Antje Hermenau: Der Aufschluss von Nochten II wird nicht gebraucht
Redebeitrag von Antje Hermenau zum GRÜNEN Antrag "Entscheidung des Braunkohleausschusses zu Nochten II – Für Profitinteresse Heimat unwiederbringlich zerstören?", 77. Sitzung des Sächsischen Landtages, 16. Mai 2013, TOP 1
– Es gilt das gesprochene Wort –
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen!
Es ist etwas Unübliches passiert, und das macht diese Aktuelle Debatte notwendig. Und zwar hat am 25. April der Braunkohleausschuss für die Oberlausitz die Entscheidung zur Zukunft des Tagesbaues Nochten II auf den 4. Juni vertagt; das wird also noch kommen. Deswegen haben wir die Aktuelle Debatte angestrengt.
Der Hintergrund ist interessant, denn es ist unüblich, dass so etwas vertagt wird: Das vom Wirtschaftsministerium vorgelegte Gutachten, das den Aufschluss des Tagebaues Nochten II in der Lausitzer Braunkohle für unumgänglich erklärt, hat ein Gegengutachten vom DlW Berlin erfahren, in dem das Fazit ein ganz anderes ist: Dass Nochten II aus ökonomischen Gründen nicht erforderlich ist.
Das ist meines Erachtens in der Tat eine Diskussion hier im Landtag wert. Man muss nicht immer Ideologieschmeißerei betreiben bei der Energiefrage; man kann sich hier einmal ganz sachlich – meine Damen und Herren von der Koalition – über die Frage der Aufschlüsselung von Tagebauen in der weiteren Braunkohleverstromung unterhalten. Das Verfahren ist also nicht abgeschlossen.
Es gibt zwei starke Argumente gegen den Aufschluss von Nochten II: ein ökonomisches, zu dem ich gleich komme, und ein zivilisatorisches – die Frage des Heimatverlustes: eines doppelten Heimatverlustes für Sachsen und für Sorben.
Das Gutachten ist von Prof. Hirschhausen erstellt – nicht dem Hirschhausen, den Sie kennen, sondern seinem Bruder – und dieser Herr Hirschhausen ist Volkswirtschaftler und Wirtschaftsingenieur. Er hatte 2004 einen Ruf an die TU Dresden und hatte dort den Lehrstuhl der DREWAG, Stiftungslehrstuhl für Energiewirtschaft, inne. Wir sprechen also von einem Gutachten von jemandem, der bei Ihnen hohes Vertrauen genießen dürfte, so wie Sie konstruiert sind.
Er berät auch das Bundesverkehrsministerium. Dieser Herr Hirschhausen hat im Fazit Folgendes zu Nochten II festgestellt: „Aus der obigen Berechnung ergibt sich, dass die Versorgung des Kraftwerks Boxberg bis zu dessen voraussichtlich vollständigem Auslaufen aus dem bestehenden Tagebau Nochten (Teilfeld 1) sowie Reichwalde möglich ist. Die Inanspruchnahme der in Teilfeld 2 des Tagebaus Nochten lagernden Kohlevorräte ist daher nicht erforderlich. Auch eine Betrachtung des gesamten Lausitzer Braunkohlereviers liefert keine anderen Ergebnisse.“
Dieser Aufschluss von Nochten II wird nicht gebraucht.
Das Gutachten, das Sie, Herr Morlok, als amtierender Wirtschaftsminister in die Diskussion geworfen haben, spricht davon, dass man die C02-Speicherung mit einpreisen müsse, und dann wäre das alles doch sehr wirtschaftlich. Diese C02-Speicherung unter der Erde wurde aber von der Energiewirtschaft selbst abgesagt.
Sie ist keine Rechengröße mehr in den Diskussionen, die wir hier führen. Sie haben das Demonstrationsobjekt auf Eis gelegt; sie hat sich von der Diskussion verabschiedet.
Sie mogeln, indem Sie behaupten, dass die Braunkohle subventionsfrei sei. Das ist sie in Sachsen – auch in diesem Gutachten ausgeführt – nachweislich nicht. Sie verzichten auf mindestens 2 Millionen Euro Einnahmen beim Wasserrecht – das wissen Sie ganz genau.
Es kommt hinzu, dass es schwierig ist, einen Marktwert für Braunkohle zu ermitteln, von dem dem Land 10 Prozent zustünden. Dies war schon Gegenstand der Haushaltsdiskussionen im Herbst letzten Jahres. Das ist so, weil es keinen Markt für Braunkohle gibt. Keiner will das Zeug kaufen; und dafür gibt es Gründe.
Die Frage ist, wie man das vielleicht berechnen könnte. Sie haben pauschal fünf Euro pro Tonne unterstellt. Wenn man es zumindest vom Brennwert her einmal mit der Steinkohle vergliche, die einen gewissen Marktwert hat, dann müsste man mindestens 20 Euro pro Tonne erheben und dem Freistaat Sachsen zuführen.
Dass Sie ein Lobbyist von Vattenfall sind, Herr Krauß, wissen wir alle; Sie müssen das hier nicht verstärken, das ist uns bekannt.
Sie müssten mindestens 20 Euro pro Tonne – ich habe dies aus dem Gutachten zitiert – einnehmen. Die negativen Umwelteffekte diskutiere ich gar nicht. Der Lobbyist von Vattenfall wird nachher noch zu Wort kommen, aber bleiben wir bei der Frage, ob Vattenfall selbst – ein schwedischer Staatskonzern — das alles überhaupt noch betreiben möchte. Die haben eigene Ziele – vorgegeben von der schwedischen Staatsregierung – und diese sehen vor, bis zum Jahr 2020 – also in wenigen Jahren – von 94 Millionen Tonnen CO2 auf 65 Millionen Tonnen CO2 herunterzukommen bei dem, was die Firma betreibt. Davon werden auch Kraftwerke in Deutschland betroffen sein – sehr wahrscheinlich in Ostdeutschland; Lippendorf steht immer in der Rede. Dieser Block wird entweder verkauft und bei Vattenfall vom Geschäft abgestoßen oder aber stillgelegt.
Dann muss man doch keinen neuen Tagebau mehr aufschließen; das ist doch ökonomisch völlig widersinnig.
Deswegen finde ich, dass es sich lohnt, heute hier darüber zu diskutieren. Wir werden gleich ganz verschiedene Argumente hören und dann werden wir sehen, was zu den ökonomischen Argumenten zu sagen ist. – Wir kommen später noch auf die zivilisatorischen Argumente und auch auf die Umweltschäden zu sprechen.
Danke schön. – Herr Kollege von Breitenbuch, Sie sagten, die Menschen, die in der Braunkohle arbeiten, würden dort eine Heimat finden. Ich komme aus einem Braunkohlerevier; meine Kindheit war davon geprägt. Ich weiß also, wovon ich rede.
Wenn Sie sich die Abwanderungszahlen nach Umsiedlungen anschauen, stellen Sie fest, dass ungefähr ein Drittel der umgesiedelten Bevölkerung „verloren geht“; das sind meistens junge Menschen. Ich komme noch darauf zu sprechen, wenn es speziell um die Sorben geht.
Was Sie hier predigen, ist ein Leben in einer Heimat ohne Zukunft. Dann arbeiten noch ältere Menschen und Menschen mittleren Alters in der Braunkohle, aber die jungen Menschen sind weggegangen, und es bleibt niemand mehr übrig. Ich würde das sehr genau bedenken im Hinblick auf das Argument, das Sie vorgetragen haben.
Sie haben gemeint, unser Antrag sei Ausdruck von Trittbrettfahrerei. Wie gesagt, ich komme aus einer Braunkohleregion im Leipziger Raum, weiß also, wovon ich rede. Ich bin dort großgeworden und habe viel erlebt. Vor diesem Hintergrund und vor dem Hintergrund dessen, dass ich 1997 angefangen habe, den Sorben zur Seite zu stehen, als der damalige Innenminister Kanther aus Hessen – CDU! – versuchte, die Zahlungen des Bundes an die Sorben zu minimieren, dürfen Sie mir durchaus zugestehen, dass ich weiß, wovon ich rede, wenn ich von den Sorben rede. Einer von ihnen ist Mitarbeiter in meinem Bautzener Büro.
Sie haben die Frage gestellt, Herr Kollege von Breitenbuch, warum wir diese Diskussion anstrengen. Sie haben das mit einigen – wie ich finde – sehr ehrverletzenden Thesen untermalt. Ich habe versucht, Ihnen das zu erläutern. Sie haben es vielleicht nicht gehört. Ich engagiere mich seit 15 Jahren in der Region, in Regionalbüros in Bautzen. Ich bin am 7. April das letzte Mal in Rohne gewesen beim Heimatspaziergang.
Worauf es dabei ankommt, ist, dass heute die Möglichkeit besteht, sehr ruhig und bedacht darüber nachzudenken, ob es wirklich erforderlich ist, Nochten II aufzuschließen oder nicht, unabhängig davon, dass Sie, wir und andere unterschiedliche Energiestrategien forcieren. Das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass dieser konkrete Tagebau aus unserer Sicht nicht notwendigerweise aufgeschlossen werden muss. Man muss auch keine Ausreden bezüglich stofflicher Verwertung erfinden, denn die chemische Zusammensetzung von Braunkohle ist unterschiedlich im Südraum Leipzig und in der Lausitz.
Der Punkt ist, dass die Möglichkeit besteht, auch wenn es ein langer und schwieriger Prozess war, und alle, die teilgenommen haben, unheimlich froh sind, dass das hinter ihnen liegt und sie endlich einmal entscheiden dürfen, innezuhalten und gut nachzudenken, ob man Heimatverlust in Kauf nimmt, wenn man sich nicht wirklich sicher ist, dass es notwendig ist. Das ist das Argument, warum wir diese Debatte hier heute angestrengt haben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen!
Herr Funda, der Ortsvorsteher von Rohne, einem Ortsteil von Schleife, hat mir gestern eine E-Mail geschickt und mich gebeten, heute mit für ihn vorzutragen, dass der Eindruck erweckt werden würde, dass die Bevölkerung, die gewählten Gremien bereits mit Vattenfall einig seien, weil verhandelt wird. Und ich solle hier deutlich sagen, dass das so nicht stimme. Sie sind sich nicht einig, sondern sie fügen sich.
Die Menschen, die ich getroffen habe am 17.04. in Rohne, haben sich auch zum Teil entmutigt gezeigt, weil sie den Eindruck haben, dass sich Vattenfall auch in einer Demokratie alles kaufen kann – sogar Heimat kann sie wegkaufen.
Ich meine, ich muss nicht die ganze innersorbische Debatte hier vortragen, aber es ist schon erheblich, was da klar wird, weil gerade die Ortsteile um Schleife herum – wenn man sich ein bisschen damit beschäftigt – kulturell deutlich machen, dass es eine spezifische individuelle kulturelle Gruppe um diesen Ortsteil herum gibt, deren sorbische Substanz – damit rechnen auch die Sorben selber, wie Herr Sroka – vielleicht diese Übersiedlung dann nicht mehr überstehen wird. Man muss dann sehen, ob sie es überhaupt hinbekommen, bestimmte Eigenheiten innerhalb der sorbischen Kultur dort zu retten.
Mich erinnert das alles an die Diskussion, die wir im Leipziger Raum hatten, als es darum ging, ob die Mibrag in Sachsen-Anhalt den Ort Röcken bei Lützen wegbaggert. Da ist das Grab von Friedrich Nietzsche. Nicht jeder muss ein Fan von Friedrich Nietzsche sein, so wie vielleicht auch nicht jeder weiß, wer Hanzo Njepila war. Aber das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass auch Kulturgut verloren geht.
Ich frage einfach, ob Nochten II das alles wert ist, Herr Jurk, wenn man sich nicht sicher ist, ob man die Kohle, die man da an die Oberfläche bringen will, überhaupt braucht und wozu man sie braucht. Das finde ich unverschämt.
Da sage ich den Sorben: To je waša domizna – a tež moja.
(sorb.: "Das ist Eure Heimat – aber auch meine.")
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