Mittelpunkt unseres Antrages heute Abend. Angesichts von insgesamt 1.483 allgemeinbildenden Schulen im Freistaat eine kleine Geschichte – könnte man meinen. Aber es geht bei diesen sieben Schulen um ein größeres Thema. Ein Thema, was uns hier im Haus immer wieder in den verschiedensten Zusammenhängen begegnet, gestern bei der Debatte um die Mütterrente oder heute beim Thema Schülerbeförderung – das Thema Gerechtigkeit.
Wir als Politiker sind mit der Erwartung konfrontiert, durch Recht Gerechtigkeit herstellen zu sollen und im Osten Deutschlands war gerade in den Nachwendejahren diese Erwartung an Politik fast erdrückend. Doch wir wissen alle, die wir hier im Saal sind, Recht und Gerechtigkeit fallen leider allzu oft auseinander, zum einen weil die Vorstellungen, was gerecht ist, in einer pluralen Gesellschaft auseinandergehen, und zum zweiten, weil Recht die Individualität des Einzelfalls nicht adäquat berücksichtigen kann.
Nun sind wir bei den sieben Schulen, um die es heute geht, genau mit diesem Dilemma konfrontiert: dem Auseinanderfallen von Recht und Gerechtigkeit. Warum?
Zum einen erklärte der Verfassungsgerichtshof die Verlängerung der Wartefrist für Schulen in freier Trägerschaft zwischen Genehmigung und Finanzierung von drei auf vier Jahre für verfassungswidrig.
Zum anderen legte der Verfassungsgerichtshof aber auch fest, ich zitiere: "Die für unvereinbar mit der Verfassung des Freistaates Sachsen erklärten Regelungen können bis zum Inkrafttreten einer verfassungsgemäßen Neuregelung spätestens bis zum 31.12.2015 weiter angewendet werden."
Das heißt, es gibt Regelungen, die nachweisbar nicht mit unseren Verfassungsgrundsätzen übereinstimmen. Aufgrund des Umfangs der nötigen Anpassungen im Gesetz und angesichts der anstehenden Landtagswahlen dürfen sie jedoch für eine Übergangszeit weiter angewendet werden.
Nun meine Damen und Herren, ich möchte dieses Dilemma mal konkret an der Situation der freien Waldorfschule Leipzig verdeutlichen. Diese Schule wird im kommenden Schuljahr genau 34,72 Euro pro Schüler und Monat, das heißt insgesamt 49.996,80 Euro aus der Sachkostenübergangsregelung erhalten. Durch die verfassungswidrige Verlängerung der Wartefrist muss diese Schule jedoch gleichzeitig auf mehr als eine halbe Million Euro, genau 648.000 Euro verzichten.
Hand aufs Herz, liebe Kolleginnen und Kollegen, das mag rechtens sein, aber als gerecht wird dies wohl niemand empfinden, erst recht nicht die Eltern und Lehrer dieser Schule, die letztlich dieses Geld selbst aufbringen müssen.
Meine Damen und Herren von der Koalition, wir haben in diesem Haus schon oft Gnade vor Recht ergehen lassen. Die größte Nummer war das Schulmoratorium. Hier haben wir einfach festgelegt, dass den Schulen, die die im Schulgesetz vorgegebenen Mindestschülerzahlen nicht erfüllen, die staatliche Mitwirkung nicht entzogen werden soll. Es ist juristisch gesehen nicht die beste Lösung und daher auch klar zeitlich begrenzt bis zur Novellierung des Schulgesetzes.
Nun wenn wir uns einig sind, dass Schulen in freier Trägerschaft genauso einen wichtigen und unverzichtbaren Beitrag zur Bildung und Erziehung unserer Kinder im Freistaat leisten wie staatliche Schulen – so steht es jedenfalls in der Verfassung -, warum können wir nicht auch für diese sieben Schulen eine zeitlich begrenzte Ausnahme gewähren. Die Summe, die noch für dieses Haushaltsjahr dafür zur Verfügung gestellt werden müsste, ist überschaubar und liegt bei 1,2 Mio. Euro.
Und damit wären wir auch beim neuralgischen Punkt: dem Geld.
Ich kann mittlerweile ihr Finanzgebaren nicht mehr nachvollziehen, meine Damen und Herren von der Koalition. Und ihre Argumentation bei den Schulen schon gar nicht. Wir haben eine Verfassung und Schulgesetze und darin wurden Ansprüche formuliert wie Lernmittelfreiheit oder Privatschulfreiheit.
Ich finde es ist ein schlechter Stil, sich selbst auf die Schulter zu klopfen nach dem Motto: "Mensch sind wir toll, was wir für fortschrittliche Regelungen in Sachsen haben" und gleichzeitig den daraus erwachsenden finanziellen Verpflichtungen nicht nachzukommen.
Sie haben so über Jahre dreistellige Millionenbeträge eingespart und Eltern, Träger und die Opposition die Umsetzung der von ihnen selbst beschlossenen gesetzlichen Regelungen über Gerichte einklagen lassen. Tolle Leistung.
Ich glaube, das Sparen und Geldzusammenhalten hat sich bei Ihnen regelrecht verselbständigt. Die Devise lautet: Jede Mehrausgabe abweisen und sei sie auch noch so berechtigt, bis ein Gericht sie dazu zwingt.
Nun im vorliegenden Fall zwingt sie ein Gericht dazu, diese Schulen zu finanzieren, allerdings erst ab dem 31.12.2015. Berechtigt sind die Ansprüche dieser sieben Schulen bereits ab dem kommenden Schuljahr, auch das hat das Gericht festgestellt. Geben Sie den sieben Schulen, was ihnen zusteht, sie machen etwas sehr sinnvolles damit, nämlich Unterricht.