Corona – Hammecke: Wir müssen die unterschiedlichen Lebenssituationen im Blick haben und die Impflücke schließen

Redebeitrag der Abgeordneten Lucie Hammecke (BÜNDNISGRÜNE) zum Bericht der Staatsregierung zur Corona-Pandemie
44. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 09.02.2022, TOP 2

– Es gilt das gesprochene Wort

 

Sehr geehrter Herr Präsident,
Sehr geehrter Abgeordnete,

seit zwei Jahren beschäftigt uns nun die Pandemie. Niemand von uns hätte wohl damals damit gerechnet, dass wir so lange gegen Corona kämpfen werden müssen.

Dass uns vor allem auch die gesellschaftlichen Folgen, die Corona auslöst, so lange beschäftigen. Wie perfide Rechte und Rechtsextreme diese Krankheit mit einer Positionierung wie ein Fähnchen im Wind nutzen, um immer wieder Vertrauen in Demokratie und in den Rechtsstaat zu untergraben, während sie ihn selbst mit Füßen treten. Und dass der parlamentarische Arm dieser Bewegung hier in diesem Plenum so viele Sitze beanspruchen darf.

Doch wenn ich zurückblicke und mal nicht an die denke, die versuchen, einen politischen Nutzen daraus zu ziehen, Hass zu verbreiten und einen Keil in die Gesellschaft zu treiben. Wenn ich die mal kurz ausblende – dann sehe ich viele Menschen, die trotz dieser anstrengenden und schwierigen Zeit versucht haben, das Beste daraus zu machen und ihr Bestes zu geben. Und dabei eben doch in grundlegend verschiedenen Bedingungen gelebt und gearbeitet haben.

Es gibt einen Satz, in einem Beitrag des Deutschlandfunks, den ich hier kurz zitieren möchte:

„Das Virus scheint demokratisch, es steckt jeden an – und doch gibt es Unterschiede“

Diese Unterschiede hat eine Studie des RKI aufgezeigt: Menschen, die in sozial benachteiligten Regionen leben, waren häufiger an Corona erkrankt und auch die Sterberate war bedeutend höher.

Einige Gründe dafür:

Die Arbeitsfelder: Ärmere Menschen arbeiten eher mit vielen Menschen – an der Kasse, in der Produktion, in der Pflege, im Lieferdienst. Sie können seltener ins Homeoffice gehen, haben schlechtere Arbeitsbedingungen und oft auch schlechteren Schutz auf der Arbeit.

In sozial benachteiligten Vierteln gibt es oftmals weniger Test- und Impfzentren. Menschen, die dort leben, müssen in ihren Zentren mit langen Wartezeiten zurechtkommen.

Und es gilt leider auch in Deutschland immer noch: Arme Menschen sterben früher. Sie sind häufiger von chronischen Krankheiten, wie Diabetes oder Lungenkrankheiten betroffen, und damit auch Risikogruppen für diese Viruserkrankung.

Das ist ungerecht. Und diese Feststellung zeigt uns, dass wir unser Handeln differenzieren müssen. Dass wir die unterschiedliche Rahmenbedingungen von Lebenssituationen in unser Handeln in dieser Pandemie einbeziehen müssen.

Dies zeigt auch das Beispiel einer aktuellen Studie des RKI: Menschen mit Migrationshintergrund sind seltener geimpft, aber eher zur Impfung bereit.

Dort hängt es an konkreten Hürden, wie der Tatsache, dass sie keinen Hausarzt und keine genaue Kenntnis darüber haben, wie es in den Impfzentren abläuft. Dass sie bereits diskriminierende Erfahrungen im Gesundheitssystem gemacht haben oder wegen langer Wartezeiten im Impfzentrum und Beschwerden nach der Impfung Angst vor Arbeitsausfall haben.

Ein weiteres konkretes Beispiel, das direkt zeigt, wo differenziertes Handeln ansetzen kann.

Denn Impfen ist der Weg aus dieser Pandemie. Das gilt für die gesamte Gesellschaft. Es senkt das Risiko, sich anzustecken, verringert das Risiko für einen schweren Verlauf enorm und steht doch eigentlich kostenfrei zur Verfügung hier in Deutschland.

Aber anscheinend durchdringt die Kommunikation und Aufklärung über Impfungen die Gesellschaft – und hier eben nicht nur Menschen mit Migrationshintergrund, sondern auch viele weitere Teile der sächsischen Gesellschaft – noch nicht so, wie es notwendig wäre. Während zweifelhafte „Informationen“ oder eben gezielte Desinformation strategisch verbreitet werden.

Das merken wir Abgeordnete über die offiziellen Zuschriften an unsere Mailadressen. Das merke ich aber auch daran, was mir persönlich bei Whatsapp zugeschickt wird.

Grundsätzlich sind wir als BÜNDNISGRÜNE aber davon überzeugt, dass wir nach wie vor das Potenzial haben, Menschen von der Impfung gegen das Corona-Virus mit den zuverlässigen, wirksamen und bereits milliardenfach verabreichten Impfstoffen zu überzeugen.

Deshalb brauchen wir jetzt: eine dauerhafte, zielgruppenspezifische Impfkampagne, die auch Multiplikator*innen in Vierteln und Gemeinden einbezieht, die man vor Ort kennt, die Vertrauen genießen. Die Kampagne braucht Kontinuität, einfache, verständliche Darstellungen, in mehreren Sprachen, in einfacher Sprache, in Gebärdensprache.

Informationen nicht nur auf www.coronavirus.sachsen.de – auch wenn ich auch im Vergleich zu anderen Bundesländern diesen Internetauftritt an dieser Stelle explizit loben möchte –, sondern dort, wo die Menschen eben regulär unterwegs sind. Das gilt vor Ort in Vereinen, kulturellen Zentren, religiösen Gemeinden, im ÖPNV, in kostenlosen regionalen Anzeigenblättern, auf Plakaten und Flyern – ebenso wie online auf Social Media.

Als Landtag haben wir Geld zur Verfügung gestellt, um die Impfkampagne zu organisieren. Ich denke, es ist wichtig, darüber zu reden, wie wir dies ausbauen können!

Denn eins muss uns klar sein: Die geringe Impfquote in Sachsen hat sehr reale Auswirkungen.

Stand 8. Februar, also gestern, hatte Sachsen die höchste Sterbequote aller Bundesländer je 100.000 Einwohner*innen. 349. Der Bundesschnitt ist 143. Und deshalb sind wir in Sachsen, sind wir in Deutschland eben nicht Dänemark, nicht England. Wir haben eine massive Impflücke und sind noch vor dem Peak der Omikronwelle – und vor allem weiterhin in einer weltweiten Pandemie mit dem Risiko neu mutierter Varianten und dann einem neuen Herbst.

Eins muss uns allen klar sein: Die Alternative zu einer niedrigen Impfquote heißt wiederkehrende Lockdowns – das wollen wir nicht, denn wir kennen die gesellschaftlichen Folgen mittlerweile. Wir wissen, wie ungerecht sie sich auswirken auf unsere Gesellschaft. Wie massiv überproportional Kinder und Jugendliche von den Einschränkungen der letzten zwei Jahre betroffen waren, wie sehr Frauen real zurückgesteckt haben, um Pflegearbeit zu leisten, während gleichzeitig ihr Risiko kontinuierlich stieg, von Häuslicher Gewalt betroffen zu sein. Am Anfang meiner Rede habe ich beschrieben, wie ungleich die Pandemie Menschen betroffen hat, die NICHT einfach mal so ins Home Office wechseln konnten.

Wenn einem diese gesellschaftlichen Folgen nicht egal sind – dann muss man sich für eine Erhöhung der Impfquote einsetzen! Dafür gibt es verschiedene Wege, die unter anderem gerade im Bundestag auch diskutiert werden. Es gibt aber auch Wege, die wir gehen können und sollten – und die ich eben nur angefangen habe zu skizzieren. Lassen sie uns diese Schritte weiter gemeinsam gehen.

Vielen herzlichen Dank!