Annekathrin Giegengack: Rechtsanspruch auf Fremdsprachenunterricht gehört in die Schulordnung!

Redebeitrag der Abgeordneten Annekathrin Giegengack zum Antrag der GRÜNEN-Fraktion "Sprachen- und Profilwahl an Gymnasien sicherstellen" (Drs. 5/7002), 62. Sitzung des Sächsischen Landtages, 26. September 2012, TOP 12

– Es gilt das gesprochene Wort –
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Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

Beschluss Verwaltungsgericht Dresden Az.: 5L 342/10
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragsteller ab dem Schuljahr 2010/11 …vorläufig… in Spanisch als zweiter Fremdsprache zu unterrichten.

Beschluss Verwaltungsgericht Dresden Az.: 5L 385/11
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragsteller ab dem Schuljahr 2011/12 …vorläufig… in Französisch als zweiter Fremdsprache zu unterrichten.

Beschluss Verwaltungsgericht Chemnitz Az.: 2L 205/12
In der Verwaltungsstreitsache wegen Aufnahme des Kindes … in eine Latein-Klasse zum Schuljahr 2012/13 am Gymnasium in Chemnitz: Der Antrag wird abgelehnt.

Beschluss Verwaltungsgericht Leipzig Az.: 4L 332/12
Der Antragsgegner wird im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Sohn der Antragsteller ab dem Schuljahr 2012/13 am Gymnasium in Leipzig vorläufig in Latein als zweiter Fremdsprache zu unterrichten.

Das sind nur vier Beispiele, wo Gerichte in unserem Land bemüht wurden, zu entscheiden, welche zweite Fremdsprache Schülerinnen und Schüler an sächsischen Gymnasien lernen dürfen.
Es ist wirklich unvorstellbar: zwanzig Jahre nach der Wende müssen in unserem Land Eltern vor Gericht ziehen, damit ihr Kind nicht zwangsweise eine bestimmte Sprache z.B. Russisch lernen muss.

Und jenseits jedes pädagogischen Anspruchs hält das Kultusministerium auch in der novellierten und am 1.8. dieses Jahres in Kraft getretenen Schulordnung Gymnasium an der Regelung fest, dass es keinen Rechtsanspruch auf das Erlernen einer im Schulprofil angebotenen zweiten Fremdsprache gibt und gegebenenfalls ein Losverfahren entscheidet, wer die begehrten Plätze bekommt.

Hintergrund für diese Entscheidung, die das SMK ohne Beteiligung des Landtages fällen kann, sind rein fiskalische Gründe. So heißt es in der Stellungnahme des SMK zu unserem Antrag: "Die Anpassung der Schulordnung Gymnasien hinsichtlich eines Rechtsanspruches auf die gewünschte Fremdsprache und das gewünschte Profil hätte entgegen der Klassen- und Gruppenbildung einen Anstieg des Unterrichtsbedarfs und somit eine beachtliche Ressourcenerhöhung zur Folge."

Nun soll die neue sächsische Oberschule im kommenden Schuljahr flächendeckend starten. 4,3 Millionen Euro kostet nach Aussage von Holger Zastrow in der Freien Presse das umstrittene Prestige Projekt der FDP. Und weiter heißt es: "Zu internen Prozessen in der CDU-Fraktion kann ich nichts sagen. Ich bin mir aber sicher, dass die CDU Wort halten wird."

Das heißt ja, 4,3 Millionen Euro für 55 neue Lehrerstellen sind machbar. Nun da frage ich mich und vor allem die Eltern all der Schülerinnen und Schüler, die über Losverfahren jetzt Russisch statt Französisch oder Latein lernen müssen, wieso sichert das SMK nicht den Fremdsprachenunterricht ab, der offiziell angeboten wird?

Jedes Jahr laden die Gymnasien in ganz Sachsen zu Tagen der offenen Tür ein. Die Direktoren werben in den Grundschulen mit ihren Profilen und Fremdsprachenangeboten. Die wesentliche Entscheidungsgrundlage von Eltern und Schülern für die Wahl eines bestimmten Gymnasiums ist das angebotene Profil und die angebotenen Fremdsprachen. Und ich kann ihnen nicht nur aus eigener Erfahrung berichten, Eltern und Kinder machen sich diese Entscheidung nicht leicht. Bedeutet doch die Wahl eines bestimmten Gymnasiums aufgrund seines Angebotes u.U. für die 10-Jährigen, dass man all seine Freunde verliert oder in Zukunft weite Wege auf sich nimmt.

Meine Damen und Herren, es kann nicht sein, dass im Bereich Schule anderes Recht gelten soll als sonst in unserem Land. Wenn sie einen Urlaub buchen am Meer mit Seeblick und sich dann im bergischen Land wiederfinden, haben sie Anspruch auf Regress. Wenn sie einen grünen BMW kaufen und dann steht ein roter Mazda vor ihrer Tür, haben sie das Recht, auf dem grünen BMW zu bestehen.

Nun, wenn die Eltern und Schüler ein Gymnasium wählen, was ein bestimmtes mit der Bildungsagentur abgestimmtes Angebot an Sprachen und Profilen vorhält und ein Jahr später die Ansage bekommen, sie müssen ein Los ziehen, um dieses Angebot auch wirklich in Anspruch nehmen zu können, dann ist das nicht rechtens.
Und da können sie von der Staatsregierung gebetsmühlenartig widerholen, Losverfahren sind rechtlich zulässig.

Das Verwaltungsgericht Leipzig stellt im o.a. Urteil u.a. fest: "Dieser im Verlauf und aufgrund des gerichtlichen Verfahrens ermittelte freie Unterrichtsplatz ist an den Sohn der Antragstellerin zu vergeben. Dem steht nicht entgegen, dass neben diesem 11 weitere Schüler mit ihrer Anmeldung für eine Unterrichtung in Latein als zweiter Fremdsprache im Schuljahr 2013/14 nicht durchgedrungen sind. Insoweit gelten die für gerichtliche Verfahren zur Vergabe von Studienplätzen außerhalb der festgesetzten Kapazität entwickelten Grundsätze entsprechend, wonach nur die Antragsteller bzw. Kläger der gerichtlichen Verfahren zu berücksichtigen sind."

Meine Damen und Herren von der Koalition: Wenn, wie Herr Zastrow behauptet, es kein Problem darstellt, 4,3 Millionen Euro für die Einführung des umstrittenen Projekts wie die Oberschule bereitzustellen, dann dürfte es auch kein Problem sein, den Unterricht, wie er jetzt schon angeboten wird, entsprechend abzusichern. Es kann nicht sein, das Eltern in unserem Land Gerichte bemühen müssen, um das Recht auf Unterricht für ihre Kinder zu erstreiten.

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