Antje Hermenau: Staatsregierung akut versetzungsgefährdet – Chaos zum Schuljahresbeginn rechtzeitig abwenden

Redebausteine der Abgeordneten Antje Hermenau
zur Aktuelle Debatte "In Köpfe investieren, nicht in Beton – freiwerdende Bafög-Millionen in Bildung und Forschung investieren" (Drs. 5/14592)
99. Sitzung des Sächsischen Landtages, 19. Juni 2014, TOP 1

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
im bisherigen Verlauf der Debatte sind aus meiner Sicht zwei wichtige Aspekte nur unzureichend diskutiert worden, sodass ich diese deutlicher herausarbeiten will:
1. Die Frage von Transparenz und Nachvollziehbarkeit
Das Einzige, was mich an der chaotischen Schuljahresvorbereitung der Staatsregierung überrascht, ist die Überraschung der Staatsregierung – über Schülerzahlen, Lehrerbedarf und nicht zuletzt über die wütenden Proteste von Schülern, Eltern und Lehrern angesichts der sogenannten "Klassenverdichtungen".
Wie kann es sein, dass es einen "unerwartet" hohen Zuwachs an Schülerinnen und Schülern gibt, auf den man nun "flexibel" reagieren muss? Wie kann man sich überrumpelt zeigen angesichts von 4.000 bis 4.500 "neuen" Kindern, die im Schuljahr 2014/15 an sächsischen Schulen lernen werden?
Diese Zahlen sind seit Jahren bekannt, spätestens, seit Ex-Kultusminister Roland Wöller vor fast drei Jahren das Ausmaß des sich abzeichnenden Lehrermangels öffentlich machte (und darüber stolperte).
Es würde der Staatsregierung gut zu Gesicht stehen, ihre eigenen Prognosen dahingehend zu korrigieren und Fehler in den bisherigen Planungen einzuräumen und gegenzusteuern.
Natürlich gibt es bei Prognosen immer Abweichungen, zumal in einem System mit über 335.000 Schülerinnen und Schülern und rund 28.000 Lehrkräften allein im allgemeinbildenden Bereich.
Überraschungen dieser Größenordnung jedoch dokumentieren Planungsfehler und nicht bloß Unschärfen.
Der Zirkus um Schülerzahlen und Klassenbildung wird komplettiert von der Jonglage mit Lehrern und Stellen, mit Vollzeitäquivalenten und Personen, mit rechnerischen Einstellungen wahlweise nach Schul- oder Kalenderjahren – das, meine Damen und Herren, sind lächerliche Taschenspielertricks.
Die fehlende Transparenz bei der Schuljahresplanung ist an sich schon problematisch und verursacht maßgeblich das viel zitierte Schulchaos, sie darf aber nicht den Blick verstellen auf eine noch viel größere Herausforderung, nämlich:
2. Die Gewährleistung hoher Qualität von Schule und Unterricht
Ohne GUTE Lehrer ist keine gute Schule zu machen – dieser Grundsatz ist für uns GRÜNE entscheidend.
Nicht nur Kultusministerin Brunhild Kurth freute sich 2013 über die Verteidigung der sächsischen Spitzenposition beim bundesweiten Bildungsmonitor – seit Jahr und Tag trägt die Staatsregierung PISA-Ergebnisse und Resultate anderer Vergleichsstudien wie eine Monstranz vor sich her.
Ich sage deutlich: gute PISA-Ergebnisse verdanken wir in erster Linie gut ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern.
Die "Einstellungsauktion" der vergangenen Wochen, wie die immer neuen Zahlen selbst in Gewerkschaftskreisen spöttisch betitelt wurden, hat die Staatsregierung scheinbar vergessen lassen, was auf dem Spiel steht: der fachfremde Einsatz von Lehrern und die Abordnung von Lehrkräften an andere Schularten in der erreichten Größenordnung wird die PISA-Monstranz über kurz oder lang zerstören.
So resümierte auch der Spiegel nach dem letzten PISA-Test, dass der geringe Anteil von fachfremdem Unterricht ein Grund für das gute Abschneiden der sächsischen Schülerinnen und Schüler im Vergleichstest sei (Zitat: "Sachsen profitiert noch von der sozialistischen Planwirtschaft, in der Lehrer nach Bedarf ausgebildet wurden und nicht gemäß den Vorlieben der Lehramtsstudenten.").
Für mich steht fest: die fachspezifische Ausbildung muss der Standard sein und bleiben.
Ein fachfremd eingesetzter Lehrer, ein abgeordneter Lehrer oder ein unzureichend qualifizierter Quereinsteiger wird nur dann ein guter Lehrer sein können, wenn das Angebot zur Nachqualifizierung stimmt und auch wahrgenommen werden kann – das aber kann ich beim besten Willen nicht erkennen.
Es gibt natürlich Gründe, bei der Einstellung von Lehrern "auf Sicht zu fahren" – nicht nur schlechte: So haben zunächst junge Lehrkräfte ein Einstellungsangebot erhalten, die sich im ländlichen Raum, mit gefragten Fächerkombinationen und an Grund-, Förder- oder Oberschulen beworben haben, also die Lehrer, die wir unbedingt brauchen – aus Verwaltungssicht ist das durchaus nachvollziehbar.
Jedoch ist es auch keine Lösung, fast die Hälfte der Neueinstellungen zu befristen.
Sachsen kann es sich weder leisten, junge Lehrkräfte in Größenordnungen an andere Bundesländer zu verlieren, noch die Qualität von Schule aufs Spiel zu setzen.
Andere Bundesländer sind hierbei leider kein Vorbild:
In Berlin, wo 2.000 neue Lehrer gesucht werden, wird so ungefähr jeder eingestellt, der der deutschen Sprache mächtig ist.
Mecklenburg-Vorpommern wirbt für seine 650 ausgeschriebenen Stellen nicht mit Unterrichtsqualität, sondern ersatzweise mit der Ostseeküste.
Wir stehen mit dem Problem nicht alleine da, was in diesem Fall alles andere als beruhigend ist.
Im Grunde bräuchten wir bei den Einstellungen je ein Viertel Grund-, Ober- und Gymnasiallehrer und je ein Achtel Lehrkräfte für berufsbildende und Förderschulen:
Die Realität geht an dieser groben Faustregel weit vorbei.
So sind bereits im Vorbereitungsdienst über die Hälfte der Anwärter am Gymnasium tätig (54,3 Prozent), für die Grundschule bleiben keine 20 Prozent (19,6 Prozent) und für die Mittelschulen keine 10 (9,4 Prozent) – und bei den Einstellungen in den Schuldienst setzt sich dieses Ungleichgewicht fort.
Es gibt zu wenige, die ein Lehramt an Grund- oder Mittelschule anstreben – und dieses Problem wird sich in den kommenden Jahren fortsetzen.
Aus meiner Sicht ist ein Personalentwicklungskonzept für Sachsens größte Angestelltengruppe keine Kür, sondern Pflicht, wenn der Freistaat seinen Spitzenplatz in der Bildung nicht einbüßen will.
Die Koalition selbst hat mit ihrem Antrag von 2010 (Drs. 5/3355) ein gewisses Problembewusstsein gezeigt, der Bericht des Kultusministeriums von 2011 zeigt den Handlungsbedarf deutlich.
Leider ist seither wenig passiert – und das ist nicht überraschend, das ist unverantwortlich.