Antrag „Gerechtigkeit für sächsische Bergleute herstellen!“ − Lippold: Es muss nach einer wirklich gangbaren Lösung gesucht werden, solange die Betroffenen davon noch etwas haben

Rede des Abgeordneten Dr. Gerd Lippold zum Antrag der Fraktion DIE LINKE mit dem Titel "Gerechtigkeit für sächsische Bergleute herstellen!"
48. Sitzung des Sächsischen Landtags, 1. Februar, TOP 9, Drs. 6/8131

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Abgeordnete,

Liebe Fraktion Die Linke – um das gleich vorab zu sagen: anders als unserer Kolleginnen und Kollegen von der GRÜNEN Fraktion im Deutschen Bundestag, die sich mit fundierter Begründung beim dortigen linken Antrag zum selben Thema der Stimme enthalten haben, werden wir Ihrem Antrag hier zustimmen. Ich will Ihnen auch sagen warum: Das hat nichts damit zu tun, dass wir den Antrag inhaltlich zielführend fänden. Das hat ausschließlich damit zu tun, dass wir hier in Sachsen dieses konkrete Härtefallthema für so wichtig halten, dass wir den Betroffenen ein Signal senden wollen, dass wir ihre Situation sehen und möchten, dass wir uns im Landtag auf die pragmatische Suche nach einem wirklich gangbaren Weg zum Helfen machen.
Liebe Linke, nachdem Ihr Antrag in diesem hohen Haus abgelehnt werden wird und Sie ihre gewünschten Schlagzeilen machen können lassen Sie uns untereinander, mit Frau Köpping, lassen Sie uns in den Ausschüssen sachlich über solche gangbaren Wege nachdenken.

Auch nach der absehbaren Ablehnung Ihres Antrages werden Sie hier weiter auf dem Prüfstand stehen. Es wird sich erweisen, was Sie eigentlich erreichen wollen. Geht es Ihnen darum, zu zeigen, dass es die anderen nicht hinkriegen und sich in der Folge einfach gar nichts bewegt? Oder bleiben Sie dran, weil es Ihnen darum geht, dass die Betroffenen tatsächlich so rasch wie möglich Geld in die Hand bekommen? Wir werden sehen.

Die betroffenen ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Braunkohlenveredlungsbetriebe haben unter härtesten, besonders gesundheitsschädlichen Bedingungen gearbeitet. Dort wurden Schwelerei-Anlagen auf Verschleiß gefahren und auf Teufel komm raus Stoffe wie z.B. Phenole – toxisch und mutagen – oder krebserregende Teerprodukte hergestellt. Und manchmal kam der Teufel auch raus. Wer dort regelmäßig vorbei fuhr, weiß, wovon die Rede ist. Man hatte den Menschen deshalb wenigstens für die Altersversorgung Konditionen wie für unter Tage tätige Bergleute versprochen. Obwohl für die Zusatzversorgung eingezahlt worden war, wurden sie darum bei der Überleitung in das bundesdeutsche Sozialversicherungssystem geprellt. Ja, das sind Härtefälle, denen Hilfe und Gerechtigkeit zuteilwerden muss! Doch wie? Motiviert wurde die Sonderversorgung damals durch besonders schädliche Arbeitsbedingungen. Schafft man nun für jeden Härtefall spezielle Regelungen im Gesetzeswerk? Wenn ja, wo fängt man damit an, wo hört man auf?

Was ist mit jenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an den nicht weniger maroden und gefährlichen Chemieanlagen der DDR, die genau diese Stoffe anschließend weiterverarbeitet haben? Was ist mit jenen in Bitterfeld, die unter gesundheitsschädlichsten Bedingungen in der Chlorchemie gearbeitet haben, wo doch das Chlor aus der Elektrolyse von bergmännisch gewonnenen Salzsolen stammte?

Und was ist mit jenen, die 10 m vor dem Werkszaun denselben Belastungen ausgesetzt waren wie jene 10 m dahinter? Wer jemals in den 70igern oder 80igern in Greppin aus dem Zug gestiegen ist und bei Wind aus Richtung der nahen Chlortanks um Atem gerungen hat, wer dabei gesehen hat, dass die Mitarbeiter hinter dem Werkszaun ihre Schutzmaske am Gürtel trugen, die Mütter mit ihren Kinderwagen auf dem Fußweg vor dem Werkszaun aber natürlich nicht, dem drängen sich diese Fragen auf.
Immer wieder Härtefälle. Jeder Fall anders, jeder ein Schicksal. Ob nun im Einzelfall 3, 30 oder 300 betroffene Menschen. Wollen Sie jedes Mal Einzelfallregelungen ins Bundesgesetz schreiben? Wir halten einzelfallspezifische Härtefallentscheidungen und Regelungen auf Basis eines Härtefallfonds für die bessere, weil für viele unterschiedliche Fälle handhabbare Lösung. Das hat unsere Fraktion im Bundestag gesagt, das sagen wir hier und das hatte wohl auch die Bundes-SPD bereits in den  Koalitionsverhandlungen angestrebt. Lassen Sie uns so einer Lösung gemeinsam Nachdruck verleihen. Wir werden uns der Mitwirkung nicht verwehren.  

Und ganz zum Schluss noch einen ganz unpopulistischen Gedanken mit auf den Weg, liebe Linke, der sich mir aus persönlicher Erinnerung aufdrängt, denn wir sind hier nicht nur die GRÜNEN, sondern auch BÜNDNIS 90:  
Wenigstens jene unter Ihnen, liebe Linke, die damals bis zum Schluss diese Art des Umgangs mit Menschen und Umwelt verteidigt und sozialistisch genannt haben, sollten jetzt wirklich mal innehalten und prüfen, ob es angemessen ist, die dadurch gesundheitlich ruinierten Menschen drei Jahrzehnte später erneut vor den Kopf zu stoßen, indem man ihnen vermeintlich die Hand zur Hilfe entgegen streckt, während man doch eigentlich nur nach dem Stift greift, um eine Schlagzeile aufzuschreiben.
Wie gesagt, wir werden ihrem Antrag zustimmen. Doch sollten Sie das nicht als Unterstützung Ihrer Schlagzeilen verstehen. Wir meinen das als ein Signal an die Betroffenen, dass wir es wie viele andere hier in diesem Landtag für nötig halten, nach einer wirklich gangbaren Lösung zu suchen, solange die Betroffenen davon noch etwas haben.

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