Annekathrin Giegengack: Knapp 50 Prozent machen einen mittleren bzw. Hauptschulabschluss – auch diese Abschlüsse müssen bundesweit vergleichbar sein

Redebeitrag der Abgeordneten Annekathrin Giegengack  zum Antrag der GRÜNEN-Fraktion "Vergleichbare Schulabschlüsse in ganz Deutschland schaffen" (Drs. 5/5782), 81. Sitzung des Sächsischen Landtages, 11. Juli 2013, TOP 8
– Es gilt das gesprochene Wort –
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Werte Kolleginnen und Kollegen,
im Oktober 1997 beschloss die Kultusministerkonferenz (KMK), das deutsche Schulsystem im Rahmen wissenschaftlicher Untersuchungen international vergleichen zu lassen (Konstanzer Beschluss). Ziel war es, gesicherte Befunde über Stärken und Schwächen der deutschen Schüler zu erhalten.
Durch die Ergebnisse von TIMSS, PISA und IGLU wurde deutlich, dass die in Deutschland vorrangige Inputsteuerung allein nicht zu den erwünschten Ergebnissen im Bildungssystem führt. Außerdem zeigten die Ergebnisse, dass Staaten, in denen eine systematische Rechenschaftslegung über die Ergebnisse erfolgt – sei es durch regelmäßige Schulleistungsstudien, durch zentrale Prüfungen oder durch Schulevaluationen -, insgesamt höhere Leistungen erreichten.
Vor diesem Hintergrund verständigte sich die KMK darauf, durch die Einführung von gemeinsamen Bildungsstandards die Entwicklung eines kompetenzorientierten Unterrichts zu fördern und eine Grundlage für die Überprüfung der erreichten Ergebnisse zu schaffen.
Ab 1995 wurden die Bildungsstandards sukzessive in den Bundesländern eingeführt. Seit 2005 sind diese Regelstandards, die angeben, welches Kompetenzniveau Schüler im Durchschnitt in einem Fach erreichen sollen, in der gesamten Bundesrepublik verbindlich – für die Primarstufe in Deutsch und Mathe, für die Hauptschule in Deutsch, Mathe und der ersten Fremdsprache und für den Mittleren Schulabschluss in Deutsch, Mathe, der Ersten Fremdsprache sowie Biologie, Chemie und Physik.
Eigentlich sollten die Bildungsstandards verbindliche Zielvorgaben werden, doch durch die Bildungshoheit wurde dies in den 16 Bundesländern doch sehr unterschiedlich umgesetzt. Während NRW und Niedersachsen z.B. die neue Form der Bildungsstandards in ihre Lehrpläne aufnahmen, gab Schleswig-Holstein "Handreichungen" für die Schulen heraus. Dort heißt es: "Es liegt in der Verantwortung der Fachschaften, die verbindlich geltenden Bildungsstandards an den Schulen inhaltlich umzusetzen. Schulen sollten daher darauf achten, dass sie sich bei den Lehrplanthemen und Fachinhalten ggf. neue Schwerpunkte setzen und Fachinhalte ergänzen." In Sachsen wurden im Rahmen der Reform aller Lehrpläne die Bildungsstandards direkt in die Lehrpläne aller Schularten integriert.
Durch die Einführung der Bildungsstandards stand den Ländern seit 2004 ein bundesweit geltender Referenzrahmen zur Verfügung, der ab 2009 die Grundlage für den Vergleich der Länder bildete. Das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) (angesiedelt bei der KMK) entwickelte für die Überprüfung des Erreichens dieser Bildungsstandards zentrale Testverfahren auf der Basis von Länderstichproben. 2010 wurden die Ergebnisse des ersten bundesweiten Vergleichs veröffentlicht. Im Mittelpunkt stand die Sprachliche Kompetenz der Schüler der Klassenstufe 9.
Die sächsischen Schüler erzielten hier gemeinsam mit Schülern aus Bayern und Baden-Württemberg im Kompetenzbereich Lesen Leistungen, die signifikant oberhalb des deutschen Mittelwertes lagen (Sachsen 508/Durchschnitt 496) im Kompetenzbereich Zuhören und Orthografie lag Sachsen ebenfalls im oberen Mittelfeld.
Angesichts der Tatsache, dass bereits fünf Jahre bundesweit die Bildungsstandards galten, war es jedoch erschreckend, dass der Leistungsabstand zwischen dem stärksten und schwächsten Bundesland in den getesteten Kompetenzbereichen ca. einem ganzen Schuljahr entsprach. Nun kann man davon ausgehen, dass am Ende der Sekundarstufe I mit keinen signifikanten Leistungszuwächsen im Bereich sprachliche Kompetenzen mehr zu rechnen ist. Das heißt, 2010 wurden in der Bundesrepublik an die Hälfte dieser Schüler Bildungsabschlüsse verteilt, hinter denen sich trotz bundesweit geltender Bildungsstandards Kompetenzunterschiede von bis zu einem Schuljahr verbargen.
Noch verrückter wird es, wenn man sich das Verhältnis von sogenannten Risikoschülern und Schülern ohne Abschluss ansieht. Während in Sachsen zehn Prozent der Schüler die Schule ohne Abschluss verlassen sind dies in Bremen, Hamburg und Schleswig Holstein nur acht Prozent. Allerdings liegt der Anteil der Risikoschüler, d.h. der Schüler, die in der 9.Klasse auf Grundschulniveau lesen und schreiben, in Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein bei über 25 Prozent, in Sachsen hingegen nur bei zwölf Prozent und die fünf Prozent leistungsschwächsten Schüler in Sachsen erzielen im deutschlandweiten Kompetenzvergleich Sprachliche Bildung immer noch überdurchschnittliche Ergebnisse. Da stimmt doch etwas nicht, meine Damen und Herren.
Die KMK hatte im Konsens aller Länder beschlossen, die Bildungsstandards für den Mittleren und den Hauptschulabschluss jeweils schul-artübergreifend zu formulieren. Die dadurch erreichte Transparenz verbindlicher Leistungsanforderungen zum Ende eines Bildungsgangs sollte dazu beitragen, die Vergleichbarkeit von Abschlüssen unabhängig davon, in welchem Bildungsgang sie erworben werden, zu gewährleisten. Dieses Ziel konnte definitiv nicht erreicht werden.
Aber vielleicht war das ja auch der Hintergrund, warum 2012 – parallel zur Einführung gemeinsamer Bildungsstandards für die Allgemeine Hochschulreife – die Initiative entstand, auch gemeinsame Prüfungsaufgaben für das Abitur zu verabreden. Der bayrische Kultusminister Dr. Ludwig Spaenle brachte es in einem Brief an die bayrischen Lehrer auf den Punkt: "Damit reagieren wir auf eine oft geäußerte Kritik an unterschiedlichen Anforderungen und Aufgabenstellungen; hinter gleichwertigen Abschlüssen müssen nach meiner festen Überzeugung auch gleichwertige Leistungen stehen."
Ich frage sie, warum sollen bloß hinter dem Abitur gleichwertige Leistungen in allen Bundesländern stehen? Knapp 50 Prozent unserer Jugendlichen machen einen mittleren oder einen Hauptschulabschluss. Ich bin überzeugt, auch diese Abschlüsse sind es wert, vergleichbar zu sein. Nachdem sich Sachsen gemeinsam mit Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Bayern auf den Weg gemacht hat, durch die Erarbeitung gemeinsamer Aufgaben das Abitur vergleichbar zu machen, möchten wir die Staatsregierung auffordern, sich auch für die Erarbeitung gemeinsamer Aufgaben bzw. Aufgabenteile für die Mittlere Reife und den Hauptschulabschluss einzusetzen. Die Voraussetzungen dafür sind mit der Einführung der Bildungsstandards seit 2005 bereits gegeben.
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