Antje Hermenau zur 1. Lesung Haushalt: DAS GEHT DEUTLICH BESSER!
Redebeitrag der Abgeordneten Antje Hermenau zur 1. Lesung zum "Gesetz über die Feststellung des Haushaltsplanes … 2011 und 2012 …" (Drs 5/31904)
in der 20. Sitzung des Sächsischen Landtages, 01.09., TOP 2
Es gilt das gesprochene Wort!
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Schlampiger Entwurf
Dieser Haushaltsentwurf wurde von Ihnen, Herr Ministerpräsident, vor wenigen Tagen als das wichtigste Projekt der Koalition bezeichnet. Und da legen Sie einen derart schlampigen Entwurf vor? Da können wir aber froh sein, dass in dieser Legislatur nicht noch wichtigere Projekte ins Haus stehen, wer weiß, welche Katastrophen dann im Lande ausbrechen würden!?
Dieser Haushaltsentwurf ist jedenfalls handwerklicher Murks. Er wirkt wie ein Azubi-Projekt aus der Kabinetts-Lehrwerkstatt.
So geht Milbradts finanzpolitisches Erbe klanglos dahin. Sie sollten hier vor Scham im Boden versinken.
Das ist ein Kürzungshaushalt. Er soll den Paradigmenwechsel in der sächsischen Finanzpolitik beschreiben, denn in den letzten 20 Jahren ging es mit den Staatsfinanzen im Prinzip immer bergauf. Nun dreht sich das um.
Kein Mensch wird nach dem heutigen Tag dieser Regierung auch nur noch ein Wort zum Thema Staatsfinanzen glauben! Sie haben Ihre Glaubwürdigkeit in Finanzfragen eindeutig verloren. Von Ihnen kauft keiner mehr einen Gebrauchtwagen.
Die klare Ausweisung von echten Mehrausgaben und Kürzungen ist enorm wichtig – nicht nur für die parlamentarische, sondern auch für die öffentliche Diskussion. Da müssen alle Etats nach den gleichen Regeln geschrieben werden. Was Sie hier vorlegen, wirkt, als wüssten Sie nicht, was Sie tun – und wenn Sie es wissen sollten, dann soll es offenbar keiner merken: sozial kalt, nach Gutsherrenart, ohne klare Zielsetzungen. Vielleicht ist es ja auch ein Nichts, das Sie hier zu verbergen versuchen.
Dieser Haushalt ist eine vertane politische Chance: Die Mehrheit der Bevölkerung sieht ihre Hauptsorge in der ausufernden Staatsverschuldung. Das haben Sie richtig aus den Umfragen herausgelesen. Aber die Bürger wollen nicht nur eine strenge, sondern auch eine hochwertige Finanzpolitik, die unsere Gesellschaft stabil hält in diesen schwierigen Zeiten und die Zukunftschancen unserer Kinder erhöht – und das sehen nicht nur die Gewerkschaften so.
Wir Grünen werden Sie auf diesem harten Feld in den nächsten Wochen politisch stellen: auch wir kommen ohne Neuverschuldung aus! Wir orientieren uns hart an den Realitäten, auch wenn wir sie z. T. nicht selbst verbrochen haben, wie z.B. durch ein Steuergeschenk an Hoteliers.
Aber wir werden es besser machen als Sie – wir werden den Beweis antreten, dass auch ohne Neuverschuldung ein sozialer und zukunftsorientierter Haushalt möglich ist, der den Menschen Zuversicht gibt und auf die Potentiale schaut, indem wir uns die Mühe machen, Qualität zu liefern und die Arbeit an den Staatsfinanzen ernst nehmen. Mal sehen, was die vielen Menschen sagen, die der Union vertrauten, dass sie dieses Politikfeld beherrsche, wenn sie den Vergleich in Augenschein nehmen!
Linke und SPD fordern Neuverschuldung und das Aussetzen nachhaltiger Finanzinstrumente wie Generationenfonds und Stabilität der Pro-Kopf-Verschuldung. Damit stellen die beiden sozialen Parteien die abenteuerliche These auf, dass ein generationengerechter und sozialer Haushalt nur mit neuen Schulden herzustellen ist. Auch das werden wir widerlegen – es war doch nicht alles gut, was gekürzt wurde. Da könnten Sie ja Ihre politische Arbeit einstellen.
Nun wollen Sie, Herr Finanzminister, den Parlamentariern ein Handbuch zum Haushalt mitgeben, als ob hier bemitleidenswerte Analphabeten säßen. Ein ordentlicher Haushalt hätte völlig genügt! Ein Bild machen wir uns dann schon selber, ohne Interpretationshilfe. Ich lese seit 15 Jahren Haushalte, ich werde wahrscheinlich selbst Ihr Geschreibsel entziffern, aber das ist hier nicht die Frage. Im HFA sitzen viele neue Kollegen, für die das die 1. Haushaltsberatung ist – viele auch in der Fraktion der CDU. Sie geben Ihrer eigenen Truppe keine Chance, aus Erkenntnis hinter Ihnen zu stehen, sondern zwingen Sie zu blindem Kadavergehorsam, weil Sie nicht in der Lage sind, einen ordentlichen Haushalt vorzulegen – an welche Zeiten erinnert mich das wohl?
Ein Handbuch zum Haushalt!? Am besten legen Sie noch einen Imbus-Schlüssel bei und dann muss hier jeder sein Billy – Regal selbst zusammen bauen!
So etwas habe ich den ganzen 15 Jahren, die ich jetzt Haushalte lese, nicht ansehen müssen. Nicht einmal Oskar Lafontaine, der ein wahrlich arroganter Mensch ist, hat sich so etwas als Bundesfinanzminister getraut.
Sie haben einen Haushalt vorgelegt, den jeder Rechnungsprüfer sofort zur Überarbeitung zurückweisen würde:
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- Von umgesetzten Mitteln fehlt oft jede Spur: Ausgaben wurden in andere Kapitel oder gar in ein anderes Ministerium versetzt, ohne zu hinterlegen, wo sie nun zu finden sind. Da der gesamte Haushalt ca. einen halben Meter dick ist, ist das eine Frechheit. Abgeordnete sind keine Jäger und Sammler, sondern müssen mit den Vorlagen der Regierung vernünftig arbeiten können, um ihre Pflicht zur Wahrung des Budgetrechts überhaupt nachkommen zu können. Das Ifo-Institut wanderte z. B: vom Wirtschaftsministerium in das Finanzministerium. Das muss nicht falsch sein, aber man findet keinen Hinweis, sondern muss mühsam suchen.
Außerdem wurden oft mehrere Titel zusammen gefasst und lassen den Vergleich zum laufenden Haushalt vermissen, so dass man nicht ermessen kann, ob es Kürzungen oder gar Aufstockungen gab.
- Die Verschiebung von Titeln geschieht unsystematisch, man könnte sagen, in zwei verschiedenen Sprachen.
Beispiel: Etat Frau Clauß, Kapitel 4 Zuschüsse zur assistierten Reproduktion – da wird zwar gesagt, wo man jetzt suchen muss, aber man findet dort nur die Ausgabeabsichten für 2011 und 2012 und nicht den Vergleich mit den beabsichtigten Ausgaben 2010. Die sind an der alten Stelle geblieben. Das erweckt dort den Eindruck einer Kürzung, obwohl es sich nur um eine Verschiebung handelt.
Das führt an vielen Orten dazu, dass man Kürzungen oder Mehrausgaben vermuten muss, wo nur Verschiebungen stattfinden.
- Beispiel: Etat Frau von Schorlemmer:
dort entsteht eine optische Kürzung von 35 Mio. Euro bei Hochschulbau, die auch noch so ausgewiesen wird, obwohl sie de facto keine ist, denn die Aufgabe wurde in den Etat 14 zum Finanzminister verschoben, und dort lustigerweise als Mehrausgabe ausgewiesen, obwohl sie das natürlich auch nicht ist. Derlei findet sich auch zwischen den Etats von Justiz und Innerem. Im Wirtschaftsetat wird es noch bunter, weil übertragene Ausgabenreste und vermerkte Sollansätze in keinem logischen Zusammenhang stehen und wahrscheinlich fehlerbehaftet sind.
Verlorene Jahre
Sie streichen nichts wirklich. Sie setzen hier und da zwar kleinere Akzente, aber sie haben nicht den notwendigen Mut aufgebracht, klare Prioritäten zu setzen. Sie wollten keinem weh tun und haben allen weh getan – das ist eher ein testosterongesteuerter Vielfrontenkrieg als eine geordnete Aufgabenlösung. Sie wollen zeigen, was für harte Jungs Sie sind und den Größenvergleich auf dem Schulhof gewinnen! Das Land sicher durch die Krise zu steuern, ohne dass Menschen dabei über Bord gehen, ist Ihre Sache nicht. Das widert mich einfach nur an.
Sie haben den anstehenden Paradigmenwechsel verfehlt und die Chance, am Anfang der Wahlperiode die härtesten Entscheidungen in Angriff zu nehmen, vertan. Offensichtlich trauen Sie ihren eigenen politischen Vorstellungen nicht. Der Koalitionslautsprecher Zastrow hat sich ja selber auch nicht getraut, im Kabinett politisch gerade zu stehen – soviel zum Größenvergleich unter Jungs.
Vor den Wahlen 2013/2014 ist nicht damit zu rechnen, dass Sie das Versäumte nachholen. Da wird Sie zu Recht die Angst vor dem Wähler packen. Wir stehen also vor vier verlorenen Jahren in den Zeiten der Krise. Sie wollen Sie überwintern. Sollen doch die Bürger frieren. Das ist bitter.
Dabei müssen wir in Sachsen dicke Probleme anpacken:
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- den Kurs der Nullverschuldung politisch durch Transparenz und Glaubwürdigkeit stabil halten und das Land sicher durch die nächsten 10 Jahre zu steuern;
- die Anforderungen durch den Klimawandel, die demografische Entwicklung und die Herausforderungen der Ressourcen- und Wachstumskrise abbilden
- einen Paradigmenwechsel im Aufbau Ost für die letzten 10 Jahre einleiten.
Dieser nötige Paradigmenwechsel findet nicht statt. Sie kürzen phantasie- und lustlos den sinkenden Einnahmen hinterher. Die Ausgabenstruktur verändern Sie nicht erkennbar – legen Sie doch Ministerien zusammen und passen Sie die Zahl der Ministerien demografisch an!
Äußerlich behaupten Sie, der Haushalt wäre generationengerecht, weil er auf neue Schulden verzichte. Sie kürzen aber 40 Prozent der Ausgaben für die Jugend und sagen damit klipp und klar: "Wir sparen bei den Jungen für die Jungen, aber nicht bei uns". Das ist absurd: Kürzung bei der Jugend ist nicht nachhaltig und auch nicht generationengerecht. Es gibt auch eine soziale "Verschuldung", die Sie hier bewusst in Kauf nehmen.
Im Februar 2006 hatten sich in Halle auf Initiative von Georg Milbradt die ostdeutschen MPs auf eine Reform des Soli II verständigt, die sie nicht durchsetzen konnten. Der Solidarpakt ist trotzdem veraltet. Er begünstigt den Straßenbau, dessen Wachstumsimpulse sinken, und benachteiligt Bildungsausgaben, die deutlich mehr Wachstumsimpulse geben würden.
Wenn man den Solidarpakt II nicht ändern kann, muss man aus einzelnen Programmen aussteigen und den Ko-Finanzierungsanteil aus Landesmitteln für eigene Schwerpunkte nutzen, die zielgenauer und moderner sind. Sie hinterfragen die Qualität dieser Programme nicht einmal! Wir haben viele Kleine Anfragen gestellt – Sie haben keinerlei Erkenntnisse über die Qualität und Leistungsfähigkeit dieser Programme, obwohl die vor vielen Jahren entwickelt wurden, als die Welt noch anders aussah. Stupide Pflichterfüllung nach außen, bundesweites Gegockel "Seht her, wie gut wir sind!" und kein Gefühl für das Notwendige oder das Mögliche. Vielleicht auch keinen Ehrgeiz in dieser Frage.
Wir stellen uns den finanzpolitischen Realitäten. Wir kommen auch ohne Neuverschuldung aus. Allerdings geht vieles besser!
Sie genügen den finanzpolitischen Realitäten nur quantitativ, wir werden eine Qualitätsoffensive in Angriff nehmen. Schon beim ersten Durchblättern des Entwurfs haben wir mindestens 120 Mio. Euro ausgemacht, die man besser ausgeben kann.
Die Koalition ist eine Sprechblasenkoalition! Sie sind formal generationengerecht, aber nicht in den Fakten. Ihr erstklassiges Bildungsland patzt bei der frühkindlichen Bildung, es fehlt eine Verbesserung des Kitaschlüssels. Das solidarische Miteinander landet auf der unübersichtlichen Baustelle des Sozialetats. Beim modernen Staat stirbt bekanntlich die Hoffnung zuletzt. Und ein attraktives Sachsen findet nicht im ländlichen Raum und wohl nur für Ausgewählte statt.
Was muss stattdessen getan werden? Wie werden wir Grünen es machen?
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- Der Haushalt muss zur Überarbeitung zurückgewiesen werden
- Die GRÜNE-Fraktion wird Initiativen zu den Ausgaberesten in jedem Ministerium starten
- Auf die Tagesordnung gehört eine Qualitätsoffensive bei den Landes- und Aufbau- Ost- Programmen
- Die Ministerien müssen die Personalbewirtschaftung engagierter angehen
- Wir brauchen endlich Korrekturen der Ausgabenstruktur statt Warten auf Godot!
Lassen Sie mich ein paar Beispiele nennen, damit deutlich wir, wo wir hin wollen:
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- Wir wollen einen generationengerechten Haushalt und setzen einen Schwerpunkt im Bildungsbereich:
Von einem besseren Personalschlüssel in den Kitas profitieren 98 Prozent der Vorschulkinder. Gute frühkindliche Bildung ist wichtiger als die Finanzierung des Landeserziehungsgelds – denn davon profitieren nur Wenige.
Diskutieren müssen wir auch über die Mittel für den Schulhausbau, die hinten und vorne nicht ausreichen, die Finanzierung der Schulen in freier Trägerschaft bis hin zu den Musikschulen. Wer sagt, Bildung hat Vorrang, darf sich hier nicht drücken.Uns ist es wichtig, die gewachsenen Strukturen im Jugend und Sozialbereich zu stabilisieren und zu erhalten, deshalb wollen wir auch dafür Geld ausgeben – statt für die assistierte Reproduktion, was der Landesregierung wichtiger zu sein scheint. Sie hatten doch behauptet, den Fehler vom Frühjahr 2010 erkannt zu haben!?
- Wir wollen die energetische Altbausanierung voranbringen. Bei der Sanierung von Altbauten lässt sich klimapolitisch viel bewirken, die Mietnebenkosten sinken und wir geben dem sächsischen Handwerk Arbeit.
Bislang ist erst ein sehr geringer Anteil des Altbaubestandes energetisch saniert. Die Staatsregierung hat den Klimawandel zur Kenntnis genommen. Das man aber etwas dafür tun muss, dass es nicht noch schlimmer wird, hat sie bislang noch nicht so recht verstanden. Dafür wollen wir 40 Mio. Euro ausgeben. - Wir wollen ein Mobilitätsticket einführen. Das Mobilitätsticket ist eine wesentliche Voraussetzung für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Das Mobilitätsticket nützt aber wenig, wenn die Mittel für den ÖPNV massiv gekürzt werden. Deshalb wollen wir auch hier einen Schwerpunkt setzen. Denn auch der Ausbau des ÖPNV ist ein Beitrag zum Klimaschutz.
- Wir fordern, aus den Steuermehreinnahmen im Jahr 2010 Mittel für Investitionen im Jahr 2012 bereitzustellen.
In den kommunalen Finanzausgleich sollte ein demografischer Faktor aufgenommen werden. Dazu werden wir einen Vorschlag einbringen.