Annekathrin Giegengack zur Sicherung des Faches Wirtschaft-Technik-Haushalt/Soziales

An den sächsischen Mittelschulen herrscht inzwischen ein dramatischer Mangel an qualifizierten Nachwuchslehrkräften im Unterrichtsfach ‚Wirtschaft-Technik-Haushalt/Soziales (WTH)
Redeauszüge der Abgeordneten Annekathrin Giegengack zum Antrag „Einsatz des Berufswahlpasses für Schüler ab Klassenstufe 7“ in der 28. Sitzung des Sächsischen Landtages, 19.01., TOP 4
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!
Einige hat es verwundert – andere, die mehr im Stoff stehen, haben bereitwillig zugestimmt, dass wir heute unseren Antrag zur Sicherung des Faches ‚Wirtschaft-Technik-Haushalt/Soziales (WTH) zum Berufswahlpass-Antrag der CDU dazugelegt haben. Nun es geht inhaltlich um dasselbe, die erfolgreiche Berufsorientierung und die erfolgreiche Berufsvorbereitung sächsischer Schülerinnen und Schülern.
Während der CDU-Antrag zum Berufswahlpass für alle Schüler weiterführender Schulen also auch Gymnasien und Förderschulen relevant ist, geht unser Antrag über den der CDU hinaus, da die Sicherung eines ganzen Unterrichtsfaches an den Mittelschulen zum Thema gemacht wird, das explizit der Berufsorientierung und Berufsvorbereitung dienen soll. Die Anträge schließen sich daher nicht aus, sondern ergänzen sich sinnvoll.
2009 entsprach in Sachsen nach vielen Jahren erstmals das Lehrausbildungsangebot auch der Nachfrage nach Lehrstellen, allerdings nur rein rechnerisch. Sowohl in regionaler als auch in inhaltlicher Hinsicht fiel Angebot und Nachfrage erheblich auseinander. Das heißt, in einigen Regionen kam der Bedarf der Wirtschaft an Auszubildenden nicht zusammen mit dem Interesse, der Bereitschaft und dem Vermögen der Jugendlichen, dieses Angebot anzunehmen. Diese Schieflage ist sowohl für die Wirtschaft ein Problem, da sie einem zunehmenden Fachkräftemangel entgegen geht, als auch für die Jugendlichen, da damit ihr Einstieg ins Erwerbsleben gefährdet ist.
Nun angesichts dieser Diskussion könnte man bei oberflächlicher Betrachtung, die beiden hier vorliegenden Anträge als sogenannte Schaufensteranträge abtun, da beide ja auf bereits bestehende Instrumente der Berufsorientierung und Berufsvorbereitung abstellen und nichts weltbewegend Neues in die Diskussion einbringen. Wir sind jedoch überzeugt, dass wir in Sachsen bereits über durchaus sinnvolle Konzepte und Instrumente zur Berufsorientierung und Berufsvorbereitung verfügen und es vielmehr darauf ankommt, sie auch wirksam werden zu lassen. Beide Anträge greifen daher Defizite der gegenwärtigen Praxis auf.
So fordert die CDU die Staatsregierung auf zu berichten, welche Effekte der Berufswahlpass seit seiner Einführung tatsächlich entfaltet hat und ab wann damit zu rechnen ist, dass alle Schüler über einen solchen verfügen.
Aktuell arbeiten 79 Prozent aller sächsischen Mittelschulen mit diesem Pass. Dies ist in der Tat etwas verwunderlich, ist doch der Berufswahlpass im Lehrplan des Faches WTH im verpflichtenden Lernbereich Berufsorientierung unter dem Lernziel ‚Gestalten der Vorbereitung auf die Berufswahl‘ der Klassen 8 konkret aufgeführt. Wieso verfügen dann nur Dreiviertel aller Mittelschüler über einen solchen Pass?
Und ein Blick in den Lehrplan dieses Faches ist durchaus lohnend, auch oder gerade weil darüber ersichtlich wird, dass wir das Rad in Punkto Berufsorientierung und Berufsvorbereitung, jedenfalls was die sächsischen Mittelschulen angeht, nicht neu erfinden müssen. Hinsichtlich des Aufbaus und der Gestaltung, der Gliederung von Lernzielen und Lerninhalten, den inhaltlichen Erläuterungen, den Verweisen auf geeignete Lehr- und Lernmethoden wird der Lehrplan den vorgegebenen Zielen und Aufgaben des Faches nämlich der Berufsorientierung und Berufsvorbereitung durchaus gerecht.
Doch, und hier sind wir bei dem Defizit, dass meine Fraktion mit dem heutigen Antrag aufgreift: An den sächsischen Mittelschulen herrscht inzwischen ein dramatischer Mangel an qualifizierten Nachwuchslehrkräften für dieses Fach. Ursache dafür ist u.a., dass die Universitäten Leipzig und Dresden gar keinen Lehramtsstudiengang Mittelschule für das Fach WTH anbieten und WTH als ordentliches Prüfungsfach für das Lehramt Mittelschule auch in der Lehramtsprüfungsordnung I nicht enthalten ist.
Das Fach WTH kann im Freistaat Sachsen weder studiert noch kann ein Lehramtsabschluss für dieses Fach erworben werden. Zwar sieht die Lehramtsprüfungsordnung I Erweiterungsprüfungen in den Teilfächern Wirtschaft (§ 58), Technik (§ 57) und Haushaltslehre (§ 46) vor, doch auch für diese Teilfächer existieren keine genehmigten Lehramtsstudiengänge an beiden Universitäten.
Das erklärt auch die Altersstruktur der WTH-Lehrkräfte. Wie aus der Antwort auf meine Kleine Anfrage hervorgeht, sind von den 993 Lehrern mit Unterrichtseinsatz im Fach WTH, lediglich 13 Prozent, d.h. 133 Lehrer, jünger als 45 Jahre. In den letzten fünf Jahren gab es keinen einzigen Bewerber für den Vorbereitungsdienst Lehramt Mittelschule im Fach WTH. 87 Prozent d.h. 860 der WTH Lehrer sind 45 Jahre und älter. Sie haben ihre Ausbildung zu einem überwiegenden Anteil noch zu DDR-Zeiten erworben. Über ein Viertel dieser Lehrer geht in den nächsten Jahren in den Ruhestand.
Bisher konnte mir noch niemand die Frage beantworten, wie es sein kann, dass in Sachsen für ein Pflichtfach mit 8 Wochenstunden keine Lehrer ausgebildet werden. Es ist vielleicht auch müßig, dem auf den Grund gehen zu wollen. Tatsache ist, dass wenn keine Maßnahmen ergriffen werden, das Fach WTH in wenigen Jahren aus der Stundentafel der Mittelschule gestrichen werden muss. Das halte ich für fatal, eben gerade weil wir uns dem Thema Berufsorientierung und Berufsvorbereitung der Schüler und Schülerinnen intensiver widmen müssen.
Nun meine Fraktion wird dem CDU-Antrag zustimmen, weil er ein wichtiges Instrument der Berufsorientierung und Berufsvorbereitung voranbringen möchte und seine Anwendung und Wirksamkeit hinterfragt. Wir würden uns natürlich freuen, wenn sie im Sinne der Sache auch unserem Antrag folgen würden. Ich halte dies auch für eine Frage der Glaubwürdigkeit ihres hier vorgebrachten Anliegens.