Bildungsempfehlungen − Zais: Bewegung im Schulgesetz resultiert nicht aus gestaltender Bildungspolitik sondern aus dem Druck der Eltern, Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler
Rede der Abgeordneten Petra Zais:
zur Zweiten Beratung des Entwurfs der Fraktionen CDU und SPD mit dem Titel "Viertes Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes für den Freistaat Sachsen"
48. Sitzung des Sächsischen Landtags, 1. Februar, TOP 7, Drs. 6/7136
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Abgeordnete,
zunächst möchte ich im Namen meiner Fraktion die Gelegenheit nutzen, um allen Initiatoren von Klagen gegen – meist verfassungswidrige Regelungen im SächSchulG – zu danken. Insbesondere Eltern, die sich auf den beschwerlichen Weg einer Klage begeben, um die ihnen und ihren Kindern verfassungsmäßig garantierten Rechte einzufordern und durchzusetzen. Genannt an dieser Stelle Gerichtsentscheidungen zur Lernmittelfreiheit, zur Gleichbehandlung der Schulen in Freier Trägerschaft, zum Recht auf inklusive Beschulung und nun zur verbindlichen Bildungsempfehlung.
Dass wir trotz hohen Anpassungsbedarfs überhaupt Bewegung im Schulgesetz und in sächsischer Schulpolitik haben resultiert nicht aus einer Bildungspolitik mit gestaltendem Anspruch. Diese Bewegung resultiert aus dem Druck derer, die seit Jahrzehnten mit den Konsequenzen einer oft starren, unmodernen und zunehmend ideologisch geprägten Bildungspolitik zu kämpfen haben – es sind die Eltern, LehrerInnen, Kinder und Schulträger. Vom vielgepriesenen Schulfrieden kann in Sachsen schon lange keine Rede mehr sein.
Doch anstatt die Urteile als Chance für Verbesserung zu sehen und grundsätzlich über Fehlstellen sächsischer Bildungspolitik nachzudenken, bewegt sich die Koalition immer nur stückweise. Jedes mal wird die bemängelte Praxis gerade so abgewandelt, um vor Gericht Bestand zu haben. Gesichtswahrung – dafür steht auch der heute vorgelegte Gesetzentwurf der Koalition zur Bildungsempfehlung.
Das vorausgegangene Urteile ist ein Meilenstein hin zu mehr Chancengerechtigkeit. Für mich war ein Kernsatz, dass für den künftigen Bildungsweg eines Kindes nicht die Frage entscheidend sein darf, ob das Kind in der Lage sein wird, ein sehr gutes Abitur abzulegen. Diese Art der positiven Auslese hat das Gericht als nicht akzeptabel eingeschätzt und den Einfluss des Staates beschränkt.
Ja, letztlich musste den Eltern zugestanden werden, über den künftigen Bildungsweg ihrer Kinder selbst zu entscheiden. Das ist die gute Nachricht und das Minimum. Aber die Durchsetzung dieses Rechts bleibt nach dem Willen der Koalition bürokratisch, ist von Misstrauen geprägt und sanktionsbehaftet. Eltern – so die Botschaft – sind nicht in der Lage, die Leistungs- und Schulfähigkeit ihrer Kinder einzuschätzen. Ich wage die Prophezeiung, dass Teile dieser Neuregelung einer erneuten gerichtlichen Überprüfung nicht standhalten werden.
Wir werden uns heute enthalten.
Etwas stört mich ganz besonders. Auf der einen Seite haben wir Eltern, die trotz abschlägiger Bildungsempfehlung für das Gymnasium, diesen Weg mit ihrem Kind gehen wollen. Denen macht es die Koalition weiter schwer, wie z. Beispiel mit einer zusätzlichen Leistungserhebung und Zwangsberatung. Eine Zumutung für Eltern und Kinder.
Auf der anderen Seite haben wir Eltern, die trotz einer Empfehlung für das Gymnasium diesen Weg mit ihrem Kind nicht gehen wollen. Warum gibt es hier keine „Pflichtberatung“? Warum spricht keiner über diese möglicherweise vertanen Chancen auf höhere Bildung?
2016 erhielten im Erzgebirgskreis 44,6 % der Kinder eine Empfehlung für das Gymnasium. Tatsächlich angemeldet haben sich 28,7 %. Ein ähnliches Bild im Landkreis Leipzig. Da bekamen 50,1 % der Kinder eine Empfehlung für das Gymnasium und nur 32,5 % meldeten sich tatsächlich am Gymnasium an.
Warum spricht keiner drüber?
Die Bildungsempfehlung in ihrer sächsischen Ausrichtung war schon immer ungerecht. Darüber hinaus hat sie sich in den letzten Jahren zum Lenkungsinstrument ganz anderer Art entwickelt. Das machen die Zahlen deutlich. Insbesondere in den ländlichen Regionen dient sie dem Erhalt von Schulstandorten und der Sicherung des Lehrlingsnachwuchses für kleine Betriebe und das Handwerk. Da jedoch – schaut man in den Artikel 1 des Schulgesetzes – ist nicht die Aufgabe von Bildung.
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