Annekathrin Giegengack zur Aktuellen Debatte über den Lehrermangel

Redebeitrag der Abgeordneten Annekathrin Giegengack zur Aktuellen Debatte der GRÜNEN-Fraktion "Zehn nach Zwölf an Sachsens Schulen – Staatsregierung organisiert Lehrermangel" in der 45. Sitzung des Sächsischen Landtages, 24.11., TOP 1
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Man muss kein penibler Leser des Landtagspressespiegels sein, um festzustellen, dass die Staatsregierung zunehmend in eine
Legitimations- und Vertrauenskrise gerät. Das Innenministerium und das Kultusministerium stehen seit Längerem unter Dauerbeschuss. Erst gestern hatten wir wieder zwei Debatten aus dem Bereich von Herrn Minister Ulbig, aber auch im Bereich von Herrn Minister Wöller hagelt es seit Monaten massive Kritik vonseiten der Opposition, der Gewerkschaft, der Verbände und der Elternvertretungen wegen steigendem Unterrichtsausfall, der Nichtbesetzung von Direktorenstellen, massiven Abordnungen von Lehrern an andere Schulen und der Nichtbesetzung von Referendarstellen.
Anstatt in die Offensive zu gehen und ein abgestimmtes und zukunftsweisendes Konzept zur Bekämpfung des zukünftigen Lehrermangels vorzulegen, verweist der Kultusminister immer wieder auf einen kleinen Haushaltsvermerk von 2010: «Die Anzahl der Lehrerstellen bis 2020 wird der in den westdeutschen Flächenländern geltenden Lehrerausstattung zuzüglich eines Qualitätszuschlags von 5 % angeglichen werden.»
Ich halte es für unvernünftig und fahrlässig angesichts dieses absehbaren
und dramatischen Lehrermangels, des Ausscheidens Tausender Lehrer aus dem Schuldienst, hier in Rätseln zu sprechen. Das erweckt den Eindruck, dass die Staatsregierung völlig die Orientierung verloren hat, kein abgestimmtes Konzept vorlegen kann, keinen inneren Kompass hat, dieses Problem zu lösen, und auch keinen aktiven Gestaltungswillen zeigt.
Das erzeugt Angst, meine Damen und Herren, bei Eltern, Lehrern und Schülern. Das haben wir auch in der Presse verfolgen können. Lehrer fragen sich: Stehe ich in Zukunft vor Klassen mit 30 Kindern und wie viel Kinder mit Behinderung werden dabei sein? Eltern fragen sich: Wird die Schule geschlossen werden, wenn jetzt Lehrer fehlen? Wird mein Kind den angestrebten Schulabschluss machen können, wenn die zweite Fremdsprache nicht angeboten wird? Wie wird mein Kind das Klassenziel erreichen, wenn ständig Unterricht ausfällt?
Als Mutter muss ich Ihnen sagen: Eltern bewegt nichts so sehr wie das Wohl ihrer Kinder. Gerade im Bereich Bildung brauchen wir Kontinuität und Verlässlichkeit.
Es ist Ihnen sicher nicht neu, dass das Vertrauen in einzelne Politiker außerordentlich gering ist. Es liegt nach Umfragen unter 10 %. Ich finde erschreckend, dass auch das Vertrauen in die Demokratie als Institution immer weiter zurückgeht. Im Osten trauen 53 % der Bevölkerung der Institution Demokratie nicht mehr zu, dass sie tatsächlich Probleme lösen kann. Das macht mir, die ich in einer Diktatur aufgewachsen bin, große Angst.
Mag sein, dass das mangelnde Vertrauen aus Unkenntnis über die Funktionsweise demokratischer Institutionen herrührt, wie Prof. Patzelt immer sagt, aber ich glaube, das hat auch etwas mit der Nichterbringung von parlamentarischen Leistungen zu tun. Ich bin der festen Überzeugung: Wo Anträge, Gesetzentwürfe und Initiativen der Opposition offenkundig den Mehrheitswillen der Bevölkerung aufgreifen, müssen Abgeordnete der Mehrheitsfraktion diese Anliegen aufnehmen und nicht aus falsch
verstandener Loyalität die Regierung schützen.
Das können die Menschen nicht verstehen. Wo Vertreter der Exekutive, aus welchen Gründen auch immer, sich gegenseitig blockieren und damit ein politisches Vakuum erzeugen, müssen Abgeordnete, vor allen Dingen der Mehrheitsfraktion, Führungsverantwortung übernehmen und Entscheidungen einklagen, so wie es der Abg. Colditz getan hat.
Wir Parlamentarier von der CDU bis zu den LINKEN sind nicht die Belegschaft der Staatsregierung, sondern ihr Aufsichtsrat.
Um bei diesem Deutungsmuster zu bleiben: Der Aufsichtsrat kann und muss sogar in vielen Bereichen dem Vorstand freie Hand lassen. Doch wenn der Vorstand sich zu weit von den Interessen der Shareholder entfernt, dann ist es nicht nur Aufgabe, sondern Pflicht des Aufsichtsrates, und in diesem Sinne des Parlaments,einzuschreiten.
Ich bin nicht Ihrer Meinung, Herr Flath, dass dies hinter verschlossenen Türen geschehen muss.Wir Abgeordneten repräsentieren die Bürger von Sachsen. Wir sind zuallererst ihnen verpflichtet und nicht der Staatsregierung.
Das ist die Vertrauensgrundlage für den informellen Pakt zwischen Politik und Bürgern. Das ist repräsentative Demokratie. Ich möchte als Abgeordnete die Minister Wöller, Unland und Frau Prof. Schorlemer — auffordern, uns ein gemeinsames Konzept vorzulegen, wie Sie dieses Problem lösen wollen. Wir sind verpflichtet dazu, hier eine Lösung zu finden. Keiner hat gesagt, dass das, was wir hier im Parlament machen, ein Spaziergang werden wird. Wir müssen eine Lösung finden, Finanzen und Bildungspolitik adäquat gegeneinander abzuwägen, weil es in beiden Bereichen um die Zukunft unserer Kinder geht.
Vielen Dank.