Corona – Lippmann: Wir sollten Strukturen für modernes Arbeiten erhalten und fortentwickeln
Redebeitrag des Abgeordneten Valentin Lippmann (BÜNDNISGRÜNE) zum Bericht der Staatsregierung zur Corona-Pandemie
32. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 23.06.2021, TOP 1
– Es gilt das gesprochene Wort –
Das Infektionsgeschehen in Sachsen ist aktuell auf einem niedrigen Niveau und darüber sind wir alle sehr froh. Nun stehen die Ferien an, der Sommer scheint unbeschwert zu werden – alle atmen im wahrsten Sinne des Wortes durch.
Und dennoch blicken wir mit Sorge auf unsere europäischen Nachbarn, bei denen das Virus gerade mit der Delta-Variante wieder an Fahrt aufnimmt. Großbritannien oder Portugal hatten bereits viel eher als Sachsen ein viel geringeres Infektionsgeschehen. Innerhalb eines Monats ist die Inzidenz in Großbritannien nun von 15 auf über 100 gestiegen.
Wir kennen diese Entwicklung und das zeitverzögerte Geschehen in Deutschland. Es ist zu befürchten, dass die Delta-Variante auch in Deutschland und Sachsen in den nächsten Wochen weiter Verbreitung findet. Aus diesem Grund sind jetzt dringend Weichen zu stellen, um ein Ansteigen der Infektionszahlen jetzt oder später zu verhindern.
Dazu gehört für uns BÜNDNISGRÜNE auch weiterhin ein Überblick über das Infektionsgeschehen: Der Freistaat Sachsen hat als eines der ersten Bundesländer die Testpflicht an Schulen eingeführt und damit schlagartig ein Infektionsdunkelfeld in ein Hellfeld verwandeln konnten.
Neben der Testpflicht im Bereich Arbeit und Wirtschaft sind und waren die Schulen mit ihren wöchentlichen Testungen ein guter Anzeiger für Infektionsgeschehen – auch außerhalb der Schulen. Da gerade Kinder oft gar keine Symptome haben, ist das besonders ärgerlich – breiten sich dort Infektionen aus, bekommen wir das viel zu spät mit. Wir BÜNDNISGRÜNEN sind daher der festen Überzeugung, dass die aktuelle Beibehaltung der Testpflicht ein Schlüssel zur Verhinderung einer gravierenden 4. Welle ist.
Deshalb halten wir auch an der Testpflicht bei direktem Kundenkontakt fest. Auch ausreichend Testangebote am Arbeitsplatz sind – gerade mit Blick auf die Rückkehr von Urlaubsreisenden – unverzichtbar.
Zudem müssen wir mit Blick auf einen möglichen Wiederanstieg der Infektionen dafür sorgen, dass die gute Testinfrastruktur, die sich hier in den letzten Monaten etabliert hat, erhalten bleibt.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
zunehmende Bauchschmerzen habe ich bei der aktuellen Corona-Schutz-Verordnung allerdings hinsichtlich ihres systematischen Ansatzes. Bereits vor einem Monat, und auch am Montag im Ausschuss wieder, haben wir darauf hingewiesen, dass die Lösung des Verbots mit Erlaubnisvorbehalt, wie sie die Verordnung jetzt überall vorsieht, rechtsstaatlich problematisch ist.
Der Betrieb einer Gaststätte oder eines Kinos ist aktuell weiterhin grundsätzlich untersagt. Erst bei bestimmten Inzidenzen sind davon Ausnahmen vorgesehen. Im Verwaltungsrecht wird das Verbot mit Erlaubnisvorbehalt in erster Linie für potentiell gefährliches Verhalten (vorsorglich) untersagt und ist erst bei Hinzutreten abstrakter oder konkreter Voraussetzungen erlaubt.
Es ist – auch mit Blick auf Akzeptanz und Perspektiven – Zeit, die Verordnung anders herum aufzubauen: Beschreibung des Normalzustands und die Definition weiterer Einschränkungen dann je nach Inzidenz. Denn der Normalfall ist nicht, dass alles verboten ist, sondern eben alles erlaubt – und das sollte in einem freiheitlichen Rechtsstaat auch bei einer Verordnung zur Bekämpfung einer Pandemie der Standard sein.
Werte Kolleginnen und Kollegen,
die Sommermonate sollten ferner dringend dafür genutzt werden, den Öffentlichen Gesundheitsdienst zu stärken. Dazu gehört neben der rasch umzusetzenden personell und sachlich verbesserten Ausstattung auch die digitale Weiterentwicklung. Die Fehler vom letzten Jahr – als wir nach den Sommerferien in die zweite Welle starteten – dürfen wir nicht wiederholen. Wir müssen vorbereitet sein, mit Personal, mit Teststrategien und mit einer aufgeklärten Bevölkerung, die die Impfkampagne mitträgt.
Mit Blick auf unsere Verwaltungsstrukturen gilt es zudem zu konstatieren: Was können wir jetzt bereits aus der Pandemie lernen?
Der öffentliche Dienst ist endlich in der Zukunft der Arbeit angekommen. Mobiles Arbeiten ermöglicht eine hohe Flexibilität für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ihre Familien. Das ist ein großer und wichtiger Schritt – der sich für den Freistaat als Dienstherr vor allem dann auszahlen wird, wenn Kinder nicht mehr wegen geschlossener Schulen und Kitas zu Hause betreut werden müssen.
Die Anhörungen im vergangenen Herbst haben gezeigt, dass die Bediensteten des Freistaates auch und gerade im Homeoffice im höchsten Maße leistungsbereit und -fähig sind. Die seit vergangenem Jahr geschaffenen Möglichkeiten und Strukturen für modernes Arbeiten sollten wir dringend erhalten und fortentwickeln. Die an manchen Stellen fehlende, datenschutzgerechte, technische Ausstattung – auch für Videokonferenzsysteme – sollte in den nächsten Monaten endlich weiter verbessert werden.
Die Aus- und Fortbildung muss ihren Schwerpunkt in den nächsten Jahren auf flexibles Arbeiten legen, damit auch Führungskräfte den Kontakt zu ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht verlieren und die Motivationsfähigkeit erhalten bleibt. Richtig viel zu tun ist noch im Netzausbau. Eine stabile, leistungsstarke Internetverbindung ist Grundvoraussetzung für ein Arbeiten der Zukunft von Wirtschaft und Verwaltung.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
die nächsten Wochen werden entscheidend dafür sein, wie wir im Herbst gegen eine mögliche vierte Welle bestehen können. Wir haben es gemeinsam in der Hand.
Noch immer glauben wir BÜNDNISGRÜNE übrigens, dass eine stärkere Beteiligung des Parlamentes nicht nur notwendig, sondern auch sinnvoll ist. Lassen Sie mich zum Schluss daher nochmal mein Bedauern darüber ausdrücken, dass sich unsere Koalitionspartner immer noch nicht für eine stärkere Beteiligung des Parlaments an den Entscheidungen der Staatsregierung in dieser Pandemie durchringen konnte. Und somit fühle ich mich an dieser Stelle schon etwas dem älteren Cato nahe, wenn ich konstatiere, dass es im Übrigen gut wäre, wenn es endlich ein Parlamentsbeteiligungsgesetz gäbe.
Vielen Dank!