Antje Hermenau: Nicht auf den Kapitalmärkten, aber bei den Bürgern ist die Sächsische Regierung hoch verschuldet

Redebeitrag der Abgeordneten Antje Hermenau zur Regierungserklärung
"Auf solidem Fundament erfolgreich in Sachsens Zukunft"
100. Sitzung des Sächsischen Landtages, 09. Juli 2014, TOP 1

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen!
Sie, Herr Ministerpräsident, haben gestern mit Stolz in der Stimme gesagt: Wir leben nicht über unsere Verhältnisse. – Ja, das ist richtig, und das unterstützen wir auch. Das haben wir auch getan. Aber wir leben erkennbar unter unseren Möglichkeiten, und das ruft Bündnisgrüne natürlich kritisch auf den Plan. Wir sind eine Konzeptpartei, wir denken neue Wege vor, bringen sie zur Diskussion, versuchen dann auch aus der Opposition heraus die Koalition zu treiben. Und wir müssen hier über verpasste Chancen sprechen. Das ist schon meine Meinung.
Da hilft es nicht, Schwarz-Gelb zu beschwören, als wäre das eine Lösung. Das führt in die Isolation. Es gibt in Deutschland weder im Bundesrat noch im Bundestag noch irgendeinen Ansprechpartner mit irgendwelcher Macht, der für ein schwarz-gelbes Bündnis hilfreich wäre. Das ist drohender Machtverlust für Sachsen und Isolation.
Ich würde Sachsen nie schlecht reden. Sie haben doch versucht, das so abzubiegen, wenn man Kritik äußern wollte. Aber ich leiste mir schon den Luxus eines eigenen Kopfes. Und wenn ich mir die Realitäten betrachte, dann gibt es hier eine Staatsregierung, die so manches schlecht gemacht hat. Das ist so. Das hat mit Reden nichts zu tun, auch mit Sachsen nichts zu tun, sondern es geht um die Staatsregierung.
Die nächsten fünf Jahre werden nicht so sein, wie die letzten fünf es gewesen sind. Stillstand können wir uns da nicht mehr erlauben. Wir stehen vor einer Legislaturperiode von Veränderungen, in der man vieles anders anpacken muss als bisher, damit Gutes Bestand hat und Schlechtes sich nicht verschlimmert. Da ist eine Stillstandskoalition nicht gefragt, aber vielleicht ein Stanislaw Tillich. Und dann ist die Frage: Wer sind Sie?
Sie haben, wie ich finde, das Erbe Georg Milbradts in der Finanzpolitik in der Grundlinie solide weitergeführt, fast überängstlich, könnte man sagen. Das kostet auch Kraft. Das ist mir klar. Aber Sie hatten auch Unterstützung. Dieses Parlament hat Sie unterstützt und gemeinsam parteiübergreifend eine Schuldenbremse in der Verfassung verankert. Das ist also nicht Ihre eigene Leistung.
Die Sächsische Staatsregierung kann seit vielen Jahren für sich in Anspruch nehmen, nicht auf den Kapitalmärkten überschuldet zu sein. Aber sie ist es inzwischen im Land, bei den Bürgern. Sie ist bei den Schulen in freier Trägerschaft mit über einer halben Milliarde Euro in der Kreide. Das haben Sie über Jahre durch eine falsche Politik angehäuft. Sie ist bei den Eltern in der Kreide, was die Personalausstattung der Kitas und der Schulen betrifft – auch eine falsche Politik.
Die Lehrermisere haben Sie nicht allein zu verantworten. Das würde ich gern konzedieren. Da haben damals die SPD und heute die FDP ihre Verantwortung mitzutragen. Aber Fehler sollte man zugeben. Das haben Sie immer nur so ein bisschen hinten herum gemacht. Ich fand es befremdlich, der Opposition vorzuwerfen, es sei Aktionismus, wenn sie auf einem fundierten Personalentwicklungskonzept für die Schulen besteht. Das ist nicht in Ordnung.
Sie sind bei vielen Bürgern verschuldet, denen der Zugang zu einem guten öffentlichen Nahverkehr verwehrt oder zumindest erschwert wird. Sie sind bei den Demokraten im Lande verschuldet, die seit vielen Jahren gegen Rechtsradikale vor Ort kämpfen, oft auch durch die Staatsregierung behindert oder hinterfragt. Sie beginnen diese Schulden abzutragen, weil nach dem NSU-Skandal die Einsicht eingekehrt ist, dass die Regierung mehr tun muss. Aber das ist mühsam erfochten.
Soziale Verschuldung frisst genauso die Zukunft auf, wie es ökologische Verschuldung oder der Raubbau an der Natur tut oder wie es eben auch die Kapitalmarktverschuldung tut. Die größte ökologische Verschuldung dieser Staatsregierung ist die schlechte Energiepolitik. Darüber haben Sie heute kein einziges Wort verloren. Das Wort „Energie" ist heute in Ihrer Erklärung nicht gefallen. Umweltzerstörung, Heimatfraß, lnvestitionsvernichtung, lnnovationsverzicht – das summiert sich zu einer sehr großen Last für zukünftige Generationen, und Sie haben kein Wort dazu verloren.
Ich verstehe, dass Sie hier nicht unbedingt die EEG-Novelle des Bundestages von vergangener Woche vortragen wollten, weil man da peinlich berührt sein kann. Das kann ich nachvollziehen, zumal dieses Teil schon wieder im Trockendock ist. Aber Sachsen wird die Ausbauziele bei erneuerbaren Energien ohne Hilfe der Staatsregierung 2016 erreichen, die die Staatsregierung für 2025 vorgibt. Also, wenn Sie eine treibende Kraft sind, dann frage ich, wohin Sie rudern.
Ihr Parforceritt durch die Staatsfinanzen 2010 bis 2012 war kaufmännisch nicht durchdacht und sozial sehr kalt. Die letzten fünf Jahre habe ich oft so wahrgenommen: Schnöselig, zynisch, Ellenbogenmentalität, Gleichgültigkeit – all das kam bei Akteuren dieser Koalition immer wieder vor. Herr Milbradt war ein Raubein. Wir erinnern uns alle. Sie sind das ausdrücklich nicht. Aber Sie haben eine sehr raubeinige Koalition geführt. Das muss man schon sagen, und das ist auch nicht gerade sehr sächsisch.
Ich habe mit Interesse verfolgt, wie Sie, Herr Tillich, Ansiedlungs- und Industriepolitik betreiben. Ich schätze Ihr starkes Engagement in dieser Frage. Sie haben da für Sachsen viel erreicht, auch im Bereich der Mikroelektronik, der Forschungsinstitute. Das muss man anerkennen. Das finde ich wichtig.
Aber ich möchte eines betonen, ohne Sie anzugreifen: Wir sind 4 Millionen Sachsen, und diese 4 Millionen Sachsen sind keine wandelnden Standortfaktoren, sondern wir bilden eine vielfältige Gesellschaft, über Kultur, Bildung, Naturverbundenheit, Landwirtschaft, Vereinsleben und Solidarität. Damals, als Sie das Amt von Herrn Milbradt übernahmen, waren Sie in Ihrer ersten Regierungserklärung sehr erpicht darauf, das Wort „Solidarität“ mehrfach hervorzuheben und zu erläutern, was Sie darunter verstehen. Das kam dann später nicht mehr vor und seit 2009 eigentlich gar nicht mehr. Da war dann bei der Sozialpolitik die Rede von Feuerwehrstützpunkten im ländlichen Raum und davon, dass die Ärzte schnell genug bei den älteren Leuten sein müssen, wenn diese krank sind. Das ist nicht Solidarität, sondern darunter verstehen wir schon etwas mehr.
Energie, Umwelt – ich habe schon darauf hingewiesen: Wir könnten in Sachsen Chancen nutzen, wenn wir den Wärmemark terschlössen, wenn wir endlich anfangen würden, das Handwerk nicht nur ständig die Dämmung auf Lattung nageln zu lassen, sondern zum Beispiel einmal über die Anlagentechnik in den Gebäuden nachdächten und damit der Industrie neue Aufträge verschafften.
Natürlich geht es auch um Verbundinitiativen und Regionalbudgets. Man kann – das ist ein Grundsatz, den auch ich teile – auf Dauer nur das ausgeben, was man hat. Das stimmt. Man muss aber auch dafür sorgen, dass man etwas hat, was man ausgeben kann. Da, finde ich, geht deutlich mehr, als bisher erreicht worden ist. Ich habe gesehen, dass sich Forschung und Entwicklung bei den KMUs verbessert hat, aber die Fragen des Größenwachstums der Unternehmen oder der Zahl der Fachkräfte sind weiterhin offen. Technologietransfer, Verbundinitiativen, überhaupt die wirtschaftliche Dynamik sind noch viel zu gering.
Sie haben völlig zu Recht dargestellt, dass die wichtigste Weichenstellung in den nächsten Jahren sein wird, wie die Verhandlungen zum Länderfinanzausgleich und zum Solidarpakt verlaufen. Ich bin nicht die Einzige, sondern die GRÜNEN im Osten insgesamt sind der Auffassung, dass der Solidarpakt 2020 auch wirklich als Ostkrücke zu enden hat. Wir teilen diese Auffassung. Der Westen Deutschlands sortiert sich schon durch, und Nord und Süd im Westen versuchen schon einmal herauszufinden, ob sie ohne Ostdeutschland über Altschuldenhilfefonds und Zahlungsentlastungen diskutieren können. Der Bund ist mit der Schuldenbremse konfrontiert. Schön, dass Herr Schäuble 2015 einen ausgeglichenen Haushalt ansteuert. Er hat historisch niedrige Zinsen. Noch werden die Rentenentscheidungen nicht über die Steuern bezahlt, aber das kommt noch. Und er hat außerordentlich gute Steuereinnahmen. In Sachsen würde so ein Haushalt nicht als solide durchgehen – das muss ich einmal so deutlich sagen –‚ es sei denn, es würden mehr Rücklagen gebildet werden.
Es ist eine schwierige Verhandlungssituation, vor der Sachsen da steht. Das ist so.
Ich komme noch auf den Punkt mit den ländlichen Räumen. Wir unterstützen das Ziel, den ländlichen Raum lebenswert und alternativ zu gestalten. Aber im Kulturbereich wurden 2010 die Ellbogen ausgefahren. Jetzt bekommen sie wieder ein bisschen Geld zurück. Sie heilen das Vorkommnis mit den Landesbühnen einigermaßen. Aber für die Entwicklung der ländlichen Kulturräume wird etwas mehr getan werden müssen.
Der ÖPNV ist ein Stiefkind dieser Regierung geworden, und beim Breitbandausbau bin ich froh, dass jetzt endlich einmal Summen fließen, die relevant sind. Aber das wurde auch durch die EU erstens einmal motiviert und dann auch kofinanziert – muss man ehrlicherweise hinzufügen.
Wir haben ein zweites Thema, über das Sie kein Wort verloren haben, was ich schade finde: Das ist die Frage der Zuwanderung. Wurde ausgelassen. Ich glaube, dass wir, wenn wir wirklich ein Deutschlandmeister werden wollen unter den Bundesländern, eine völlig neue Zuwanderungsstrategie in diesem Land brauchen. Das ist meine feste Überzeugung. Das wird viel Mut erfordern.
Die letzten 25 Jahre waren in Sachsen in der Politik davon geprägt, den Mut aufzubringen, finanzpolitisch solide zu arbeiten. Das war mutig. Der nächste Mut, vor dem wir sächsischen Politiker stehen, ist der, dass wir den demografischen Rahmenbedingungen Rechnung tragen, dass wir Zuwanderung auch gestalten, und auf der anderen Seite aber auch zivilisatorisch, verfassungsrechtlich und gerne auch christlich unseren eigenen Ansprüchen gerecht werden und das Wachsen als Gesellschaft, die eben dann vielleicht doch ein modernes, demokratisches Völkchen am Fuße des Erzgebirges sein wird, betreiben.
Es fehlt an Willen, nicht an Geld, hat der Herr Saft kommentiert. Das ist ein schlimmer Vorwurf. Aber er trifft zu. So wie ich diesen Haushaltsentwurf gelesen habe, ist er eine Aufforderung an die Bevölkerung, Herr Tillich, für die CDU einen tüchtigeren Koalitionspartner als jetzt dazuzuwählen – wenn sie nicht ganz von Ihnen lassen will. Aber: Sie sind beliebt, und deswegen glaube ich, dass das schon so ungefähr stimmt, was ich hier sage.
Vor diesem Hintergrund: Wir hätten uns mehr gewünscht zum Thema Solidarität, zur Barrierefreiheit zum Beispiel. Da müsste man einen eigenen Budgetplatz schaffen; das ist wichtig. Die Jugendpauschale wäre wieder anzuheben, einen integrierten Taktfahrplan bei der Bahn zu haben. Es gibt richtige Verkehrslücken zwischen Riesa und Dresden, Dresden und Görlitz, Zittau und Cottbus, Leipzig–Plauen–Zwickau. Natürlich auch ein Bekenntnis und auch eine menschliche Anerkennung für die Arbeit der Demokratieinitiativen gegen Rechtsextremismus. Die 3,3 Millionen Euro sind eine erfreuliche Bewegung, fünf würden besser tun.