Annekathrin Giegengack: Streichung der Schulgelderstattung zurücknehmen – wegen marginaler Einsparung nicht beispielhafte Regelung über Bord werfen!
Warum werfen wir wegen einer marginalen Einsparung einfach so eine Regelung über Bord, die bundesweit ihres gleichen sucht und den Anspruch der Freiheit und Gleichheit bei der Schulbildung verknüpft?
Redebeitrag der Abgeordneten Annekathrin Giegengack zum Antrag der GRÜNEN "Sonderungsverbot einhalten – Streichung der Schulgelderstattung zurücknehmen" (Drs. 5/4894) in der 39. Sitzung des Sächsischen Landtages, 30.06., TOP 8
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident!meine Damen und Herren,
die Diskussion um die freien Schulen im letzten Herbst und der Beschluss im Rahmen des Haushaltbegleitgesetzes haben mich sehr irritiert. Ich konnte es einfach nicht verstehen. In diesem Haus ist man schnell mit der gegenseitigen Unterstellung nicht der Verfassung verpflichtet zu sein, wird schnell mal die verbale Keule "zweifelhafte Demokraten" herausgeholt, doch bei den Neuregelungen zu den Freien Schulen, wo von Anfang an Zweifel an deren Verfassungsmäßigkeit bestanden, spielte dies scheinbar keine Rolle. Bis heute treibt mich die Frage um, wieso?
Haushaltszwänge scheiden nach meiner Überzeugung als Begründung aus, denn die Haushaltsmittel für die freien Schulen wurden nie ganz ausgeschöpft. Auch sind die nach Vermittlung der CDU beschlossenen Regelungen zu den Freien Schulen nicht in Größenordnungen haushaltswirksam. Der Schulgeldersatz macht gerade einmal 1,3 Prozent der Gesamtfinanzierung der freien Schulen aus und er soll noch dazu gestaffelt über die nächsten Jahre wegfallen. Haushaltszwänge können nicht der wahre Grund sein für die Beschneidung der Rechte der freien Schulen, wenn im letzten Haushalts- und Finanzausschuss innerhalb von 5 Minuten Mehrausgaben von rund 2 Millionen Euro für die Aufstockung von Referendariatsstellen durchgezogen werden. Das zeigt, dass es durchaus einen finanziellen Spielraum bei Kultus geben muss.
Die zweite Begründung – das Schulnetz scheidet nach meiner Auffassung aus. Ich zitiere Herrn Zastrow aus einem MDR Interview: "Denn wenn wir überall in Sachsen die Schulen schließen müssen, weil es im ländlichen Raum beispielsweise weniger Kinder gibt, dann ist es natürlich nicht nachvollziehbar, dass dort, wo die staatliche Schule geschlossen werden musste, nebenan mit wiederum staatlichem Geld ’ne kirchliche Schule aufmacht. Dann muss ich ganz ehrlich sagen ist es schizophren, dass ich überhaupt jemals die staatliche Schule geschlossen hab."
Herr Zastrow hat, wie ich finde und sicher ohne es zu wollen, die Argumentation – die Aufrechterhaltung des öffentlichen Schulsystems erfordere die Einschränkungen bei den Freien Schulen – selbst entkräftet. In der Tat ist es nicht nachvollziehbar, warum staatliche Schulen im ländlichen Raum wegen rückläufiger Schülerzahlen schließen, wenn freie Schulen erfolgreich vormachen, dass gute Bildung nicht unbedingt an Klassengrößen und Zügigkeit gebunden ist und mittlerweile haben wir ja ein Schulmoratorium, was einzügige Mittelschulen im ländlichen Raum schützt.
Meine Damen und Herren, es geht gar nicht in erster Linie um Geld oder Schulplanung, wenn wir hier über freie Schulen streiten. Ich denke, wir holen vielmehr eine Debatte nach, die wir schon längst hätten führen müssen.
Gerechtigkeit, meine Damen und Herren, und damit auch Bildungsgerechtigkeit bewegt sich immer in einem Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Gleichheit. Ich glaube, sie stimmen mit mir überein, dass weder das DDR-Bildungssystem gerecht war, was alle gleich gemacht hat, noch dass das US-amerikanische Bildungssystem gerecht ist, welches alle erdenklichen Freiheiten einräumt.
Meine Damen und Herren, ich will keinem hier im Saal zu nahe treten, aber ich glaube, uns war bisher nicht wirklich bewusst, welche sinnvolle und kluge Regelung der Schulgeldersatz in diesem Zusammenhang gespielt hat – er hat Gleichheit in der Freiheit der Schulwahl ermöglicht. Allen Eltern wurde unabhängig von ihrem Einkommen die Möglichkeit eingeräumt, sich frei für die nach ihrer Auffassung richtige Schule für ihr Kind zu entscheiden – verantwortungsvoller kann man nach meiner Auffassung nicht handeln.
Mit der Abschaffung des Schulgeldersatzes geben wir für eine, im Gesamtkontext gesehen, geringe Einsparung diese Verantwortung an die Träger der freien Schulen ab, mit dem Verweis auf das gesetzlich vorgeschriebene Sonderungsverbot. Wohl wissend, dass die freien Schulen nicht in der Lage sind, diese Finanzierunglücke aus den ohnehin schon knappen Schülerkostensätzen zu schließen, hat Minister Wöller vorgeschlagen, die Freien Schulen sollen doch eine soziale Staffelung der Elternbeiträge einführen.
Meine Damen und Herren, mit Verlaub – dieser Vorschlag ist absurd, denn hier wird vorgeschlagen, was eigentlich verhindert werden soll – nämlich, dass die Besitz- und Einkommensverhältnisse der Eltern darüber entscheiden, ob Kinder eine Freie Schule besuchen können oder nicht. Sollen die Freien Schulen jetzt anfangen zu rechnen: wir brauchen fünf Kinder, deren Eltern in der Lage sind das doppelte Schulgeld zu zahlen, um fünf Kinder aufnehmen zu können, deren Eltern nichts bezahlen können.
Meine Damen und Herren, wo sind wir nur hingekommen, dass wir eine Regelung, die bundesweit ihres gleichen sucht und in äußerst verantwortungsvoller Weise den Anspruch der Freiheit und Gleichheit bei der Schulbildung unserer Kinder verknüpft, wegen einer im Gesamtkontext gesehen marginalen Einsparung einfach so über Bord werfen.
Meine Damen und Herren, vierzig Jahre war es den Eltern in diesem Land aus ideologischen Gründen verwehrt, frei über die Bildung und Erziehung ihrer Kinder zu entscheiden. Ich bitte sie, ersetzen sie nicht diesen Zwang jetzt durch den Zwang des Geldes.
Ich bitte um namentliche Abstimmung zu unserem Antrag.