Antje Hermenau: Das Nichts glänzend umhüllen, damit es nach etwas aussieht

Redebeitrag der Fraktionsvorsitzenden Antje Hermenau
zur Fachregierungserklärung ‚Starke Wirtschaft für ein starkes und lebenswertes Sachsen‘
98. Sitzung des Sächsischen Landtages, 18. Juni 2014, TOP 1

– Die Rede wurde zur Protokoll gegeben –

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
eines Ihrer großen Themen heute in Ihrer Darstellung, Herr Staatsminister, war die Zuwanderung. Nun sprechen Sie da ja aus Erfahrung, denn auch Sie sind ja aus Baden-Württemberg nach Sachsen zugewandert. Was ich allerdings vermisse, ist, neben diesen vollmundigen Behauptungen, eine große und mit Leidenschaft vorangetriebene Zuwanderungskampagne der Staatsregierung bei der eigenen Bevölkerung. Wer nicht nur ein Lautsprecher nach außen sein will, muss auch dafür sorgen, dass die innenpolitischen Verhältnisse dieser Ansage nach außen entsprechen. Dass die Akzeptanz von erheblicher Zuwanderung in der sächsischen Gesellschaft noch eine große Herausforderung ist, weiß ja jeder, der hier lebt.
Eine solche Kampagne haben Sie nicht in Angriff genommen. Beim Einbürgerungsfest vor ein paar Tagen war kein Mitglied der FDP zu sehen. Wo haben Sie sich der Verunglimpfung von Asylbewerbern entgegengestellt?
Nun hat Ihnen die AfD dieses Thema – zumindest teilweise im Bereich der geregelten Zuwanderung von Fachkräften – thematisch aus der Hand genommen.
Sie sprachen die Pendler an. Sachsen habe das niedrigste Pendlersaldo der ostdeutschen Länder. Sie stellen das positiv dar. Das ist, gelinde gesagt, etwas gemogelt. Zum einen ist das eine Frage der Würde. Zum anderen würden Sachsen nach Thüringen zur Arbeit pendeln. Nun, das ist kein Grund zur Freude! Die sächsische Niedriglohnstrategie, die Sie wesentlich mit zu verantworten haben, führt dazu, dass man sogar in Thüringen mehr Geld verdient. Und dort gibt es auch noch Arbeitsplätze im Bereich der erneuerbaren Energien, denn da wurde diese Branche gefördert und nicht wie in Sachsen torpediert.
Aber so sind Sie: ein Verpackungskünstler, der das Nichts glänzend umhüllt, damit es nach etwas aussieht. Sie sprechen davon, dass es in Sachsen „reichlich Lehrstellen gäbe“.
Nun, das liegt in erster Linie an dem Geburtenrückgang der 90er Jahre, auf den Sie keinen persönlichen Einfluss hatten, hoffe ich. Und es ist auch keine Kunst, „weniger Arbeitslose“ vorauszusagen – das ergibt sich aus der demografischen Entwicklung, die weniger Arbeitskräfte insgesamt und fehlenden Nachwuchs in den Firmen zur Folge hat.
Sie reden von der „Sicherung des Fachkräftebedarfs“ und haben da nichts Entscheidendes auf den Weg gebracht. Die guten PISA-Ergebnisse gehen noch auf die sehr gute fachliche Ausbildung der Lehrer und Lehrerinnen zurück, die sich jetzt dem verdienten Ruhestand nähern. Sie haben keine „Rahmenbedingungen für eine positive wirtschaftliche Entwicklung“ gestaltet, wie Sie hier kühn behaupten, sondern die Lehrerfrage schleifen lassen, die Crystal-Problematik lange unterschätzt, Zuwanderung nicht zu breiter gesellschaftlicher Akzeptanz verholfen und den Breitband-Ausbau erst ernst genommen, als nicht nur wir, sondern auch die EU das vehement einforderte. Ich höre noch das Geschwätz von Hotspots in Gemeinden, wo dann alle bei jedem Wetter auf dem Marktplatz mit ihren Laptops hocken.
Sie mahnen den Klassiker „Entbürokratisierung“ an. Wer hat denn die letzten fünf Jahre regiert? In Sachsen und in Deutschland? Sie hatten die Macht und die Gelegenheit, das zu ändern. Herausgekommen ist nichts. Diese Macht war an Sie verschwendet. Sie haben keinerlei Ansprechpartner im Bundestag und im Bundesrat mehr. So bleibt das auch erst einmal die nächsten Jahre. Durchsetzen können nur noch CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in den nächsten Jahren etwas.
Sie hätten natürlich auch trotz dieses verdienten Machtverlustes etwas für den sächsischen Mittelstand machen können. Warum haben Sie das nicht getan, eine Mehrheit wäre parteiübergreifend da gewesen. SPD und Bündnisgrüne, aber auch Kollegen der CDU wie Norbert Barthle wären Partner gewesen, wenn wir den Mittelstandsbauch innerhalb des Einkommenssteuertarifes ausgeglichen hätten, indem wir am oberen Ende etwas stärker besteuern. Aber da stehen Sie ja wieder ideologisch quer und schützen zuverlässig die Interessen weniger einzelner.
Sie wollen Zukunftsbranchen entwickeln. Nun ja. Wichtiger wäre es, in den Branchen die Frage der Zukunftsfestigkeit zu diskutieren und da Vorkehrungen zu treffen. Junge Menschen in den Städten sehen zum Beispiel keinen Fetisch im Auto mehr, sondern leasen oder treten Genossenschaften wie TeilAuto bei. Wenn sie mal eins brauchen, haben sie es, aber sie haben es nicht „an der Backe“.
Wie reagiert die Automobilbranche auf diesen Trend? Oder wie löst sie die Frage der Kraftstoffe und der Emissionen?
Natürlich haben auch andere Parteien die politische Verantwortung, immer ein wachsames Auge auf die unternehmerische Gesamtbelastung zu haben. Und da stellt der Mindestlohn viele Handwerker und kleine Unternehmer vor große Herausforderungen, wenn die Gewinnmarge sowieso schon nur noch ein bis zwei Prozent beträgt. Da können wir Bündnisgrünen nicht einfach darüber hinweggehen. Das sollten auch SPD und Linke nicht tun. Die Frage der kalten Progression, der Lohnnebenkosten oder auch z. B. der Steuererleichterung für Forschung und Entwicklung stehen da im Raum.
Wirklich frech finde ich Ihre Ausführungen zum Thema Bahnverkehr. Sie haben Bundesmittel zum Ausbau der Bahn aus ideologischen Gründen verfallen lassen und wir müssen nun von diesem niedrigen Niveau, dass Sie persönlich zu verantworten haben, um die Regionalisierungsmittel in Zukunft hart kämpfen. Aber ich wette, Sie finden wieder irgendjemanden, den Sie für Ihr Versagen verantwortlich machen können.
Mit dem Mikroelektronikcluster sollten Sie sich nicht schmücken, das sind fremde Federn. Das verdankt Sachsen ausdrücklich dem persönlichen Engagement des MP. Da muss auch ein Wirtschaftsminister, der um sein Amt ringt, bei der Wahrheit bleiben.
Ihre Ausführungen zum Thema Energie sind z.T. recht abenteuerlich. Nachdem Sie einen ideologischen Kreuzzug gegen die Erneuerbaren angezettelt haben, auf dem viele Investitionen vernichtet wurden, kommen Sie hier immer noch mit Blendverpackungen der eigenen gravierenden politischen Fehler: Nicht die Energiewende wird scheitern, sondern die FDP! Im Juli wird die Energiewende auf neue Beine gestellt, indem nicht nur das EEG novelliert wird, sondern auch ein nationaler Rahmenplan für den weiteren Ausbau zum Tragen kommt. Dann sind Ihre energiepolitischen Sperenzchen Geschichte – bei der Bauordnung und dem Abstand von Windrädern wird sich das noch vor der Landtagswahl im Bundestag herausstellen und Sie werden in Ihrer Machtlosigkeit baden können. Ihre einsamen Vorträge im Bundesrat, Herr Morlok, sind Gegenstand vielfältiger lakonischer Bemerkungen, sonst nichts.
Sie haben keinerlei Partner mehr, weder auf Bundes- noch auf Landesebene. Und das bleibt auch die nächsten Jahre so. Nach Sachsen, Brandenburg und Thüringen werden Hamburg und Bremen 2015 wählen – da macht die FDP auch keinen Stich. Verlorene Spenden, verlorene Liebesmüh. Es liegt doch an Akteuren wir Ihnen, Herr Morlok, oder Ihrem Parteichef Herrn Zastrow, dass die FDP zu Recht einen solchen schlechten Ruf im Lande hat. Herr Zastrow stand ‚Seit an Seit‘ mit Herrn Rösler und Herr Brüderle. Daran möchte er heute nicht mehr erinnert werden, aber wahr bleibt es doch.
Eine Rettungsaktion für die sächsische FDP, wird für die FDP gut sein, aber nicht für Sachsen. Das ist eine Isolationsstrategie, die uns in den gewichtigen Zukunftsfragen Energie und Länderfinanzausgleich massiv ins Hintertreffen bringen würde. Die FDP wird nicht nur nicht gebraucht – sie würde uns schaden.
Ihr Kaninchenbeispiel mit DDR-Bezug finde ich auch reichlich gewagt. Zum einen zeigt es doch, dass die DDR-Bürger sehr marktwirtschaftlich gescheit waren, wenn sie staatliche Subventionen abgriffen. Das tun heute auch sehr viele Unternehmer. Das tun auch die großen Stromkonzerne, die sich die Stromerzeugung aus Kohle und Atom mir vielen indirekten Subventionen versüßen lassen. Hat ja auch etwas von DDR, dieser Branchensozialismus, den Sie so energisch unterstützen.
Die DDR ist zu Recht gescheitert. Der angelsächsische Kapitalismus ruiniert die Realwirtschaft. Der rheinische Kapitalismus stößt an seine Verteilungsgrenzen. Eine neue Aufstellung der sächsischen Wirtschaftspolitik, die den Wettbewerbsgedanken als grundlegendes Prinzip im Zentrum hat, ist unumgänglich. Sie leisten dazu keinen nennenswerten Beitrag.
Sie schimpfen auf die Stromkosten, legen aber gleichzeitig eine ausufernde Befreiung von der EEG-Umlage fest und legen die Unternehmen wieder an den Tropf des süßen Giftes indirekter Subventionierung. Das muss gestoppt werden. Und bundeseinheitliche Netzentgelte müssen her, denn im Moment tragen wir im Osten die Last des Ausbaus. Über einen Cent weniger pro kWh müssten wir in Sachsen zahlen, wenn Sie das in Angriff genommen hätten. Nicht nur sieben grüne Wirtschafts- und Energieminister wären auf Ihrer Seite gewesen. Aber nein, Sie müssen Ihren ideologischen Kampf gegen die Windräder weitertreiben, um Wählerstimmen zu binden. Nicht bar jeder Vernunft, sondern gegen jede Vernunft.
Wissen Sie, Herr Morlok, Don Quixote hatte wenigstens noch ritterliche Ziele, als er gegen die Windmühlen kämpfte, auch, wenn er ein verwirrter Mensch war.
Sie wirken verwirrt, aber das liegt daran, dass Sie ein Glücksritter sind, dem das Wohl unseres Landes schon lange aus dem Blickfeld geriet.
Sie kündigen einen „Rückgang der Arbeitslosenzahlen“ an. Natürlich, jetzt werden alle gebraucht, denn die Auswirkungen der demografischen Entwicklung schlagen durch. Einen Wirtschaftsminister, der sich über das statistische Landesamt mokiert, aber deren Zahlen als eigene Politik ausgibt, macht sich in meinen Augen lächerlich. Sie beschreiben, was sowieso kommt, egal, was Sie machen. Aber was machen Sie denn? Für gering qualifizierte werden auch in Zukunft kaum Jobs zur Verfügung stehen. Was sind Ihre Lösungsvorschläge, Herr Arbeitsminister?
Sie und Ihre Partei haben einen großen Anteil daran, dass wir mit einem moralischen Ausverkauf in der Gesellschaft umgehen müssen. Das schnelle Geld für einige zerstört das dauerhafte Geld für viele. Das ist ein moralischer Ausverkauf.
Sie beschwören die Technologie. Nun, Technik ist aber doch kein Fetisch. Auch die Atombombe war eine technologische Neuerung – aber nur, weil man es kann, jetzt dauernd weitere zu bauen, verbietet sich moralisch zu Recht.
Die Enquete-Kommission des Landtages hat klar aufgezeigt, was wirklich in Sachsen nötig ist, um den Mittelstand und das Handwerk erkennbar zu unterstützen:

  • Unsere Wirtschaft braucht soviel Unterstützung bei Forschung und Entwicklung wie möglich. Ihre Kleinteiligkeit hat sich als Vorteil in der Krise erwiesen – sie war weniger anfällig. Aber sie ist ein Nachtteil beim Thema Innovation.
  • Innovationen sind nicht nur High-Tech-Produkte und Break-through-Technologien, sondern solche Innovationen erweisen sich zunehmend als wichtig, die eine stabile wirtschaftliche Prosperität unterstützen oder, anders gesagt, unseren Wohlstand mit anderen technischen Mitteln sichern.

Der Innovationsbegriff, den Sie vertreten, greift zu kurz. Die Rolle des Handwerks bei Innovationen ist vielschichtig und erfolgreich. Es hat eine Anerkennung als innovative Branche schon lange verdient. Innovativ wird in Zukunft sein, wer mit den neuen globalen Rahmenbedingungen im Alltag gut zurechtkommt.
Also, Herr Wirtschaftsminister, wo ist Ihr Aufschlag im Bereich Recyclingwirtschaft? Wo ist die First-Mover-Strategie im Bereich Umwelttechnik? Wie wollen Sie das Größenwachstum der sächsischen Unternehmen befördern? Warum stocken Sie die Bürgschaftsvolumina nicht auf? Welches ideologische Hexenwerk hält Sie von der Stärkung der kommunalen Wirtschaftsförderung ab? Warum behindern Sie Regionalbudgets und vertrauen nicht im besten subsidiären Sinne den Entscheidern vor Ort? Regionale und globale Wirtschaft sind zwei Seiten derselben Medaille. Wo ist Ihre Gründerstrategie? Und wo, so frage ich Sie, bleibt Ihre Kampagne zur Würdigung des Unternehmertums an sich? Warum helfen Sie nicht besonders Frauen beim Schritt in die Selbstständigkeit? Warum helfen Sie nicht dabei, die Rolle der Hochschulen wieder zu normalisieren, indem sie sie nicht auf Drittmitteljagd schicken, sondern zu mehr Grundlagenforschung animieren und dementsprechend finanziell ausrüsten? Grundlagenforschung ist Wirtschaftsförderung. Warum nehmen Sie das innovative Handwerk nicht in die Förderung auf?
Nach Ihrer Erklärung und den katzengüldenen Verpackungen des entsetzlichen Nichts bleiben wir heute hier etwas ratlos zurück. Aber das wird ja nicht mehr lange dauern.