Debatte zu Abschiebungen – Čagalj Sejdi: Familientrennungen und Abschiebungen zur Nachtzeit darf es nicht geben
Redebeitrag der Abgeordneten Petra Čagalj Sejdi (BÜNDNISGRÜNE) zur Zweiten Aktuellen Debatte auf Antrag der Fraktion DIE LINKE zum Thema: „Faisal Jahangir aus Meißen ist kein Einzelfall: Humanes Bleiberecht statt Nerven-Poker – Abschiebemoratorium jetzt“
26. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 25.03.2020, TOP 1
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete,
das Thema zur heutigen aktuellen Debatte „für eine humanere Asyl- und Bleiberechtspolitik“ macht deutlich, dass bei uns beim Thema Asyl und Bleiberecht noch einiges schief läuft. Das wissen wir und das haben wir zum Beispiel am Fall Faisal Jahangir durch den Aufschrei in der Öffentlichkeit vergangene Woche wieder deutlich mitbekommen.
Viele haben sich gefragt, warum jemand einfach abgeschoben werden kann, der schon seit über zehn Jahren in Deutschland lebt, der hier mit einer Deutschen verheiratet ist, der hier arbeitet und für seinen Lebensunterhalt aufkommt. Das ist kein Einzelfall, so etwas passiert in Deutschland leider viel zu oft.
Es sind die Einzelfälle, die die Gesellschaft hin und wieder wachrütteln, die hin und wieder auch denen, die der Meinung sind, in der Asylpolitik würde alles glatt laufen, zeigen, dass dem nicht so ist und dass es hier sehr viel Unmenschlichkeit und Ungerechtigkeit gibt.
Es ist gut, dass wir das heute hier thematisieren, Aber es ist nicht gut, dass wir dies wieder an einem Einzelfall aufzeigen und dass wir den Namen eines Mannes hier heute zur Schau stellen. Es geht nicht um den Einzelfall, es geht nicht darum, eine Person vorzuführen; es geht darum, erneut deutlich zu machen, dass für alle etwas schief läuft. Denn während Herr Jahangir nun vorerst nicht abgeschoben wurde, wurden 27 andere Menschen nach Pakistan abgeschoben – elf von ihnen aus Sachsen. Es ist gut möglich, dass darunter ebenfalls religiös verfolgte Menschen waren, dass bei den Betroffenen ebenfalls Familien getrennt wurden oder andere Ungerechtigkeiten geschahen. Ich kenne so viele solcher Geschichten und viele dieser Geschichten sind nicht gut ausgegangen. Wir schieben Menschen ab, die in ihrem Heimatland als Minderheiten, Andersgläubige, Anderslebende bedroht und verfolgt werden, wir trennen Familien und produzieren damit Traumata und schlimmeres.
Die Kolleginnen und Kollegen von der Linken wünschen sich mit dem Titel der Debatte als Lösung ein Abschiebemoratorium, hiermit werden wir das Grundproblem jedoch nicht lösen. Mal ganz abgesehen davon, dass auch ein solches Moratorium für alle Betroffenen rechtlich gar nicht möglich wäre, würde es das Grundproblem auch gar nicht lösen. Wir brauchen eine Debatte über die Mängel, die unser Aufenthaltsrecht hat. Nicht nur in Sachsen, sondern bundesweit. Und wir brauchen Änderungen, nicht nur in Sachsen, sondern bundesweit!
Wir brauchen keine vorübergehenden Lösungen. Wir brauchen eine Asyl- und Integrationspolitik, in der der einzelne Mensch zählt, und ein Einwanderungsgesetz, dass es Menschen wirklich und real möglich mach, nach Deutschland zu kommen und hier zu arbeiten.
Ja, das Aufenthaltsrecht ist Bundesrecht, aber innerhalb dieses Rahmens gibt es auch in Sachsen einiges besser zu machen – für menschlichere Lösungen. Doch nach über einem Jahr in der Koalition zeigt sich, dass die Zusammenarbeit und die Umsetzung der Beschlüsse aus unserem gemeinsamen Koalitionsvertrag oftmals sehr schleppend und gar nicht zufriedenstellend verlaufen: Zum Beispiel beim Thema Spurwechsel und Bleiberecht für Geflüchtete und Geduldete in Ausbildung und Arbeit. Was ist passiert?
2020 wurden zum Beispiel deutlich weniger Ausbildungsduldungen erteilt als 2019. Das sieht nicht nach einem Spurwechsel in die gewollte Richtung aus. Zwar gibt es mittlerweile einen Erlass an die Ausläderbehörden, der einiges regeln und erleichtern soll. Doch für den Bereich Beschäftigungsduldung fehlen uns die entsprechenden Regelungen immer noch.
Wir haben im Koalitionsvertrag auch vereinbart, dass die Ausländerbehörden besser mit den Betroffenen zusammenarbeiten und dabei ihren Hinweis-, Anstoß-und Dokumentationspflichten umfassend nachkommen und auch hierzu gibt es einen Erlass des Sächsischen Staatsministeriums des Innern. Wir brauchen aber mehr! Wir brauchen eine Willkommenskultur in den Ausländerbehörden, die ihren Namen verdient. Wir brauchen sachgerechte Lösungen für den Einzelfall und die Ausschöpfung von Ermessensspielräumen.
Es gibt aber auch Fälle für die das Aufenthaltsrecht tatsächlich keine Lösung anbietet. Fälle, bei denen man nur noch mit dem Kopf schütteln kann und sich fragt: „Wie kann das sein, dass dieser Mensch nicht hierbleiben darf, obwohl doch klar ist, wie unmöglich und gefährlich eine Abschiebung wäre?“ Für diese Fälle haben wir eine Härtefallkommission. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir den humanitären Charakter der Verordnung über die Sächsische Härtefallkommission überprüfen werden. Auch wenn der Ausländerbeauftragte und Vorsitzende der Härtefallkommission diese Notwendigkeit nicht sieht. Wir sehen sie! Und auch die öffentliche Meinung dazu ist eine andere, wie man besonders letzte Woche wahrnehmen konnte!
Auch die Umsetzung unseres Ziels einer humaneren Abschiebepraxis erfolgt nicht. Auch dafür ist der Fall der Familie Jahangir exemplarisch. Einmal mehr wurde versucht, bei einer bevorstehenden Abschiebung eine Familie auf unbestimmte Zeit zu trennen. Das war nicht das erste Mal, in 2020 ist es bei 40 Prozent der von Abschiebung betroffenen Familien so geschehen. Und das obwohl wir im Koalitionsvertrag festgehalten haben, dass „Familien möglichst nicht getrennt werden“. 40 Prozent sind nicht unsere BÜNDNISGRÜNE Vorstellung von „möglichst nicht“! Wir wollen endlich eine klare Regelung, die das umsetzt, was wir vereinbart haben!
Liebe Kolleginnen und Kollegen aus der Koalition, lasst uns endlich das umsetzen, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Lasst uns zeigen, dass wir in Sachsen an einer humaneren und gerechteren Asylpolitik wirklich interessiert sind und auch daran arbeiten.