Antje Hermenau zur Aktuellen Spardebatte

Ich finde nicht, dass man mit dieser Monstranz «Wir müssen einsparen, einsparen, einsparen» — ohne die anderen Aspekte zu beachten — aus Angst vor dem Tod politischen Selbstmord begehen darf
Redebeitrag der Abgeordneten Antje Hermenau zur Aktuellen Debatte „Wer heute kürzt, zahlt morgen drauf! – Die Auswrikungen der Klausur der Bundesregierung vom 06. – 07. Juni auf die Menschen in Sachsen“ in der 17. Sitzung des Sächsischen Landtages, 16. Juni, TOP 6
Es gilt das gesprochene Wort!
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen!
Herr Zastrow, Sie haben sich wieder in der Pose gefallen, es gäbe zum Sparen keine Alternative. Natürlich gibt es keine Alternative dazu, die Ausgaben zu begrenzen,aber wissen Sie, Herr Zastrow, es gibt jede Menge alternative Sparvorschläge. Das fällt Ihnen nicht auf. Da liegt das Problem. Sie machen sich einen schlanken Fuß, und das auf Kosten derer, die sich nicht wehren können.
Die Ausgabenbegrenzung ist ein Instrument, sie ist kein politisches Ziel. Dass Sie das nicht verstanden haben, erkenne ich. Ein politisches Ziel wäre es, für Stabilität und sozialen Frieden im Lande zu sorgen. Dazu müsste man mit Sachverstand und Augenmaß an die Ausgabenbegrenzung gehen und Strukturreformen anpacken. Auf all das verzichten Sie. Was hat denn die Bundesregierung gemacht? Sie hat erst einmal ein Vierteljahr ihre Nägel bis zum Nagelbett heruntergekaut vor der NRW-Wahl. Dann hat sie sich zur  Haushaltsklausur zusammengesetzt. Dann kam sie mit einem kleinen Paketchen um die Ecke. Nun hat sie wieder Muffensausen wegen der  Bundespräsidentenwahl und wahrscheinlich kriegen wir im Herbst bei der Haushaltsberatung zu hören, sie hätte jetzt Angst wegen der Wahl in Baden-Württemberg. Es reicht! Jedes Mal gibt es ein Argument, nichts zu machen.
Sie sind durch Parteiinteressen blockiert. Am deutlichsten erkennt man das daran, dass Sie nicht einmal den Hintern in der Hose haben, die Mehrwertsteuerabsenkung bei Hoteliers wieder rückgängig zu machen. Das ist schon ein starkes Stück. Dieses Sparpaket der Bundesregierung schont Reiche, gut Verdienende und Angestellte. Es enthält Luftbuchungen im Bereich der Wirtschaft, sodass die Wirtschaft schon selber anfängt, sich zu beschweren.
Sie sind durch Angst blockiert. Sie machen keine Einsparungen, und selbst wenn Sie welche machen, sind sie inklusive Ihrer Luftbuchungen mit weniger als der Hälfte dessen, was nötig wäre, um die Schuldengrenze einzuhalten, zufrieden. Sie machen ein Täuschungsmanöver durch den Finanzminister Schäuble, der behauptet, er würde 80 Milliarden Euro einsparen, und schafft nicht einmal die 40, nur weil er einen Rechentrick anwendet. Ja, wo sind wir denn? Das kann doch nicht wahr sein! Wenn ich mir das alles ansehe, bin ich der Meinung, dass man sich aus lauter Verzweiflung lieber Herrn Kohl und Herrn Lambsdorff zurückwünschen möchte.
Sie haben die sich widersprechende Familienförderung nicht geordnet. Sie haben die Krankenversicherung und die Rentenversicherung nicht angepackt.

Die „Wirtschaftswoche“ schreibt in ihrer aktuellen Ausgabe, dieses Sparpaket sei schwarz-gelbe Champagnerpolitik und bundesweiter Schmalhansalarm. Genau das ist es, und zwar sortiert nach Reich und Arm! Sie sollten sich schämen!
Das Sparpaket erweise sich als Scheinriese, schreibt die „Wirtschaftswoche“ weiter. Die Wirtschaft empfindet die schwarz-gelbe Regierung also offensichtlich als eine Art wandelnde Rufschädigung.
Wenn ich mir überlege, dass Sie als sogenannte selbsternannte bürgerliche Koalition angetreten sind, sowohl in Dresden als auch in Berlin, muss ich Ihnen als Teil einer bürgerlichen Opposition in diesem Landtag sagen: Sie haben jedes politische Ziel, das dran gewesen wäre, historisch verkannt und verfehlt. Sie haben sich auf dem Rücken der Armen ausgetobt, und Sie haben mitnichten auch nur etwas annähernd Ausgewogenes als Sparpaket auf der Bundesebene vorgelegt.
Ihre eigene tragende Säule, die Wirtschaft, hat inzwischen Angie, Guido und Horstl abgeschrieben. Die eigenen Gefolgsleute hadern, und die Bürger — so ist es heute zumindest in der „WELT-Online“ zu lesen, und das ist kein linkes Kampfblatt, soweit ich das weiß — sind zu Neuwahlen bereit. Es gibt inzwischen eine Umfrage, die das eindeutig belegt.
So weit haben Sie es auf der Bundesebene getrieben: keine Transparenz, keine Zielsetzung, alles auf dem Rücken der armen Leute, kein Abbau ökologisch schädlicher Subventionen. Die soziale Schieflage ist in diesem Sparpaket der Bundesregierung wirklich erheblich. Sie schwafeln ständig davon, dass man die Steuern nicht anheben könne. Sie sind nicht in der Lage, den Spitzensteuersatz anzuheben und begründen das mit den Einkommen von Friseusen und Krankenschwestern. Ja, merken Sie es noch? Wissen Sie, wer in diesem Land den Spitzensteuersatz bezahlt? Zeigen Sie mir doch einmal die  Krankenschwester oder die Friseuse, nur damit ich es weiß. Vielleicht habe ich ja etwas verpasst.
Das ist Volksverdummung! Sie haben vor, das Elterngeld bei den Hartz-IV-Empfängern zu streichen. Das ist nicht nur unsozial, auch wenn es immer wieder Mitnahmeeffekte gibt, sondern das ist auch ökonomisch unsinnig. Wir sind in den nächsten Jahren auf eine drastische Stärkung des Binnenmarktes angewiesen. Da darf man bei den niedrigen Einkommen, bei denen jeder Cent und jeder Euro 1 : 1 in den Konsum geht, nicht die Gelder streichen. Das ist ökonomisch völlig widersinnig.
Über andere Sachverhalte unterhalten wir uns nachher noch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Die Schuldenbremse ist richtig und wichtig, aber sparen muss man können. Sie suchen eben nicht nach der besten Lösung, Sie suchen nach der erstbesten Lösung. Damit schädigen Sie das Instrument der Schuldenbremse. Sie benutzen sie als Ausrede für unsoziale Entscheidungen.
Die Abschaffung der Rentenversicherungsbeiträge bei Hartz-lV-Empfängern — das sind 1,8 Milliarden Euro — kommt zeitverzögert bei den Kommunen an. Die zahlen die Mehrausgaben bei der Grundsicherung im Alter in den nächsten Jahren. Das ist die Operation „Schlanker Fuß“.
Es gibt eine riesige Ratlosigkeit. Da ist im Milliardenbereich von
Effizienzverbesserung am Arbeitsmarkt die Rede. Arbeitsmarktexperte Schäfer vom IW Köln sagt: «Da gibt es bei den Pflichtleistungen bei Langzeitarbeitslosen keine Möglichkeiten.» Luftbuchungen. Brüssel wird Ihnen den Hintern versohlen, wenn Sie mit diesem Sparpaket von Bundesseite in Brüssel aufschlagen.
Lassen Sie endlich die Schwachen in Ruhe. Bauen Sie die ökologisch schädlichen Subventionen ab. Das sind 48 Milliarden Euro struktureller Gewinn. Machen Sie eine ordentliche Bankenabgabe. Da ist Schwarz-Gelb in Berlin ganz tapfer und sagt: Zwei Milliarden Euro pro Jahr sammeln wir von den Banken ein, damit wir die nächste Bank herauskaufen können. Die HRE hat 100 Milliarden Euro gekostet. Da müssen Sie 50 Jahre sammeln, bis Sie wieder einmal eine Bank in diesem Land retten können. Ich glaube, Sie müssen mindestens 10 Milliarden Euro erheben.
Eine Vermögensteuer macht auch aus ostdeutscher Sicht Sinn, und zwar nicht wegen der Einnahmen, von denen wir nur 2 Prozent bekommen. Aber wenn Baden-Württemberg, Bayern und andere Länder, die schwer durch die
Steuereinnahmeausfälle getroffen wurden, sich mit der Vermögensabgabe
hochpäppeln können, lassen sie unsere Aufbau-Ost-Transfers in Ruhe. Darüber muss man auch einmal nachdenken. Das ist ein sehr patriotischer Ansatz.
Die 1,7 Milliarden Euro, die bis Freitag letzter Woche immer im Raum standen, waren ein Tanz, ein Popanz, ein Schmalhansalarm‘wie die „Wirtschaftswoche“ sagte.
Es ist richtig, weniger auszugeben, aber das muss man auch können. Das erkenne ich hier jedoch nicht.
Ich mache von meinem Recht auf eine Kurzintervention Gebrauch. Herr Finanzminister, es gibt auch gesellschaftliche Hypotheken. Diese gibt es in Sachsen zum Beispiel im Bereich Bildung und Jugend. Geboten wäre jetzt ein Maßnahmenmix aus Angebots- und Nachfragepolitik. Sie konzentrieren sich nur aufs Einsparen. Das ist einseitig. Der Mix macht‘s: Einsparung, Effizienz und Einnahmrhöhung in einem ausgewogenen Maß. Da muss man viel Arbeit reinstecken, damit es am Ende auch passt.
Ich finde nicht, dass man mit dieser Monstranz «Wir müssen einsparen, einsparen, einsparen» — ohne die anderen Aspekte zu beachten — aus Angst vor dem Tod politischen Selbstmord begehen darf.
Herr Schäuble hat sich in der Pressekonferenz zum Sparpaket zur FDP und zur Frage der Erhöhung des Spitzensteuersatzes eindeutig geäußert. Er hat gesagt: Aus Rücksicht auf die FDP mussten wir darauf verzichten. — Er hat also die Richtigkeit dieser Maßnahme zugegeben.

An Ihrer Stelle hätte ich in Sachsen das Landeserziehungsgeld gestrichen, auch wenn es für Sie programmatisch anstrengend ist, denn Sie opfern etwas, was ich verstehe. Aber ich hätte das Geld genutzt, um die Beratung im Sozialbereich zu stabilisieren, denn die Menschen brauchen in der Krise Rat zur Hilfe und Selbsthilfe. Das ist wichtiger, als auf einem ideologischen Posten zu beharren. Man muss auch mal eine Position räumen können.