Antje Hermenau: Wer ein stabiles und handlungsfähiges Europa haben möchte, muss sich der Frage der Überschuldung stellen
Redebeitrag der Abgeordneten Antje Hermenau zur Regierungserklärung des Ministerpräsidenten "Solidität und Solidarität …", 59. Sitzung des Sächsischen Landtages, 11. Juli 2012, TOP 2
– Es gilt das gesprochene Wort –
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Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
manche machen ja im Moment in Europa die Diskussion so auf, dass sie sehr viel von Europa sprechen, aber nationale Interessen verfolgen. Wir hatten jetzt gerade einen Redebeitrag, wo jemand dazu steht, dass er nationale Interessen verfolgt und es auch national ausgedrückt hat.
Da Ländervergleiche jetzt offensichtlich in Europa eine große Rolle spielen, muss ich auch anbringen: Was haben Spanien und Sachsen gemeinsam?
Beide hatten vor der Krise einen soliden Schuldenstand von ungefähr 60% der Einnahmen. Aber dann kam die Sachsen LB und ging Pleite, dann kam die Immobilienkrise in Spanien, und dann kamen andere Bankengruppen. Das ist der Punkt.
Man kann nicht einfach pauschal, wie Sie es getan haben, Herr Zastrow, sagen, alle hätten über ihre Verhältnisse gelebt. Das stimmt nämlich nicht. Die Spanier zum Beispiel nicht. Griechenland ist ein anderer Fall. Sie sind nicht in der Lage zu differenzieren. Das macht Sie gesprächs- und handlungsunfähig.
Bei dem Mangel an Information, den Sie hier angeboten und durch Parolen ersetzt haben, bin ich der Meinung, es wird höchste Zeit für ein Informationsfreiheitsgesetz oder eine Regelung in der Verfassung; denn Sie gefährden mit dieser Praxis die Demokratie.
Wenn man ein stabiles und handlungsfähiges Europa haben möchte – und ich finde, nicht nur im Interesse Deutschlands, sondern auch im Interesse Sachsens brauchen wir das; wir sind davon abhängig, dass Europa stabil und handlungsfähig ist –, dann müssen wir uns der Frage der Überschuldung stellen – übrigens auch DIE LINKE, sonst sind Sie hier auf Dauer politisch nicht handlungsfähig.
Überschuldete Staaten sind schwache, handlungsunfähige Staaten – das sehen wir gerade dramatisch in Griechenland. Überschuldete Staaten sind unsozial und der Spielball von Märkten. Deswegen ist es nicht vernünftig, nichts gegen die Überschuldung zu unternehmen.
Die Menge Ideologie der letzten 30 Jahre, die vor allem auch die Liberalen zu verantworten haben – das ist vorbei. Größe, Volumen um jeden Preis, eine große EU, egal, wer alles drin ist und was er hat oder nicht hat, und was er kann oder nicht kann, das kollabiert gerade. Die Frage der Qualität stellt sich wieder, die Quantität ist durch, es werden wieder kleinere Brötchen gebacken. Diese Realität holt jetzt auch die Koalition hier in Sachsen ein – Sie müssen sich langsam von ihrer Monstranz verabschieden.
Ich habe mir den Vergleich – nicht bei Lettland, aber Estland haben wir ja auch einmal bemüht – noch einmal genau durch den Kopf gehen lassen. Beide Staaten – sowohl Sachsen als auch Estland – haben in den letzten Jahren einen Sparkurs eingeschlagen. Beide Staaten haben das auf der dicken Decke einer wunderschönen Subvention getan. Es war nicht allein nur aus der eigenen Kraft der eigenen Steuereinnahmen.
Nun kommen wir einmal in den Echtzeitbetrieb von Landeshaushalten. Bisher haben wir auf einem Puffer gesessen und die Esten haben auch auf einem Puffer gesessen; sie haben nämlich das meiste an Zuschüssen, auch in allen EU-Ländern, aus dem Europäischen Strukturfonds bekommen in der Zeit der Krise 2007 bis 2009.
Kommen wir auch einmal zu der Fragestellung, was eigentlich hier in Sachsen noch dran ist. Da ist die Steuersenkungsideologie politisch tot – vorbei, hat sich erledigt, ist durch. Genauso wie die Ideologie, immer in neue strukturelle Schulden zu fliehen, wenn man nicht weiß, wie man es bezahlen soll. Das ist genauso tot, die beiden Sachverhalte sind gebügelt für die nächsten Jahre.
Wenn das klar ist, sollten Sie heute Abend unserem Antrag zustimmen, und wenn das klar ist, befassen wir uns einmal mit Ihrem vorgelegten Landeshaushalt.
Sie haben gesagt, Herr Ministerpräsident, die Krise sei noch lange nicht überwunden. Es gab Länderverhandlungen, harte Auflagen, und Solidarität gibt es nur gegen Solidität – ist in Ordnung. Sie haben das Wort „Schuldenbremse“ in den Mund genommen. Das höre ich gern, weil das etwas anderes ist als das absolute Neuverschuldungsverbot, das sonst hier in der Koalition immer geführt wird.
Aber Sie haben auch deutlich gemacht, indem Sie erklärten, warum die Verhandlungen zwischen den Ländern und dem Bund zum Fiskalpakt so wichtig waren, worum es in den nächsten Jahren wirklich geht: nämlich um Stabilität im Ausgabeverhalten der öffentlichen Hand. Sie haben das auch begründet. Sie haben gesagt, wir haben strukturelle Entlastungen bei den Kommunen gemacht, damit sie nicht so japsen müssen, wenn jetzt alles unter der Schuldenbremse enger wird. Sie haben auch deutlich gemacht, dass Sie den Bund genötigt haben – was ich richtig finde –, die 0,5 % Schwankung bis 2019 unter gesamtstaatlicher Verantwortung zu übernehmen. Das sind richtige Entscheidungen gewesen, das haben alle 16 Bundesländer so gewollt, das ist in Ordnung.
Aber wenn man Stabilität haben möchte, dann muss man das auch für das eigene Land durchhalten. Wir haben hier in Sachsen mit dem gestern vorgestellten Haushaltsentwurf der Staatsregierung Achterbahn pur. Sie haben sich in den letzten zwei Jahren prozyklisch in die Untiefen gestürzt, und Sie gehen jetzt in hohe Höhen, ohne zu wissen, ob Sie den Champagner bezahlen können, den Sie bestellt haben. Der Westen muss bis 2020 herunter von der Verschuldung, das ist sein Problem. Der Osten muss herunter von der Solidarpaktförderung, das ist unser Problem. Die Stabilität ist der entscheidende Pakt, und der Solidarpakt war und ist für Sachsen der Investitions- und Wachstumspakt. Wer ihn für Sachsen richtig findet und wie eine Monstranz vor sich her trägt, der kann ihn doch nicht auf europäischer Ebene ad absurdum führen. Das ist doch absurd, also wirklich!
Ein bisschen mehr Demut! Das stete berechenbare Ausgabeverhalten wäre genau das, was wir – auch in Sachsen, aber auch andere Länder in Europa – brauchen.
Wir kommen in eine neue Phase. Jetzt kommt der Haushalt im Echtbetrieb und die Abhängigkeit von den Steuern steigt; das macht die Haushalte anfälliger für Schwankungen – exakt das, was passiert. Deswegen haben wir ja auch vorgeschlagen, eine konjunkturell atmende Schuldenbremse aufzunehmen, damit man Stabilisierung in diese Anfälligkeit von Schwankungen hinein bekommt. Prozyklisch war gestern, das ist durch. Deswegen ist die Frage, wie wir in den nächsten Jahren vorankommen. Ich will nicht noch einmal ausführen, was wir mit der „atmenden Schuldenbremse“ meinen; aber Sie wissen schon, worauf ich hinaus will.
Jetzt kommen Sie mit einem Haushaltsentwurf, mit dem Sie auch einmal in die Rücklagen hineingehen – was ich durchaus nachvollziehen kann. Vor zwei Jahren wurde noch bestritten, dass es welche gibt; jetzt wissen wir, dass es welche gibt, und jetzt werden sie auch genutzt. Aber wenn Sie dauerhafte Ausgaben machen wollen durch den Griff in die Rücklagen, die sich aufzehren und bei Rezession und Steuermindereinnahmen in den nächsten Jahren nicht aufgefüllt werden können, dann können Sie Ihre dauerhaften Ausgaben nicht dauerhaft finanzieren.
Ein handwerklich guter und sachgerechter Umgang, das wäre echtes Haushaltsverhalten auf Dauer – oder noch einmal Champagner bestellen vor dem Zusammenbruch – das ist das andere.
Ich fand es frech, Herr Ministerpräsident, dass Sie im Vergleich zu Baden-Württemberg wieder Ihre Monstranz vor sich gestellt haben wie ein Schutzschild und gesagt haben: Die müssen sich verschulden und wir müssen das nicht. Baden-Württemberg zahlt im Länderfinanzausgleich ein. Von diesem Geld bekommen auch die Sachsen gescheit etwas ab – ich wäre etwas freundlicher dazu. Ich habe auch schon gehört, dass man immer über Nordrhein-Westfalen lästert.
Eine kurze Replik: Es gab drei Urteile des Landesverfassungsgerichtes in Nordrhein-Westfalen. Am Ende kam heraus, dass Schwarz-Gelb, als es in Nordrhein-Westfalen noch regierte, den Kommunen 1 Milliarde Euro vorenthalten hatte – das muss jetzt nachgereicht werden, das darf dann Rot-Grün tun; so sieht die Lage aus, so geht es dann weiter.
Ich finde, die Frage Deutschland-Bonds kann man mit Huckepackverfahren diskutieren – das wäre wahrscheinlich ein Kompromiss, das will ich gar nicht weiter ausführen. Ich habe verschiedentlich auch von der Seite der Regierung gehört, man macht sich Sorgen, ob denn wirklich der Aufbau Ost durchgehalten wird, der Solidarpakt II, oder ob man da nicht zu Streichungen kommen muss. Ich habe hier schon ein paar Mal gesagt: Wenn man wie Herr Zastrow durchs Land rennt und meint, man könnte den Soli senken, dann muss man sich nicht wundern, wenn sie im Westen auf schlaue Ideen kommen, tut mir leid. Das kann man auch einladen und sagen, natürlich, senkt uns das bitte, wir wollen ja auch den Soli senken. Absurdes Theater, das kann man nicht machen. Das war genauso verrückt wie die Beschimpfung von Baden-Württemberg.
Nun die Frage mit den Euro-Bonds. Also, Herr Flath, ich habe es ja gehört: Die sächsische Union lehnt Euro-Bonds ab. Zu der Meinung kann man kommen, aber ich habe nichts weiter sonst gehört. Es reicht nicht, sich hinzustellen und zu sagen, das will ich nicht, sondern wer regiert, muss auch sagen, was er stattdessen will. Handlungsfähigkeit begründet sich darauf, dass man handelt.
Man könnte einmal darüber diskutieren – wir haben ja auch bei den GRÜNEN interne Debatten, ob die Euro-Bonds der Weisheit letzter Schluss sind –, ob man eine Bankenunion möchte oder zum Beispiel eine Bankenreform, die nur für die systemischen Banken gilt, die sich europaweit gegenseitig absichern müssen. Das wäre ein Alternativvorschlag, wenn man Euro-Bonds nicht möchte. Aber dazu höre ich nichts von Sachsen. Ich höre nur: Nein, wir machen nicht mit, wir bleiben mal hier sitzen in unserem Sachsen, wir sind die Größten. Das ist wie „die größte DDR der Welt“ damals – genau dasselbe Verhalten.
Ich finde das falsch. Ich glaube, dass man bei den Euro-Bonds zurückbauen kann in der Argumentation, wenn man eine Alternative anbietet. Im Moment diskutiert man ja den Schuldentilgungsfonds: Alle Schulden über 60 % vom BIP sollen über Euro-Bonds abfinanziert werden. Das ist eine bad bank. Das funktioniert nicht, die Investoren kaufen das nicht. Und wenn es die EZB machen soll mit 3 % Tilgung in der Rezession und wir nachschießen müssen, ist es auch unwahrscheinlich als Ergebnis. Das ginge nur, wenn die EZB einsteigen und aufkaufen würde, weil die Investoren solche Bad-Bank-Papiere nicht kaufen; das ist klar.
Wenn das aber klar ist, dann wird der Direkteinstieg der EZB die Euro-Bonds auch überflüssig machen. Und jetzt müssen Sie springen, wo sich diese Erkenntnis langsam durchsetzt, und jetzt muss man einmal erklären, wie die Bankenunion aussehen soll, damit man das Ziel erreicht, das man mit den Euro-Bonds erreichen wollte: dass nicht die Staaten ihre Banken so retten müssen, dass sie ihre Bevölkerung an die Wand nageln müssen. Darum geht es. Es geht darum, dass Staaten handlungsfähig bleiben, wenn Banken nicht mehr zurechtkommen. Das hat man hier in Deutschland und in Sachsen anders gelöst, die HRE ist verstaatlicht worden, die Sachsen LB wurde noch schnell verkauft und die Bürgschaft aufgeladen. Man kann verschiedene Wege gehen, aber darum geht es im Kern.
Es ist auch unsozial, die Staaten die Banken retten zu lassen und dabei die Bevölkerung an die Wand zu fahren. Das geht nicht!
Es muss auch nicht so sein. Wenn man sich nicht so stur anstellen würde, müsste das auch nicht so sein; es wäre nicht nötig. Man hat da vielleicht auch Leute und ihr gutes Leben oder überhaupt ihr Leben ohne Not zu sehr der Katastrophe ausgesetzt.
Deswegen bin ich richtig dankbar, dass sich Karlsruhe Zeit lässt. Ich bin dankbar, dass Leute geklagt haben – egal, aus welchen Motiven. Ich bin dankbar, dass Karlsruhe sich Zeit lässt; denn gutes Ding will Weile haben. Das gilt gerade in solch existenziellen Fragen. Katastrophe ist ja inzwischen jeden Tag; da muss man keine Hektik mehr entfalten. „Not kennt kein Gebot“ ist jedoch eine außerordentlich gefährliche Devise und hat ganz oft zu undemokratischen Zuständen geführt.
Die Märkte haben den Stopp des ESM in Deutschland eingepreist. Auch Herr Schäuble hat übrigens eine Art von Monstranz vor sich hergetragen bzw. einen Schutzschild aufgebaut, als er meinte, die Märkte würden kollabieren, nur weil sich Herr Voßkuhle und seine Kollegen ein bisschen mehr Zeit nehmen. Das stimmt nicht. Die Eile ist nicht nötig.
Spanien und Zypern haben sich rechtzeitig bei der EFSF angemeldet. Sie sind nicht zum ESM gegangen. Das heißt, die Zeit ist da. Die Länder, die Hilfe brauchen, können auf bestehende Rettungsfonds zurückgreifen, sie brauchen keine neuen. Ich wäre sehr dankbar, wenn Sachsen sich aus seiner selbst gewählten Isolation verabschieden würde.