Annekathrin Giegengack: Übernahme der Schülerbeförderungskosten durch den Freistaat bekämpft das Symptom und nicht die Ursache

Redebeitrag der Abgeordneten Annekathrin Giegengack zum Gesetzentwurf "Gesetz zur Umsetzung des verfassungsrechtlichen Anspruchs auf Lernmittelfreiheit in Sachsen", 59. Sitzung des Sächsischen Landtages, 11. Juli 2012, TOP 5


– Es gilt das gesprochene Wort –

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Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

der Gesetzentwurf der Linken bezieht sich auf zwei Formenkreise:
1) die Schülerbeförderung
2) die Lernmittelfreiheit

1) Schülerbeförderung
a) Wir sehen es als nicht eindeutig an, inwiefern aus dem Grundsatz der "Unentgeltlichkeit des Unterrichts" verfassungsrechtlich auch der Anspruch auf Befreiung von den Schülerbeförderungskosten, abgeleitet werden kann.

b) Auch den Übergang der Trägerschaft der Schülerbeförderung auf den Freistaat halten wir für schwierig, zum einen, weil es dem Subsidiaritätsprinzip widerspricht und eine Aufgabe zentralisiert wird, die besser von der kommunalen Ebene erfüllt werden kann. Zum anderen, weil es in diesem Fall zu einem nicht zweckmäßigen Auseinanderfallen der Zuständigkeiten für den ÖPNV kommt, hier würden wertvolle Synergien verloren gehen.

Die Intention der Fraktion die Linke können wir nachvollziehen. Die durch Mitwirkungsentzug der Staatsregierung verursachten Schulschließungen ziehen erhöhte Beförderungskosten nach sich, die letztlich die Kommunen und Eltern tragen müssen. Wir glauben aber, dass der bessere Weg wäre, es von vornherein zu keinen weiteren Schulschließungen kommen zu lassen. Deshalb plädieren wir angesichts des absehbaren Schülerrückgangs im ländlichen Raum für die Weiterentwicklung der Mittelschule zu einer Gemeinschaftsschule, die auch Kindern mit gymnasialer Bildungsempfehlung offen steht. Die Übernahme der Schülerbeförderungskosten durch den Freistaat bekämpft das Symptom und nicht die Ursache.

2) Lernmittelfreiheit
Die vorgeschlagenen Regelungen bei der Schulgeld- und Lernmittelfreiheit unterstützen wir dem Grundsatz nach, allerdings bringt die Neufassung des §38 auch keine hundertprozentige rechtliche Klarheit.
– So gehören nach unserer Auffassung die unter Punkt 6 und 7 aufgeführten Grundmaterialien zu den Lehr- und nicht zu den Lernmitteln.
– Und die unter 2 und 3 aufgeführten Schriftenwerke fallen nach unserer Auffassung unter die – bereits unter 1.erwähnten – "Schulbücher ergänzende Druckwerke".

Dies wird auch durch die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Bautzen in seiner Urteilsbegründung gestützt, in der es heißt: "Schulbücher sind danach Druckwerke für die Hand des Schülers, die dazu dienen, den Lehrplan eines Faches schulartbezogen in Zielen und Inhalten zu erfüllen; Schulbücher müssen in der Regel gebunden sein. Den Schulbüchern gleichgestellt sind folgende Druckwerke: Atlanten; Arbeitshefte für die Hand des Schülers, die Schulbücher begleiten, ergänzen oder ersetzen; Ganzschriften und für den Schulgebrauch aufbereitete Textsammlungen; Wörterbücher, fremdsprachliche Grammatiken und Nachlagewerke sowie Aufgaben-, Gesetzes-, Formularsammlungen und Tafelwerke."

Der Punkt 5 erscheint uns als zu unbestimmt und bringt nicht die rechtliche Klarheit, die ja eigentlich durch den Gesetzentwurf geschaffen werden soll. Hier ist von Gegenständen und erforderlichen Materialien bzw. Sachmaterialien die Rede. Diese Begriffe sind sehr unbestimmt. Nach § 31 Abs. 1 SchulG obliegt es den Eltern, für die Erfüllung der Schulpflicht ihrer schulpflichtigen Kinder Sorge zu tragen. Sie haben ihre Kinder anzumelden und für die Teilnahme an den Schulveranstaltungen zweckentsprechend auszustatten. Dazu gehört nach Auffassung des OVG "neben der Pflicht, dafür zu sorgen, dass das Kind am Unterricht und den verbindlichen Schulveranstaltungen teilnimmt, die Pflicht zu dessen zweckentsprechender Ausstattung. Darunter ist etwa zu verstehen, dass das Kind über angemessene Turnkleidung für den Sportunterricht verfügt oder Schreibmaterial und Hefte zum Unterricht mitbringt".

Um hier keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen, wir begrüßen grundsätzlich den Vorstoß der Links-Fraktion, den Bereich der Lernmittelfreiheit endlich rechtlich zu regeln. Am Verlauf des verfassungsgebenden Verfahrens kann man gut nachvollziehen, dass der Verfassungsgeber die Garantie der Lernmittelfreiheit, ungeachtet bestehender Regelungen im Schulgesetz, in einem umfassenderen Sinn verstanden hat. Es ist ein Unding, dass es die Staatsregierung es in über 20 Jahren nicht auf die Reihe gebracht hat, die Vorgaben des Schulgesetzes mit den Vorgaben der Verfassung in Einklang zu bringen bzw. mindestens eine Rechtsverordnung zu erlassen.