Chancen-Aufenthaltsrecht – Čagalj Sejdi: Wir BÜNDNISGRÜNE setzen uns weiter für einen Spurwechsel beim Bleiberecht ein
Redebeitrag der Abgeordneten Petra Čagalj Sejdi (BÜNDNISGRÜNE) zum Antrag der Fraktion DIE LINKE: „Geflüchteten Menschen eine Bleibe- und Lebensperspektive in Sachsen geben: „Chancen-Aufenthaltsrecht“ auch in Sachsen regeln – Jetzt!“ (Drs 7/9577)
52. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 02.06.2022, TOP 7
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Her Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
es ist völlig klar: Menschen, die mit dem geplanten Chancen-Aufenthaltsrecht der Bundesregierung Aussicht auf ein Bleiberecht haben, dürfen nicht abgeschoben werden. Dahinter stehe ich mit vollstem Herzen.
Es geht auch mir um die vielen Menschen, die nach ihrer Flucht hier in Sachsen ein neues Zuhause gefunden haben, die hier ihre Kinder großziehen, die hart arbeiten, um die Sprache zu lernen, um ihren Lebensunterhalt selbst zu sichern und die sich vielleicht außerdem noch in ihrer Gemeinde besonders engagieren. Diese Menschen leben hier mit einer Duldung, sie leben in der ständigen Angst, abgeschoben zu werden – und sie haben Schwierigkeiten, eine Arbeitserlaubnis zu bekommen bzw. aufgrund ihres unsicheren Aufenthaltsstatus überhaupt eine Arbeitsstelle.
Diese Menschen sind eine Bereicherung für Sachsen. Sie machen Sachsen besser, sie bringen soziale, kulturelle und ökonomische Fähigkeiten und Kompetenzen mit, die unserer gesamten Gesellschaft zugutekommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen
in den nächsten zehn Jahren werden uns in Sachsen 180.000 Fachkräfte fehlen. Wir fahren mit Vollgas auf eine sehr dicke Wand zu und wir werden kollidieren. Wir müssen endlich diese Tatsache anerkennen und wir müssen uns überlegen, ob und wie wir vor der Mauer noch bremsen können. Dazu gehört, dass wir die Potenziale von hier in Sachsen lebenden Menschen mit Einwanderungsgeschichte endlich anerkennen. Und dazu gehört auch, dass wir den Menschen mit diesen Potenzialen eine Perspektive, eine Chance geben. Die Bundesregierung will mit der geplanten Änderung des Aufenthaltsgesetzes genau das tun. Und das finde ich großartig.
Mir geht es aber um weit mehr; mir geht es um die Menschen, die hier ein Zuhause gefunden haben. Aus menschlicher Perspektive heraus ist es nur konsequent, Menschen, die Wurzeln geschlagen haben, nicht an einen Ort zu verpflanzen, an dem sie nicht sein wollen, vor dem sie Angst haben, an dem sie möglicherweise sogar bedroht sind.
Der Gedanke, schon jetzt Menschen vor Abschiebungen zu schützen, die von dem geplanten Chancen-Aufenthaltsrecht profitieren, ist folgerichtig. Es erscheint absurd, diese Menschen abzuschieben. Absurd, weil sie nach dem Willen der Bundesregierung ein Recht zum Bleiben erhalten sollen. Absurd, weil sie keinen Einfluss auf die Dauer des Gesetzgebungsverfahrens haben. Absurd, weil sie schon jetzt mit einer Ausbildungsstelle oder einem unbefristeten Arbeitsvertrag einen Beitrag zum Fachkräftemangel leisten können.
Wir müssen das aber richtigmachen. Und hier sehe ich mit den Forderungen Ihres Antrages große Probleme. Ermessenslenkende Anwendungshinweise für eine Aufenthaltsbeendigung sind in dieser Form nicht umsetzbar.
Das geplante Chancen-Aufenthaltsrecht ist Zukunftsmusik. Was am Ende tatsächlich im Gesetz steht, wissen wir nicht. Wir können nicht Rechte einräumen aufgrund von Absichtserklärungen. Für uns gilt nach wie vor das Aufenthaltsgesetz. Und dieses Aufenthaltsgesetz besagt, dass ausreisepflichtige Menschen leider abzuschieben sind. Die Vollzugsbehörden haben hierbei kein Ermessen. Damit ist auch kein Raum für ermessenslenkende Anwendungshinweise für die Aufenthaltsbeendigung, die Sie in Ihrem Antrag fordern.
Die bestehenden Vorgriffsregelungen der anderen vier Bundesländer beschränken sich auf eine Aufforderung an die Vollzugsbehörden, Menschen, die von dem geplanten Chancenaufenthaltsrecht profitieren können, nicht prioritär abzuschieben. Das ist die Vorgehensweise, die wir brauchen.
Sie wissen um die Diskussionen, welche wir zum Thema Bleiberecht und Spurwechsel mit unseren Koalitionspartnerinnen führen, wie schwierig und schwerfällig jeder Schritt in die richtige Richtung ist. Das unter Roland Wöller geführte Innenministerium hat eine Vorgriffsregelung grundsätzlich abgelehnt.
Wir sind dennoch mit unseren Koalitionspartnerinnen weiter im Gespräch geblieben. Wir freuen uns auch auf ein gutes und konstruktives Gespräch mit Herrn Schuster diesen Monat.
Sie machen uns diese Gespräche mit Ihrem Antrag nicht unbedingt leichter. Unsere Koalitionspartnerinnen müssen sich heute öffentlich zu Ihrem Antrag positionieren. Sie können sich ausrechnen, wie das ausgehen wird.
Wir kommen nicht wirklich voran – mit Anträgen, die entgegen der Mehrheitsverhältnisse in diesem Land das Blaue vom Himmel versprechen. Das führt zu Frust bei Ihnen, bei mir und meiner Fraktion – und bei denjenigen, denen dieser Antrag helfen soll.
Was wir jetzt brauchen ist: Ein schnelles Handeln der Bundesregierung. Das Chancen-Aufenthaltsrecht muss schnellstmöglich auf den Weg gebracht werden.
Und auch Sachsen kann etwas tun. Herr Schuster: Diese Woche findet die Innenministerkonferenz statt, sprechen Sie sich dort und im Bundesrat für eine bundesweit einheitliche Regelung aus!
Vielen Dank.