Armut und Reichtum − Zschocke: Der Bericht ist angesichts der ökonomischen Lage in Deutschland und in Sachsen ein Armutszeugnis

Rede des Abgeordneten Volkmar Zschocke zum Antrag der Fraktion DIE LINKE "Stellungnahme ‘Armut und Reichtum in Sachsen – Ziele und Vorhaben der Sächsischen Staatsregierung zum Abbau sozialer Ungleichheit sowie von Armut und Ausgrenzung‘ erstellen!" (Drs 6/10440)
59. Sitzung des Sächsischen Landtags, 31. August, TOP 11

– Es gilt das gesprochene Wort –

Herr Präsident,
meine Damen und Herren,

die LINKE Fraktion nimmt den aktuellen Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung sowie Berichte von Sozialverbänden und Gewerkschaften zum Anlass, die Staatsregierung aufzufordern, Stellung zu beziehen. Man könnte sogar sagen, endlich Stellung zu beziehen. Es ist der verzweifelte Versuch in diesem Haus eine ernsthafte Debatte darüber zu beginnen, was Sachsen tun kann und will, um Armut entgegen zu wirken.

Die LINKEN haben jüngst zur Kinderarmut eine Große Anfrage eingereicht und ausgewertet, unsere Fraktion zu den Lebenslagen Alleinerziehender. Die Zahlen für Sachsen liegen auf dem Tisch:
• Kinderreiche Familien sind zu elf Prozent von Armut betroffen. Bei den Ein-Kind Familien waren es 2014 deutlich weniger mit 6,5 Prozent.
• Alleinerziehende und ihre Kinder sind als Familien am häufigsten von Armut bedroht. Aktuell betrifft es beinahe jedes dritte Kind in Sachsen.

Außerdem wissen wir durch das Statistische Landesamt:
• Arm trotz Arbeit sind 2016 über 18.000 Erwerbstätige in Sachsen gewesen. Sie haben eine Grundsicherung erhalten, weil deren Einkommen unter dem gesetzlichen Mindesteinkommen lag.
• Über 10.000 SeniorInnen in Sachsen waren 2016 trotz Rente so arm, dass sie auf die Grundsicherung im Alter angewiesen sind.
• Immer mehr Menschen sind arm, weil sie pflegebedürftig sind. In Sachsen haben 17.130 Menschen Hilfe zur Pflege gebraucht, weil das eigene Geld nicht ausreichte.
Diese Zahlen sind angesichts der ökonomischen Lage in Deutschland und in Sachsen ein Armutszeugnis. Erwähnt werden muss an dieser Stelle auch, über die Lebenssituation einiger Mitbürgerinnen und Mitbürger wissen wir fast gar nichts, weil die sogenannten „Fallzahlen“ zu gering sind. Das betrifft vor allem Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen mit Behinderungen.

Was fehlt ist der Wille der Staatsregierung sich mit dem Thema ernsthaft auseinanderzusetzen und eine Gesamtstrategie zu entwickeln. Mein Eindruck ist, dass sich das CDU-geführte Sozialministerium bei diesem Thema mehr und mehr aus der Verantwortung nimmt und stattdessen entweder auf den Bund oder die Selbstverwaltung der Kommunen verweist. Diese Koalition lässt das zu, indem konkrete Vorschläge oft mit lapidaren Begründungen weg gewischt werden. Tenor: „Sehen wir genauso, aber das machen wir schon“

Die selbst gesteckten Ziele der CDU und SPD werden bei weitem verfehlt. Für das Jahr 2016 wurde im Koalitionsvertrag eine sächsische Präventionsstrategie angekündigt. Maßnahmen zum Abfedern bestehender Armut sowie zur Minimierung von Armutsrisiken, insbesondere bei Kindern und Älteren, sollten entwickelt werden. Wir haben davon bis jetzt nichts gehört. Ich werde nicht müde, dieses Versprechen in Erinnerung zu rufen! Denn es ist dringend notwendig, das sich endlich etwas tut. Wer die Reden zu sozialen Fragen in diesem Haus verfolgt, der weiß wie schwer es ist, mit den Regierungsvertretern der CDU und SPD nicht nur über Problemlagen zu sprechen, sondern zu Lösungen zu finden.

Ja, Sozialpolitik wird maßgeblich auf Bundesebene gemacht. Doch auch wir haben im Sozialbereich große Baustellen:
• Die Sozialberichterstattung lässt weiter auf sich warten. Die Ergebnisse werden voraussichtlich Ende 2018 präsentiert und somit keine Wirkung in dieser Wahlperiode entfalten können.
• Die Überarbeitung der Förderrichtlinien im Sozialministerium wird nicht gemeinsam mit den Sozialverbänden und Vereinen angegangen. Die Gelder, die der Freistaat für Bedürftige und Hilfesuchende bereitstellt, müssen auch bei den Betroffenen ankommen. Doch die Förderpraxis wird nicht einfacher. Ganz im Gegenteil. Oft wird die Arbeit der Träger durch die Fördervoraussetzungen verkompliziert und erschwert.

Eins muss hier auch ganz deutlich gesagt werden: Armut verhindert man nicht nur durch sozialstaatliche Leistungen. Auf den Freistaat kommt es an, wenn es darum geht, Armut vorzubeugen. Exemplarisch genannt seien hier:
• gute Arbeitsbedingungen und gut bezahlte Jobs, ein inklusiver Arbeitsmarkt – auf dem jeder mit seinen Fähigkeiten eine Chance hat
• ein funktionierendes Bildungssystem – gute Bildung für alle von Anfang an, qualifiziertes Personal und geringere Abbrecherquoten in der Schule und Ausbildung
• die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum durch ein Landesförderprogramm, dass die Kommunen bei dieser großen Aufgabe unterstützt anstatt weiterhin alles dem freien Markt zu überlassen

Auch zu diesen großen Aufgabenbereichen haben wir GRÜNE in den letzten Jahren immer wieder konkrete Vorschläge in den Landtag eingebracht.
Wir stimmen dem Antrag der LINKEN zu. Es ist nicht mehr und nicht weniger als der Auftrag an die Staatsregierung, das Thema Armut in den Fokus zu rücken und die Aufforderung an alle Ministerien ihren Beitrag zu leisten, um soziale Ungleichheit, Armut und Ausgrenzung abzubauen und vorzubeugen. Es gibt aus meiner Sicht keine schlüssige Begründung diesen Handlungsauftrag abzulehnen. » alle Redebeiträge der GRÜNEN-Fraktion » alle Infos zur 58./59. Landtagssitzung