Annekathrin Giegengack: Jede ausgefallene Unterrichtsstunde ist eine zu viel
Redebeitrag der Abgeordneten Annekathrin Giegengack zum Antrag der GRÜNEN-Fraktion "Regelungen zum Unterichtsausfall reformieren", 53. Sitzung des Sächsischen Landtages, 3. April 2012, TOP 9
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Unterrichtsausfall ist allgemein das Abweichen von dem in den jeweiligen Stundenplänen vorgesehenen Unterrichtsumfang Unterrichtsausfall beziffert den Unterschied zwischen dem Lehrerwochenstunden-Soll und dem Lehrerwochenstunden-Ist.
Als „temporären Unterrichtsausfall“ bezeichnet man den in einer Schulwoche ausfallenden Unterricht, der nicht durch Vertretungen aufgefangen werden kann.
Sporadischer Unterrichtsausfall ist der Unterricht, der im Stundenplan zwar vorgesehen war, jedoch unvorhersehbar nicht planmäßig gehalten wurde.
Struktureller Unterrichtsausfall bezeichnet die vor Schuljahresbeginn feststehenden Kürzungen des Unterrichts.
Planmäßiger Unterrichtsausfall sind Stundentafelkürzungen aufgrund von Lehrermangel oder nicht vorhandenen Unterrichtsräumen.
Unter »außerplanmäßiger Unterrichtsausfall« wird der »tatsächliche außerplanmäßige Unterrichtsausfall« verstanden, der sich aus dem außerplanmäßigen Unterrichtsausfall vermindert um die durchgeführten Vertretungsstunden in einem anderen Fach ergibt.
Meine Damen und Herren, ich halte all diese Definitionen für Spitzfindigkeiten der Kultusbürokratien gleich welcher Couleur.
Jede ausgefallende Unterrichtsstunde ob planmäßig, außerplanmäßig, sporadisch, strukturell oder temporär ist eine zu viel und sollte wenn irgend möglich vermieden werden.
Um die richtigen Maßnahmen gegen Unterrichtsausfall ergreifen zu können, ist es notwendig, den tatsächlichen Umfang und die Gründe des Unterrichtsausfalls adäquat zu erfassen. Dies ist in Sachsen so nicht der Fall, wie ich durch eine Reihe von Kleinen Landtagsanfragen herausfinden musste.
Es ist einfach unredlich, wenn die Staatsregierung behauptet, der Grund für den gestiegenen Unterrichtsausfall im Schuljahr 09/10 läge in nicht planbaren Ereignissen wie z.B. dem Tornado in Großenhain oder dem Kälteeinbruch im Dezember 2010 begründet. Und ich finde es auch ziemlich anmaßend, wenn das SMK behauptet, ich zitiere: “Die angeführten Klagen von Eltern und Pädagogen stellen Moment-aufnahmen dar und vermitteln kein aussagekräftiges Bild der tatsächlichen Unterrichtsversorgung.“
Einziger Lichtblick ist, dass das SMK nun wenigstens in seinem kürzlich erschienenen internen Papier: Qualität des sächsischen Bildungs-systems langfristig garantieren. Lehrerbedarf sichern! selbst einräumte, dass es einen kontinuierlich steigenden Unterrichtsausfall an unseren Schulen gibt und dieser auch weiter steigen wird, wenn wir bei der Lehrerausstattung nicht nachsteuern.
Dies länger zu leugnen, wäre auch absurd, denn selbst mit der jetzigen Statistik ist nachweisbar, dass im Schuljahr 09/10 an den sächsischen Gymnasien und Mittelschulen jede zehnte Unterrichtsstunde vertreten werden musste bzw. ganz ausfiel.
An den Gymnasien gab es mit einer Vertretungsquote von im Durchschnitt 65 Prozent den geringsten Unterrichtsausfall. Aufgrund der großen Lehrerkollegien gelang es hier auch vergleichsweise gut, den nicht planmäßig stattfindenden Unterricht sogar fachgerecht zu vertreten. Nur in Ethik, Musik und Sport fiel über die Hälfte des nicht planmäßig stattfindenden Unterrichts tatsächlich aus.
An Mittelschulen fiel erheblich mehr Unterricht aus als an Gymnasien. Insbesondere in Chemie, Ethik, Gemeinschaftskunde, Musik, Sport, WTH und zweiter Fremdsprache wurde noch nicht einmal die Hälfte der Stunden vertreten, wenn der entsprechende Fachlehrer krank war oder z.B. mit anderen Schülern auf Klassenfahrt ging. Da die Lehrerkollegien in der Regel kleiner sind als an Gymnasien erfolgte die Unterrichtsvertretung an Mittelschulen häufiger in einem anderen Fach.
Auch die Grundschulen hatten zu kämpfen. Doch der Vergleich der einzelnen Unterrichtsfächer zeigt, an den Grundschulen wurden ganz klar Prioritäten gesetzt. Die fachgerechte Vertretung in den Fächern Mathe, Deutsch und Sachkunde ging ganz klar zu Lasten der Unterrichtsfächer Englisch, Ethik, Kunst, Musik und Werken. Hier fiel der Unterricht zur Hälfte aus, wenn der entsprechende Fachlehrer nicht da war.
Erschreckend hoch war der Unterrichtsausfall auch an den Förderschulen. Über die Hälfte des Unterrichts, der wegen Krankheit der Lehrkraft oder aus anderen Gründen nicht planmäßig stattfinden konnte, fiel hier aus. Aufgrund des Lehrermangels an Förderschulen wurde im letzten Schuljahr in den Fächern Gemeinschaftskunde und Ethik von vornherein Unterrichtsausfall eingeplant. Tatsächlich fiel in diesen beiden Fächern bis Schuljahresende mehr als doppelt so viel Unterricht aus wie geplant, 16 Prozent des Gemeinschaftskundeunterrichts und 18 Prozent des Ethikunterrichts. Nur in Mathe, Deutsch, Hauswirtschaft und Technik wurden in den Förderschulen Vertretungsquoten erreicht, wie sie an anderen Schultypen üblich sind.
Es war für mich nicht nur als Schulpolitikerin sondern auch als Mutter einer schulpflichtigen Tochter eine Offenbarung, dass es überhaupt keine Vorgaben zum maximalen Umfang von Unterrichtsausfall pro Klasse und Fach gibt. Findet wiederholt Unterrichtsausfall in einem bestimmten Fach statt, kann ich als Mutter nicht darauf vertrauen, dass ein vertretbares Maß eingehalten wird. Auch gibt es weder eine Grenze, wie viele Schüler in einer Klasse zusammengelegt werden können, noch wie lange ein solcher Zustand anhalten darf. Zu diesem Mittel wurde in der Grundschule meines Kindes mehrmals im Jahr gegriffen. Die Klassenstärke beträgt an dieser Schule 25 Kinder pro Klasse. Sie können sich vorstellen, was es einem Lehrer abverlangt und was die Schüler effektiv von einem Unterricht mit nach Hause nehmen, wenn über eine Woche 37 Grundschüler in einem Raum zusammen lernen sollen! Offiziell gilt dieser Unterricht in zusammengelegten Klassen als "vertreten“.
Ist eine Klasse eine Stunde sich selbst überlassen und muss eine schriftliche Aufgabe erledigen, gilt dies ebenso als vertretener Unterricht, je nach Aufgabenstellung als Vertretungsstunde in einem anderen Fach oder als fachgerecht vertretene Unterrichtsstunde. Das SMK teilte in seiner Stellungnahme zu unserem Antrag mit, Stillbeschäftigung sei ein methodisch-didaktisches Instrument des Lehrers und stelle eine legitime Unterrichtsform dar. Nun in eine Klasse mit 6 oder 7 jährigen Schülern Aufgaben reinreichen und diese nach 45 Minuten wieder abzuholen, da kommt nicht viel bei rum, um das zu wissen braucht man kein Lehrer zu sein. Da das mit dem Aufgaben reinreichen etwas schwierig ist in Grundschulen, wird auch zu dem Mittel, wir machen euch ein Video an, geschritten.
Eltern, die für ihre Kinder eine Schule suchen, die Förderunterricht anbietet oder Kinder mit Behinderung integrativ beschult, sollten sich vorher genau informieren, ob die Schule dieses Angebot auch tatsächlich vorhalten kann. Der Ausfall von Förderunterricht oder Integrationsstunden für Kinder mit Behinderung ist nicht geregelt und wird auch nicht erfasst –Begründung des SMK, diese Stunden gehören nicht zur regulären Stundentafel.
Meine Damen und Herren, ich finde es etwas verlogenes, sich groß zu preisen für die Einführung einer besonderen Schuleingangsphase, die Förderunterrichtsstunden regulär ausweist und diese dann zur regulären Unterrichtsabsicherung zu nutzen und damit Unterrichtsausfall zu kaschieren. Gleiches gilt für die Integrationsstunden für Kinder mit Behinderung.
Meine Damen und Herren, wir mahnen in unserem Antrag eine Reform der Regelungen zum Unterrichtsausfall an.
Wir wollen, dass der Förderunterricht und die Integrationsstunden mit in die monatliche Erhebung des Unterrichtsausfalls aufgenommen wird, auch wenn diese nicht in der regulären Stundentafel stehen, das ist für uns kein hinlänglicher Grund, den Ausfall dieser Stunden nicht zu erfassen.
Wir wollen auch, dass die sogenannte Stillbeschäftigung (als außerplanmäßiger Unterrichtsausfall) erfasst wird. Wenn dies tatsächlich nur 0,1% des Gesamtstundensolls betrifft, was spricht dagegen, dies auch auszuweisen um Legendenbildungen vorzubeugen?
Für wichtig halten wir auch die Veröffentlichung des fächerspezifischen Unterrichtsausfalls und freuen uns sehr, dass dies, wie der Stellungnahme zu unserem Antrag zu entnehmen ist, gegenwärtig vom SMK geprüft wird. Die Daten werden erfasst, sind also vorhanden. Welchen Grund gibt es, sie der Öffentlichkeit vorzuenthalten?
Wir wollen weiter eine Regelung, die das Zusammenlegen von Klassen im Schulhalbjahr begrenzt. Es bedarf einer Grenze, wie viel Schüler zusammengelegt werden dürfen, sonst ist das Schulgesetz mit seiner Klassenobergrenze von 28 nur Makulatur. Darüber hinaus braucht es eine zeitliche Begrenzung für die Zusammenlegung von Klassen. Damit wird nach unserer Meinung nicht die Autonomie der Schuldirektoren eingeschränkt, sondern im Gegenteil, diese haben vielmehr die Möglichkeit, bei drohender Überschreitung dieser Vorgaben die Notbremse zu ziehen.
Wir wollen weiterhin, dass die Elternvertretungen verbindlich und nicht nach Gutdünken der Direktoren einbezogen werden in die Probleme, die an der Schule anstehen. Eltern sind Partner der Schule. Die Einstellung, Eltern sind gut zur Organisation der Altstoffsammlungen und zur Vorbereitung des jährlichen Kuchenbasars sind von gestern.
Erfreulich ist, dass das SMK sich in Bezug auf unsere letzte Forderung einsichtig zeigt. So teilte das SMK in seiner Stellungnahme zu unserem Antrag mit, dass die Bereitstellung von finanziellen Mitteln und Unterstützungsleistungen für die Schulen für die kurzfristige und eigenverantwortliche Regulierung von Vertretungsbedarf Bestandteil des im Dezember verabschiedeten Bildungspakets ist. Wenn Sie jetzt noch die fehlenden 100 Mio. bereitstellen wäre das ein erster Schritt in die richtige Richtung.