Annekathrin Giegengack: Widerspruch zwischen steigenden Anforderungen und mangelnden Umsetzungsmöglichkeiten nicht auf Kosten der ErzieherInnen

Redebeitrag der Abgeordneten Annekatrin Giegengack zu den Kita-Anträgen von SPD und GRÜNEN vom 13.6.2012, 57. Sitzung des Sächsischen Landtages, 13. Juni 2012, TOP 8

– Es gilt das gesprochene Wort –
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Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

Lang schon wird auch in unserem Land eine Debatte zur zukünftigen Ausgestaltung der Kindertagesbetreuung und Professionalisierung in der frühkindlichen Bildung geführt. Der Vorsatz lautet: Die Bildung und Erziehung in der frühen Kindheit soll besser werden!  

Doch das frustrierende dabei ist: die Praktikerinnen sehen sich bei gleichbleibenden Rahmenbedingungen lediglich höheren  Anforderungen gegenüber.

Die steigende Zahl unkoordinierter Projekte und Programme, die auf die Kitas einstürmen, sind dabei wenig hilfreich für die Verbesserung der pädagogischen Qualität, da in den meisten Initiativen nur kurzfristig einzelne Aspekte des Kita-Alltags im Fokus stehen.

Viel sinnvoller wären zusätzliche Ressourcen für die systematische Weiterentwicklung der Kita-Betreuung in Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes. Ich bin überzeugt, dass es weniger eines Methodenkoffers für naturwissenschaftliche Experimente bedarf, als vielmehr Zeit für eine didaktische Weiterbildung, die auf alle Bildungsbereiche in der Kita übertragbar ist.

Besonders relevant halte ich dies für den essentiellen Bereich Sprachförderung. Nur wenn Erzieherinnen selbst über hervorragende Sprachkompetenzen verfügen, Expertinnen der Sprachentwicklung sind und im Kitaalltag auch Zeit und Raum für Gespräche mit Kindern haben, wird Kita zu einem Ort der Sprachförderung. Punktuelle Fördermaß-nahmen bleiben auf Dauer relativ unfruchtbar.

Auch in unserem Land wurde erkannt, dass es für eine qualifizierte frühpädagogische Arbeit an den Kitas eines verlässlichen, vollständigen und konkreten Bildungsplans bedarf, der auch die Entwicklung bis zum Ende der Grundschulzeit einbezieht.

Dieser Plan sollte neben den Grundlagen elementarpädagogischer Didaktik auch Informationen darüber liefern, in welchen Grundkompetenzen ein Kind in welchem Alter gefördert werden sollte, wie diese Förderung erfolgen kann, welche Kompetenzstufen ein Kind in welchem Entwicklungs-stadium erlangen kann und ab welcher Entwicklungsverzögerung ein Kind an weitere professionelle Helfer weitervermittelt werden muss.  

Wir schließen uns daher dem Landesjugendhilfeausschuss in seiner Forderung an, dass die im Abschlussbericht der Evaluation enthaltenen Empfehlungen zur Weiterentwicklung unseres sächsischen Bildungs-planes mit einem Expertengremium noch einmal beraten und dann umgesetzt werden.

Eine wesentliche Voraussetzung dafür ist – nimmt man den ganzheitlichen Ansatz ernst – dass auch die Umsetzung des Bildungsplanes in den Bereichen Kindertagespflege und Hort in vergleichbarer Art und Weise einer Evaluation unterzogen werden.

Es ist davon auszugehen, dass – nicht zuletzt aufgrund des demographischen Wandels – der Leistungsdruck auf Kinder auch in der frühen Kindheit ansteigen wird. Damit stehen die Kitas vor einer schwierigen Herausforderung. Sie sollen einerseits qualitativ hochwertige Lernorte sein und andererseits jedem Kind in seinem ganz eigenen Entwicklungstempo gerecht werden.

Hinzu kommt und das belegen insbesondere die Ergebnisse der Kita- und Vorschuluntersuchungen, dass die Arbeit in der Kita nicht mehr „nur“ Bildung und Erziehung der Kinder beinhaltet, sondern dass die Berücksichtigung und Versorgung von Kindern mit besonderen
Bedürfnissen (Kinder mit Migrationshintergrund, sozio-emotionale Störungen, gesundheitliche Probleme, etc.) in Zukunft wohl einen größeren Raum einnehmen werden.

Dafür braucht es angemessene Rahmenbedingungen, das heißt ganz klar einen besseren Personalschlüssel.

Meine Damen und Herren, die Rahmenbedingungen und die Anforderungen an eine individuelle Bildungsarbeit in den Kitas passen einfach nicht zusammen. Diese Diskrepanz kann nur aufgelöst werden wenn die, für die Arbeit in Kitas bereitgestellten Mittel, erhöht werden.

Alle Projekte zur Qualitätsverbesserung in der frühkindlichen Bildung nützen nichts und auch der beste Bildungsplan bleibt nur beschriebenes Papier, wenn nicht mehr Geld in die Hand genommen und der Betreuungsschlüssel verbessert wird.  Daran führt kein Weg vorbei. Und auch wir werden diese Forderung immer und immer wieder auf unsere Agenda setzen.

Die Qualität in der Bildung und Erziehung von Kindern in den Tageseinrichtungen 2020 hängt unmittelbar von den Ressourcen ab, die den pädagogischen Fachkräften in den Kindertageseinrichtungen der Zukunft zur Verfügung stehen. Die Verbesserung der Rahmen-bedingungen ist daher eine zwingende Notwendigkeit, sonst blieben die Kindertageseinrichtungen unweigerlich hinter ihrem Anspruch zurück.

Der Widerspruch zwischen steigenden Anforderungen und mangelnden Umsetzungsmöglichkeiten darf nicht länger auf dem Rücken der Erzieherinnen und Erzieher und letztlich auf dem Rücken der Kinder ausgetragen werden. Die Verantwortung liegt bei uns. Nur wir können die Paradoxie beseitigen und Anspruch und Wirklichkeit wieder zusammen bringen.

Inwiefern auch eine vollständige Akademisierung der pädagogischen Fachkräfte im frühkindlichen Bereich langfristig gesehen zwingend notwendig ist, um die frühkindliche Bildungs- und Erziehungsarbeit weiter zu  professionalisieren, möchte ich an dieser Stelle offen lassen.

Unstrittig ist jedoch, und dies hat die Evaluation gezeigt, dass es zumindest einer Fortbildungsoffensive in Bezug auf die Umsetzung des Bildungsplanes bedarf. Doch der Umfang an Weiterbildung, der nach Auffassung der Evaluatoren  für eine umfassende Aneignung des im Bildungsplan propagierten neuen Bildungsverständnisses in allen Kitas notwendig wäre, ist aufgrund der damit verbundenen Personalbelastung in den Kitas nicht ohne weiteres zu stemmen.

Wir unterstützen daher d. Forderung d. Landesjugendhilfeausschusses, das SMK zu beauftragen gemeinsam mit einer Expertengruppe über einen Orientierungsrahmen für diese Fort- und Weiterbildung zu beraten und danach konkrete Handlungsempfehlungen vorzulegen.

Mine Damen und Herren, wir sind uns einig: Auf den Anfang kommt es an. Ich glaube mit dem sächsischen Bildungsplan sind die Weichen in unserem Land richtig gestellt. Jetzt geht es darum  auch realistische Rahmenbedingungen zu seiner Umsetzung zu schaffen – d.h. einen angemessenen Betreuungsschlüssel, ausreichend Vor- und Nachbereitungszeit sowie einer Fortbildungsoffensive  zur Weiterqualifikation des Personals zu schaffen.
Ich bitte um Zustimmung.