Antje Hermenau: Was tun Freistaat und Regierung? Regelmäßige Versprechen, die nicht eingehalten werden

Redebeitrag der Abgeordneten Antje Hermenau zur Aktuellen Debatte der GRÜNEN-Fraktion:
"Weil Kinder Zeit brauchen – Für einen besseren Personalschlüssel in Sachsens Kitas"
97. Sitzung des Sächsischen Landtages, 22. Mai 2014, TOP 1

– Es gilt das gesprochene Wort –

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen!
Wir haben eine Aktuelle Debatte zum Betreuungsschlüssel an den sächsischen Kitas beantragt. Wir haben das getan, weil es aktuell ist. Ich weiß, einige werden sich fragen: Ist das eine Aktuelle Debatte? Das Problem ist schon so alt. – Das kann ich verstehen. Aber ja, es ist ein aktuelles Thema, und zwar aus folgenden Gründen:
Zum einen gibt es einen sehr demokratisch wertvollen Druck von den Bürgerinnen und Bürgern selbst. Wir haben inzwischen eine Massenpetition mit über 77.000 Unterschriften vorliegen. Das heißt, das Thema berührt sehr viele Menschen in diesem Land.
Zum anderen ist es so – ich glaube, das ist eine der größten Petitionen, die es jemals im Sächsischen Landtag gab -‚ dass vor den letzten Wahlen, 2009, ganz viele Menschen davon gesprochen haben, dass sie beim Kitaschlüssel etwas verbessern wollen, dass wir die Relation von Kindern und Betreuern verbessern wollen; das hat die FDP getan, das hat die CDU getan, das haben sie alle geredet.
Aber was passierte in all diesen Jahren, in den fünf Jahren Schwarz-Gelb? – Nichts. Dieses Mal stehen wir wieder vor der Wahl, es ist also offenbar der richtige Zeitpunkt.
Hinzu kommt, dass wir die Vorlage eines Doppelhaushalts zu erwarten haben; es gibt erste Eckpunkte. Das heißt, das ist genau der richtige Zeitpunkt, um diese Frage hier zu besprechen, denn es geht ja am Ende auch um Geld. Die Verbesserung des Betreuungsschlüssels der Kitas war bei den Eckpunkten, die vor einigen Wochen zum neuen Doppelhaushalt bekannt geworden sind, nicht dabei. Das waren Größenordnungen von circa 90 Millionen Euro. Da darf man erwarten, dass so etwas erwähnt wird. Das wurde nicht erwähnt, also gehen wir davon aus, dass die amtierende Koalition kein solches Vorhaben in ihrem Doppelhaushaltsentwurf vorschlagen wird.
Seit dem Jahre 2005 aber – das sind neun Jahre, das liegt zwei Legislaturperioden und zwei Landesregierungen zurück, eine schwarz-rote und eine schwarz-gelbe – sind die Zuschüsse pro Kopf, pro Kinderkopf, nicht gestiegen, sind eingefroren gewesen. Sie betrugen und betragen 1.875 Euro pro Kinderkopf. Es hat zwar Mehrausgaben gegeben, aber das hat damit zu tun, dass es mehr Kinder gab, das ist Tatsache.
Also: Alle, die davon gesprochen haben, dass die Bildung bei ihnen in der Politik eine Priorität einnimmt, haben bis jetzt nichts getan, wenn sie an der Regierung waren. Das finde ich einen schwierigen Befund. Wir haben jetzt die Möglichkeit, da besser zu werden als Sachsen insgesamt. Wir können da auch gern versuchen, der Staatsregierung ein wenig zu helfen, das ist ja auch eine edle Aufgabe der Opposition.
Wie gesagt, die Kostensteigerungen, die Mehrausgaben, die getätigt worden sind, waren eigentlich Mehrausgaben aufgrund der gestiegenen Kinderzahl. Es gab aber allgemein überall Kostensteigerungen, die seit 2005 da waren, und die wurden auf die Eltern und die Kommunen abgewälzt. Da ist der Freistaat schön raus, hat sich da einen schlanken Fuß gemacht. Zwischen 2005 und 2011 sind die Kosten für Heizung und Warmwasser um ca. 30 Prozent gestiegen. Das ist eine reichliche Million Euro, die die Kommunen jetzt oben drauf bekommen haben und selbst finanzieren müssen.
Wir haben, was die Mehrkosten beim Personal betrifft – wenn man einmal unterstellt, dass es in den letzten acht Jahren Lohnerhöhungen von vielleicht 5 Prozent gab, sehr konservativ geschätzt, ich gebe das zu -‚ mindestens 50 Millionen Euro Unterfinanzierung. Auch das ist nicht in der Erhöhung der Betriebskosten, die gegeben worden ist, widergespiegelt worden. Das heißt, auch darauf bleiben die Bürgerinnen und Bürger, die Eltern und Kommunen im Prinzip sitzen.
Was also tun Freistaat und Regierung? – Regelmäßige Versprechen, die nicht eingehalten werden.
Wir haben am Sonntag Wahlen, unter anderem auch Kommunalwahlen, da geht es um Stadträte und Kreisräte. Auch da wird die Frage der Kitas erörtert, das ist ganz klar; Stichwort Zuständigkeit.
Ende August haben wir die Landtagswahl. Hier, jetzt und heute, vor den Wahlen, geht es nicht nur um eine Plakatserie „Kostenlose Kita“, oder was da immer seit 2009 herumgeschwirrt ist, sondern da geht es darum, eine klare Positionierung abzugeben, auch vonseiten der noch amtierenden Koalition, und zu sagen: Ja, wir machen das.
Wenn Sie Sorge haben, Sie könnten sich das finanziell nicht leisten, helfe ich gern weiter aus. Ca. 90 Millionen Euro Mehrkosten muss man unterstellen. Wenn das ein Grund zu schwanken wäre – das kann ich sogar nachvollziehen -‚ zu sagen, man macht das aus den exorbitanten Steuermehreinnahmen, weil auch der Sockel der Steuermehreinnahmen ansteigt und nicht bloß Steuermehreinnahmen da sind, dann würden wir sagen: Na gut, das machen wir lieber nicht, weil das vielleicht eine Einmaleinnahme ist, die einer Dauerausgabe gegenübersteht.
Da kann man ja fachpolitisch diskutieren. Da habe ich gar keine Schmerzen. Dann bleiben wir bei unserem Vorschlag, nämlich die Grunderwerbsteuer in Sachsen endlich von 3,5 auf 5 Prozent anzuheben. Das sind round about 85 Millionen Euro, von denen nicht ganz 20 Millionen Euro den Kommunen und ca. 65 Millionen Euro dem Land zufließen. Da hätten wir fast exakt das abgebildet, was an Mehrkosten für die Anhebung des Personalschlüssels, für die für die  Verbesserung des Personalschlüssels nötig wäre, nämlich ca. 90 Millionen Euro, und dann wäre es auch dauerhaft und solide gegenfinanziert, und man hätte endlich einmal an eine Frage, die ganz viele Menschen berührt, einen Knopf drangemacht.
Dynamische Kostenanpassung wollen Sie nicht, aber die Abgeordnetendiäten, die Sie beschlossen haben, die werden dynamisch angepasst: Inflation, Lohnentwicklung etc. wird alles hineingerechnet – bei Kitas nicht. Dann machen sie es wenigstens alle zwei Jahre beim Doppelhaushalt.[…] Herr Schreiber, Sie sind es gewesen, der im letzten Wahlkampf kurz vor der Landtagswahl durch das Land gezogen ist und gesagt hat, die zentrale Forderung in diesem Bereich ist die Verbesserung im Bereich Kita-Schlüssel. Sie waren das ganz persönlich. Erreicht haben Sie nichts.
Die Frage, die im Raum steht, ist auch, warum das im Wahlkampf stattfindet. Das ist doch logisch; ich habe es auch zu erläutern versucht. Jetzt werden diejenigen in die Verantwortung gewählt, die das Rückgrat haben müssen, um das durchzustehen, dass Bildungspolitik wirklich eine Priorität in diesem Land ist und nicht nur etwas, was immer nur getönt wird.
2009 war jede Straße zugepflastert mit gelben Plakaten von der FDP im Wechsel: „Steuern senken“ – „Kostenlose Kita“ – „Steuern senken“ – „Kostenlose Kita … Wir wissen alle, wie realitätstauglich das gewesen ist.
Unabhängig davon ist die Frage der Grunderwerbsteuer keine unbillige Verteuerung in Sachsen, sondern es geht darum, dass außer Bayern alle anderen Länder längst bei 5 bis 7 Prozent Grunderwerbsteuer sind‚ weil Sie versuchen, Ihre Haushalte der Schuldenbremse zu unterwerfen und das stabil zu halten.
Wir hatten alle das gemeinsame Anliegen, dass wir die Schuldenbremse in Kraft setzen und maßvoll haushalten. Wenn man bestimmte Aufgaben, von denen man selbst noch herumgeschrien hat, dass man sie wichtig findet, nicht finanzieren kann, dann muss man überlegen, wie man es realisiert. Dann verzichtet man auf eine andere Ausgabe – das ist die eine Möglichkeit – oder hebt eine Steuer an. Bei der Grunderwerbsteuer können das Land und die Kommunen selbst handeln und wir bereiten uns eine bessere Basis für die Verhandlungen zum Länderfinanzausgleich, weil wir dann nicht mehr darauf hingewiesen werden können, dass wir noch nicht alle Quellen ausschöpfen, um unseren Haushalt selbst zu finanzieren, bevor wir andere Länder anbetteln müssen, dass sie uns etwas geben.[…] Diese Aussage, dass andere nichts sagen würden, dass man den Familien bzw. den Eltern einen größeren Anteil mit aufbürden würde, wäre ein Problem. Ich kann nur feststellen, dass in den letzten fünf Jahren, in denen Sie hier in der schwarz-gelben Regierung regiert haben, Sie nicht gesagt haben, dass Sie den Eltern in die Tasche gegriffen haben, indem Sie nämlich eine Reihe von Lasten und Kosten den Kommunen und damit auch den Eltern in ihrem Anteil übergewälzt haben und das Land bei den Mehraufgaben mit der Erhöhung der Kinderzahlen nichts gezahlt hat.
Deswegen bleibe ich dabei: Es braucht einen soliden Gegenfinanzierungsvorschlag, weil Sie sonst immer nur auf dieser Baustelle herumdoktern werden, wie Sie es gerade wieder — persönlich ehrenvoll von mir aus – vorgetragen haben. Sie müssen es grundsätzlich einmal entscheiden, und dann ist es gut.
Weil Sie sich vorhin bei der Grunderwerbsteuer so schön vertan haben: Es sind vor allem arme Länder, die diese in den letzten Jahren angehoben haben. Schleswig-Holstein ist Spitzenreiter mit 6,5 Prozent. Die fünf ostdeutschen Länder außer Sachsen, also vier ostdeutsche Länder und Berlin, haben 5 Prozent, Niedersachsen und Bremen – auch finanzschwache Länder im Westen – haben 5 Prozent. Erzählen Sie hier keinen Kokolores. Das hat in dem Sinne nichts mit reich und arm zu tun, sondern das ist die Frage, ob Sie auskömmlich finanzieren können oder nicht, und Sachsen ist nun einmal ein Nehmerland und kann nicht alles selber auskömmlich finanzieren.
Deshalb müssen wir auch selber schauen, wie wir diese Steuerfrage angreifen. Es ist eine Unverschämtheit, wenn Sie so tun, als ob Sie nicht schon längst den Bürgern ständig dabei in die Tasche griffen, und wenn Sie dann einmal eine ordentliche Gegenfinanzierung aufmachen sollen, fangen Sie an zu polemisieren. Das macht Ihre Arbeit nicht besser. Was nützt es denn, wenn Sie sich hier wacker hinstellen und sagen, dass Sie das seit fünf Jahren gefordert haben, und es bewegt sich nichts.