Datenschutz im Justizvollzug – Lippmann: Deckmantel für Überwachungsbefugnisse für Polizei und Justiz
Redebeitrag des Abgeordneten Valentin Lippmann zum Gesetzentwurf der Staatsregierung:
"Gesetz zum Schutz personenbezogener Daten im Justiz- und Maßregelvollzug, zur Gewährleistung der verfassungsrechtlichen Anforderungen an Fixierungen und zur Änderung des Sächsischen Gedenkstättenstiftungsgesetzes", Drs 6/16965, 3. Juli TOP 18
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
mit diesem, in diesem Gesetzespaket enthaltenen, Sächsischen Justizvollzugsdatenschutzgesetz wird die Liste der Gesetze, mit denen die Datenschutzverordnung in Sachsen durchgeführt und die JI-Richtlinie umgesetzt werden, vervollständigt.
Vervollständigt heißt leider nicht, dass die JI-Richtlinie vollständig umgesetzt wurde. Denn das nach unserer Auffassung europarechtswidrige Datenschutzumsetzungsgesetz, dass zusammen mit dem Polizeigesetz verabschiedet wurde, schlägt auch hier insoweit voll durch, als es dem Datenschutzbeauftragten auch im Bereich des Justizvollzugs keine wirksamen datenschutzrechtlichen Befugnisse an die Hand gibt.
In Art. 47 Abs. 2 der JI-Richtlinie heißt es ausdrücklich, dass jeder Mitgliedsstaat durch Rechtsvorschriften vorsieht, dass jede Aufsichtsbehörde über wirksame Abhilfebefugnisse verfügt, die es ihr beispielsweise gestatten, Anordnungen zur Löschung personenbezogener Daten oder zur Einschränkung der Verarbeitung zu erteilen, vorübergehend die Verarbeitung zu verbieten, Verantwortliche anzuweisen oder Verarbeitungsvorgänge in Einklang mit den Vorschriften der JI-Richtlinie zu bringen.
Demgegenüber sieht weder das Datenschutzumsetzungsgesetz noch das Justizvollzugsdatenschutzgesetz wirksame Anordnungs- oder Verbots-Befugnisse für den Datenschutzbeauftragten vor. Dies haben die Sachverständigen mehrfach in mehrere Anhörungen betont. Es lässt mich an der Lesekompetenz der Staatsregierung und der Regierungskoalition zweifeln, wenn sie die wesentlichen Bestimmungen der JI-Richtlinie nicht zur Kenntnis nimmt.
Und noch weiteres verfassungsrechtliches Ungemach hält dieses Gesetz bereit: Während Sie sich im Polizeigesetz noch erfolgreich um den Begriff der drohenden Gefahr geschummelt haben, um ja nicht in der Verruf zu geraten, sie hätten sich an Bayern orientiert – was dann nicht mal die halbe Wahrheit ist – , verwenden Sie in diesem Gesetz den Begriff ganz ungeniert. Die umfassenden Datenerhebungs- und -speicherungsbefugnisse nach § 29 beispielsweise, wonach von den Gefangenen nahezu jederzeit nicht nur Fotos gefertigt, sondern auch Finger- und Handflächenabdrücke genommen werden können, äußerliche körperliche Merkmale festgestellt, Messungen vorgenommen und biometrische Merkmale von Fingern, Händen, Gesicht, Augen und der Stimme erfasst werden können, sind ob ihres weiten, uneingeschränkten Erhebungsspektrums verfassungswidrig.
Hinzu kommt, dass diese Daten künftig auch von den Polizeibehörden des Bundes und der Länder genutzt werden können, an die die Daten zur Abwehr einer drohenden Gefahr übermittelt werden dürfen. Wann eine solche drohende Gefahr vorliegt, wird übrigens noch nicht einmal definiert. Die Verwendung dieses Begriffs und die damit verbundene Vorverlagerung informationeller Eingriffsbefugnisse ist zu unbestimmt und schon deshalb verfassungsrechtlich fragwürdig. Auf unsere Kritik am Polizeirecht können wir hier nur verweisen, aber auch die hat sie ja null interessiert.
Die Liste grundgesetz- oder eurparechtswidriger Zumutungen ließe sich endlos fortführen.
- Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sei hier die unbeschränkte Übermittlung besonders sensitiver Daten an öffentliche Stellen genannt. Der Sachverständige Thilo Weichert hatte in der Anhörung dargelegt, dass der Verweis auf die Voraussetzungen „vollzugliche Zwecke“ im Rahmen der Übermittlung von Daten an öffentliche oder nicht-öffentliche Stellen nicht mit der JI-Richtlinie konform geht, weil keine geeigneten Garantien für die Rechte und Freiheiten der betroffenen Personen zu finden sind. Überhaupt erfahren die Ermittlungsbefugnisse eine deutliche Ausweitung im Vergleich zum status quo.
- Zu nennen ist auch die Regelung des § 16 Abs. 3, die bei drohender Gefahr für die Sicherheit der Anstalt (also nicht für ein besonders bedeutsames Rechtsgut, wie vom BVerfG definiert) vorsieht, JVA-Besucher auf ihre Zuverlässigkeit zu überprüfen.
- Für einen Aufschrei bei Anstaltsärzten, Psychologen und Seelsorgern müsste die Offenbarungspflicht nach § 47 sorgen, die nunmehr auch auf die Religion, die Weltanschauung und ärztliche Untersuchungen ausgeweitet wurde.
Die wenigen Beispiele zeigen deutlich: Einmal mehr werden unter dem Deckmantel der Umsetzung von EU-Datenschutzrecht die Überwachungsbefugnisse für Polizei und Justiz ausgeweitet. Die Ausweitung staatlicher Überwachung durch nahezu unbegrenzte Erhebung und Nutzung selbst höchstsensibler Daten wird immer zuerst an Minderheiten erprobt. Die Gruppe der Gefangenen ist eine solche Gruppe, denen der Schutz der Grundrechte als erstes abgesprochen wird. Bei ihnen sind keine Verfassungsbeschwerden zu erwarten. Die Erodierung der Grundrechtestandards beginnt in solchen Bereichen und sie erreicht schnell die gesamte Gesellschaft.
Das gilt übrigens auch für die uneingeschränkte Übermittlung der Entlassungsadresse eines Gefangenen an alle Verfahrensbeteiligten – das ist nicht nur aus Gründen des Datenschutzes unmöglich, sondern gefährdet auch die erfolgreiche Resozialisierung.
Wir GRÜNEN werden daher mit unserem klaren Nein zu diesem Gesetz auch hier Verteidiger der Grundrechte auch der Minderheiten sein.
Lassen Sie mich zum Schluss noch ein Wort zu Regelung der Fixierungen im Strafvollzug verlieren. Diese war Schwerpunkt in der Anhörung. Die Sachverständigen haben auch hier auf deutliche Defizite bei der Umsetzung der Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts hingewiesen. Auch wenn Sie mit ihrem Änderungsantrag einige der Anregungen aufgenommen haben, so fehlt es mindestens noch an der Überwachung der Fixierung durch einen Arzt – auch das ist aus unserer Sicht nicht zustimmungsfähig.
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