Antje Hermenau: Es sind keine Steuererhöhungen im Koalitionsvertrag festgehalten. Es steht aber auch nicht darin, dass keine Steuererhöhungen kommen werden
Redebeitrag der Abgeordneten Antje Hermenau in der 2. Aktuellen Debatte zum Antrag der GRÜNEN Fraktion "Rückschritt, Stillstand oder Fortschritt – was kann Sachsen vom Koalitionsvertrag auf Bundesebene erwarten?", 89. Sitzung des Sächsischen Landtages, 18. Dezember 2013, TOP 4
– Es gilt das gesprochene Wort –
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen!
Herr Kollege Krauß, Sie haben als besonderen Erfolg vonseiten der CDU hervorgehoben, dass keine Steuererhöhungen im Koalitionsvertrag enthalten sind. Das stimmt. Es sind keine Steuererhöhungen im Koalitionsvertrag festgehalten. Es steht aber auch nicht darin, dass keine Steuererhöhungen kommen werden. Sie haben einen Gummiparagrafen formuliert. Darauf komme ich gleich zu sprechen.
Was mich umtreibt, ist Folgendes: Die Vorhaben, die Sie aufgeschrieben haben, müssen unter einem neuverschuldungsfreien Haushalt ab dem Jahr 2016 finanziert werden. Das ist Ihnen bewusst.
Wir haben zurzeit einen historischen Tiefstand in Bezug auf die Zinsen.
Staatsanleihen sind sozusagen sehr günstig. Wir können uns günstig verschulden, sagen wir es einmal so herum. Wir haben sehr hohe Steuereinnahmen zu verzeichnen. Das sind zwei besonders günstige Momente, die Herrn Schäuble im Moment helfen, den Bundeshaushalt zusammenzuhalten. Er hat in den letzten Jahren keinen großen Ehrgeiz entwickelt, mehr zu tun. Von einer richtigen Aufgaben- und Ausgabenkritik habe ich auf Bundesebene nicht viel gehört.
Deswegen handelt es sich um eine gewisse Blase, wenn man behauptet, dass – bezogen auf die nächsten vier Jahre – all diese Wünsche auf ihrem Wunschzettel auch wirklich umgesetzt werden können. Ich glaube nicht daran. Der Beweis dafür ist, dass viele Vorschläge, Wunschzettel und Prüfaufträge aufgeschrieben wurden.
Wenn irgendein Manna vom Himmel fällt, wird es gemacht. Wenn das nicht der Fall ist, dann ist irgendwer schuld – im Zweifel die EU oder sonst irgendjemand. Für mich klingt das fast so, als wollten Sie mit der an vielen Stellen in diesem Koalitionsvertrag vorhandenen Lyrik und den Wunschzetteln nachholen, was beide größeren Parteien in den letzten Jahren versäumt haben – nicht nur in Sachsen, sondern auch an anderen Orten.
Es ist nicht solide finanziert. Das ist der erste Punkt.
Dieser Gummiparagraf zur Steuerpolitik zeigt ja eigentlich, dass beide Seiten ein klares Bekenntnis scheuen. Die einen tun das, indem sie sagen, sie wollen Steuerhöhungen, und die anderen tun es, indem sie sagen, sie wollen keine Steuererhöhungen. Beides wird nicht explizit gesagt.
Wenn Sie die Schuldenstandsquote absenken wollen, so ist das im Moment vielleicht plausibel wegen guter Steuereinnahmen und niedriger Zinsen, aber auf Dauer nicht stabil.
Sie wollen starke Kommunen. Das höre ich gern. Was aber ist passiert? Bei der Wiedereingliederungshilfe wird statt der 4 Milliarden Euro, die ursprünglich bei der Aushandlung des Fiskalpaktes versprochen worden sind, 1 Milliarde Euro rübergereicht. Sie merken selber, dass das Geld nicht reicht.
Natürlich werden wir jetzt abwarten müssen, was die Praxis der nächsten 100 Tage bringt, wie Sie sich bewähren, was da alles in Angriff genommen wird. Ich bleibe dabei Sie machen Stillstand statt Strukturreformen. Und da hilft es auch nichts zu suggerieren, ein eventueller schwarz-grüner Koalitionsvertrag wäre präziser und härter gewesen. Sie haben kein Recht, einen schlechten Koalitionsvertrag mit der SPD zu machen, nur weil Sie mit uns keinen machen konnten. Also ganz so einfach ist es nicht.
Die Besitzstandswahrung ist in diesem Koalitionsvertrag erfüllt. Das, was präzise aufgeschrieben ist, geht von dem Grundsatz aus: Hoffentlich ändert sich überhaupt nichts, hoffentlich wird es nicht schlechter, als es ist, und es darf sich nichts bewegen. Das ist das, was in klaren Aussagen festgeschrieben ist. Und das andere, nämlich die Strukturreform und die drängenden Zukunftsaufgaben, wird geprüft. Da wird Zeit gekauft, da wird Ratlosigkeit überdeckt.
Sie warten natürlich die Europawahl ab, das ist doch ganz klar. Sie haben einen riesigen Baukasten aufgeschrieben. In allen Größen gibt es Bausteine, in allen Farben gibt es Bausteine. Man kann es sich dann selbst zusammenbauen. Wie gesagt, ich hoffe darauf, dass die Länder wenigstens davon Gebrauch machen. Aber eigentlich schießt dieser Koalitionsvertrag mit Schrot in der großen Hoffnung, dass schon irgendetwas aus den Zweigen fallen wird.
Kritik ist da natürlich kaum möglich. Das ist klar. Es ist ja alles aufgeschrieben, was man sich nur denken kann. Ich zeige einmal den Wunschzettel: Umwelt, Ressourceneffizienz, Kreislaufwirtschaft, nationale Biodiversitätsstrategie umsetzen, kritisch die breite Massentierhaltung aufgreifen, Vorbehalte gegen Gentechnik anerkennen, Biomonitoring einsetzen. Umsetzen müssen Sie das alles, nicht aufschreiben und den Leuten erzählen, Sie wollten das vielleicht irgendwann machen. Sie müssen es umsetzen.
Das hätten Sie in der Landespolitik längst tun können. Dazu hätte es dieses Vertrages gar nicht bedurft. Sie haben darauf verzichtet, weil Sie sich ideologisch mit Schwarz-Gelb bei diesen ganzen Aufträgen im Wege stehen, die im Koalitionsvertrag formuliert worden sind. Das heißt, Sachsen wird wenig davon haben, dass solche Sachen in diesem Vertrag stehen, zumindest bis zur Landtagswahl, weil Schwarz-Gelb das ideologisch einfach nicht will. Dasselbe gilt für Städtebauprogrammmaßnahmen, für die Umsetzung der Behindertenkonvention und für die Umsetzung der Inklusion. Das sind alles Sachen, die wir in Sachsen längst beschlossen haben und hätten umsetzen können. Das ist alles nicht erfolgt.
Der nächste Wunschzettel ist vielleicht die Lyrik beim Datenschutz und bei der Freiheit im Netz. Am Ende kommt Vorratsdatenspeicherung dabei heraus. Und bei der Gesellschaftspolitik: Familien stärken, Gleichstellung, Integration und Zuwanderung gestalten, Mehrgenerationenhäuser. Beide Parteien haben aufgeschrieben, was sie sich alles wünschen würden, wenn Sie denn könnten. Sie regieren, Sie regieren!
Ich komme auf zwei Punkte, nämlich Bundesteilhabegesetz und Koalitionsvertrag als Absichtserklärung.
Natürlich sind Koalitionsverträge Absichtserklärungen. Es schadet aber nichts, wenn man hier und da einmal reinschreibt, wie man es realisieren möchte, damit die Leute Vertrauen in diese Absichtserklärungen gewinnen. Ich gebe Ihnen recht, dass man natürlich genauso streng auf den Koalitionsvertrag in Hessen blicken wird. Das ist doch ganz normal, das ist auch vernünftig.
Was ich sagen möchte, ist Folgendes: Sie haben noch einmal auf das Bundesteilhabegesetz abgehoben, das ab 2016 gelten soll, wo man diese Zwischenlösung mit der Eingliederungshilfe auflösen möchte. Der gravierende Punkt in dieser Sache ist, dass das ein Versprechen für die Zukunft ist, das Sie nicht garantieren können. Das hat damit zu tun, dass ab 2016 die Schuldenbremse im Bund vollständig gilt. Sie müssen dann nach Kassenlage operieren, und das tun Sie nicht. Es sei denn, Sie würden sich an eine Ausgabenkritik wagen, endlich im Bundeshaushalt dort Kürzungen vornehmen, wo die Zeit über die Dinge hinausgegangen ist, und sich trauen, Geld nicht nur für alte Zwecke, sondern auch für neue Zwecke auszugeben. Auf diesen Schritt haben Sie verzichtet. Sie machen sich abhängig von den Steuereinnahmen des Jahres 2016 – und das in Bezug auf die Kommunen, deren Finanzen Sie eigentlich stabilisieren wollten.
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