Bildung & Sexualerziehung – Hammecke: Es geht um individuelle Bedürfnisse statt um normierte Rollen!
Redebeitrag der Abgeordneten Lucie Hammecke (BÜNDNISGRÜNE) zum Antrag der Fraktion AfD: „Natürliche und persönliche Grenzen von Kindern schützen – Eine alters- und kindgerechte frühkindliche Sexualerziehung im Bildungsplan festschreiben“ (Drs 7/7678)
37. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 30.09.2021, TOP 8
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich möchte ein erstes Missverständnis aufklären:
Der Titel des Antrags lässt vermuten, dass die AfD Kinder schützen und eine alters- und kindgerechte Sexualerziehung im Bildungsplan verankern will. Weder das eine noch das andere ist der Fall.
Das eigentliche Ziel des Antrags lautet: das traditionelle Familienbild als einzig zulässiges propagieren und die Vielfalt von Lebensentwürfen zu negieren. Die Angst vor geschlechtlicher Vielfalt sitzt bei der AfD offenbar tief! Aber das wussten wir ja schon.
Tief sitzt offenbar auch das Misstrauen gegenüber den Erzieher*innen.
Als ob Kleinkinder in sächsischen Kitas tagtäglich sexualpädagogisch indoktriniert werden! Das wird der Realität in den Einrichtungen und der professionellen Arbeit der Fachkräfte in keiner Weise gerecht.
Richtig ist, dass die Haltung der Pädagoginnen und Pädagogen gerade beim Thema Sexualerziehung enorm wichtig ist. Deshalb ist es umso bedeutender, sie in dieser professionellen Haltung zu stärken – und nicht, wie es die AfD tut, Zweifel zu schüren an der Integrität und letztlich der Eignung von Erzieherinnen und Erziehern.
Ein zweites Missverständnis im Antrag ist das folgende:
Die AfD vertritt die Formel: weniger Sexualpädagogik gleich mehr Kinderschutz. Diese Formel ist nicht nur falsch, sie ist sogar gefährlich.
Sexualerziehung ist ein wichtiger Bestandteil der Sozialerziehung und der Persönlichkeitsbildung. Ziel ist es, dass Kinder sich in ihrem Körper wohlfühlen, eine sichere geschlechtliche Identität entwickeln, auf ihre eigenen Grenzen und die Grenzen anderer Menschen achten.
Kurzum: Eine ganzheitliche Sexualpädagogik macht Kinder stark!
Mit Verboten, Beschämung und Tabus verletzten Sie die Grenzen der Kinder, Sie schützen sie nicht, werte Damen und Herren der AfD-Fraktion!
Denn eigentlich ist es ja genau andersherum. „Schwul“ ist immer noch ein Schimpfwort auf sächsischen Schulhöfen, Diskriminierung leider eine Alltagserscheinung!
In internationalen Studien ist gut belegt, dass queere Jugendliche im Vergleich zu heterosexuellen Teenagern ein stark erhöhtes Risiko für suizidales Verhalten aufweisen.
Die erhöhte Zahl an Suizidversuchen hängt nicht direkt mit der sexuellen Orientierung zusammen, sondern komme über indirekte Faktoren wie etwa Homofeindlichkeit, Schikanen in der Schule oder fehlende Akzeptanz in der Familie zustande.
Ein drittes Missverständnis, das ich ausräumen möchte, betrifft den Sächsischen Bildungsplan. Die AfD suggeriert, dass man dort, ähnlich wie bei einem Lehrplan, bestimmte „Lerninhalte verankern“ könnte. Auch das ist falsch. Der Bildungsplan ist eine Orientierungshilfe, ein Leitfaden für die Praxis. Ihm liegt ein ganzheitliches und demokratisches Bildungsverständnis zugrunde, in dem – ich zitiere – „das Kind als Akteur seiner eigenen Entwicklung im sozialen Miteinander verstanden wird“ – Zitat Ende – und eben NICHT als unmündiges Wesen, dem man etwas beibringen muss.
Im Grundlagen-Kapitel geht es um einen geschlechterbewussten, einen geschlechtsreflektierenden Umgang mit Kindern, darum, dass alle Kinder sich jenseits von Rollenklischees entwickeln können, darum, ihnen – ich zitiere – „eine Vielfalt von geschlechtlichen Ausdrucksmöglichkeiten anzubieten und sie in ihrem Eigen-Sinn zu fördern, statt sie auf das zu reduzieren, was gerade als typisch männlich und typisch weiblich gilt“ – Zitat Ende. Es geht um individuelle Bedürfnisse statt um normierte Rollen!
Auch in puncto Familienbild stellt der Bildungsplan klar: „Die Variabilität der Erscheinungsformen von Familie benötigt ein von der traditionellen Kernfamilie losgelöstes Verständnis.“
Kurzum:
Der AfD-Antrag verlangt nach Aufklärung in vielfacher Hinsicht. Und der Sächsische Bildungsplan ist auch ohne Fortschreibung schon deutlich weiter, als es die AfD je sein wird. Wir lehnen den Antrag daher ab.
Vielen herzlichen Dank.