Dr. Karl-Heinz Gerstenberg: Die Staatsregierung muss Hochschulen bei Herausforderungen endlich unter die Arme greifen
Redebeitrag des Abgeordneten Karl-Heinz Gerstenberg zur Großen Anfrage "Lehre und Studium an den sächsischen Hochschulen und der Berufsakademie Sachsen – Stand der Umsetzung des Bologna-Prozesses" (Drs. 5/9891), 86. Sitzung des Sächsischen Landtages, 27. November 2013, TOP 5
– Es gilt das gesprochene Wort –
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Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,
14 Jahre nachdem der sogenannte Bolognaprozess aus der Taufe gehoben wurde, beschäftigt diese grundlegende Umgestaltung des europäischen Hochschulsystems noch immer Parlamente, Wissenschaftsorganisationen und natürlich die Hochschulen selbst wie kaum ein zweites Thema. Der Grund liegt offensichtlich darin, dass der Bolognaprozess zwar auf europäischer Ebene beschlossen wurde, aber auf Bundes- und Landesebene umgesetzt werden muss. Folglich müssen wir in Sachsen uns fragen, ob wir unsere Hausaufgaben gemacht haben. Die Studierendenproteste im vergangenen Jahrzehnt und die Ergebnisse einer Großen Anfrage unserer Fraktion im Jahr 2007 ließen darauf schließen, dass dem wohl nicht so ist. Aber hat sich die Situation seitdem zum Besseren gewandelt? Die Große Anfrage der SPD hat hier, wenig überraschend, deutliche Antworten zutage gefördert. Auch heute könnte ich wie 2007 meine Rede mit der Zeitungsschlagzeile beginnen "Deutscher Bachelor ist kein Masterstück".
Es ist eine Tatsache, dass heute so viele Studierende im gestuften System studieren wie noch nie zuvor. Knapp die Hälfte der Studierenden sind bereits in einen Bachelorstudiengang immatrikuliert und mehr als die Hälfte der Studienanfänger gehen in dieses Studienmodell. Tatsache ist aber auch, dass nur die wenigsten von ihnen es bei einem Bachelorabschluss bleiben lassen wollen. Die übergroße Mehrheit will dem Bachelor einen Masterabschluss folgen lassen. Die Gründe dafür sind vielschichtig, ganz vorn stehen meist bessere Berufs- und Verdienstchancen. Es ist nicht zu leugnen, dass der Bachelorabschluss weit davon entfernt ist, sich als Regelabschluss mit ausgezeichneten Berufschancen zu etablieren. Von der Wirtschaft will ich hier gar nicht reden, da gilt der alte Ruf "Bachelor welcome" nur eingeschränkt. Aber wenn im Freistaat Sachsen im beamtenrechtlichen Sinn der Bachelor nicht als für den höheren Dienst qualifizierender Hochschulabschluss gilt, dann ist das nicht gerade ein Vertrauensbeweis. Und wenn das gerade reformierte Lehramt mit Bachelor und Master nach der Regierungsübernahme von Schwarz-Gelb wieder auf das Staatsexamen zurückgeschraubt wurde, trägt auch das nicht zu einer breiten Akzeptanz des Bachelors bei.
Angesichts dieser Ausgangslage kann man es keinem Studierenden verübeln, wenn der Master das angestrebte Ziel des Studiums ist. Aber auch die Präsidenten und Rektoren der Technischen Universitäten und Hochschulen fordern seit Jahren, den Master zum Regelabschluss in naturwissenschaftlichen und technischen Studiengängen zu machen. Diesem Ziel steht jedoch die chronische Unterfinanzierung der Hochschulen entgegen. Es ist traurige Realität, dass flächendeckend gerade einmal halb so viele Masterplätze wie Bachelorstudienplätze zur Verfügung stehen. Diese Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit können die Hochschulen unmöglich allein auflösen. Dafür brauchen sie eine höhere Grundfinanzierung und keinen weiteren Stellenabbau. Hier ist die Landespolitik zwingend gefragt.
Ein anderes großes Ziel der Bolognareform war es, die Qualität des Studiums zu verbessern. Mit Studienabbrüchen werden wir uns ja gleich im Anschluss noch genauer beschäftigen. Hier will ich nur feststellen, dass es einem erheblichen Teil der Studierenden eben nicht gelingt, ihr Studium erfolgreich zu Ende zu führen. Und angesichts der von der Koalition eingeführten Langzeitstudiengebühren lohnt natürlich auch ein Blick auf den Anteil der Absolventen, die es in der Regelstudienzeit schaffen. Da sieht es recht düster aus in Sachsen. Die Universität Leipzig steht mit knapp über 50 Prozent noch gut da, andere Hochschulen können zum Teil nur auf 12 Prozent verweisen.
Angesichts dieser Zahlen verbietet sich wohl von selbst die Behauptung, dass dies nur an den Studierenden und ihrer fehlenden Motivation läge. Ganz offenbar hatten und haben wir in Sachsen ein Qualitätsproblem in der Lehre. Da reicht die halbherzige Forderung des Hochschulgesetzes, dass die Hochschulen Qualitätssicherungssysteme einführen und Studierendenbefragungen durchführen mögen, nicht aus. Den Stand der Dinge kann man in der Antwort auf die Große Anfrage gut nachlesen – es gibt nach Jahren in keiner Hochschule ein fertig aufgebautes Qualitätssicherungssystem.
Ein anderes Ärgernis ist die Akkreditierung von Studiengängen. Nach den Beschlüssen der Kultusministerkonferenz müsste das eine Selbstverständlichkeit sein, um die Studierbarkeit sicherzustellen. In Sachsen, anders etwa als in Baden-Württemberg, legt allerdings das Hochschulgesetz keine Akkreditierungspflicht fest. In Folge sind vielerorts die Studiengänge eben nicht extern evaluiert worden. An der TU Chemnitz sind nur 7 von 73 Studiengängen akkreditiert, an der TU Dresden etwas mehr als die Hälfte. Wenn sowohl der Blick von außen als auch die interne Qualitätssicherung fehlen, dann ist es doch kein Wunder, wenn die Qualität der Lehre oft verbesserungsbedürftig ist.
Auch weitere Richtlinien der Kultusministerkonferenz werden schlicht ignoriert. Die vorgegebene Prüfungslast von in der Regel einer Prüfung pro Modul findet sich in der Realität der sächsischen Hochschulen nur selten, häufiger sind es zwei, drei oder noch mehr Prüfungsleistungen pro Modul. Viele Studiengänge, die das betrifft, sind in den Ingenieurwissenschaften angesiedelt – eben dort, wo wir hohe Studienabbruchquoten finden. Ebenso bemerkenswert ist, dass von den Universitäten ausgerechnet die Hochschule die wenigsten Fälle von überbordender Prüfungslast verzeichnet, die die höchste Akkreditierungsquote vorweisen kann – die Universität Leipzig.
Die Flexibilisierung des Studiums und der Arbeitsbelastung ist eines der weiteren Ziele von Bologna, das durch die Kultusministerkonferenz noch einmal bestärkt wurde. In Zeiten, in denen Studierendenbiografien so vielfältig geworden sind wie noch nie und nicht mehr nur junge Vollzeit-Präsenzstudierende ohne Kinder die Hochschulen prägen, ist es auch dringend notwendig, dieser Entwicklung mit innovativen Lehr- und Studierformen Rechnung zu tragen. Jedoch zeigt die Anfrage erneut, dass Teilzeitstudiengänge gerade einmal in homöopathischen Dosen vertreten sind und die maximal mögliche Arbeitsbelastung in Höhe von 30 Stunden pro ECTS-Punkt offenbar die Regel und nicht die Ausnahme bildet. Wer neben dem Studium allerdings noch arbeiten geht, Kinder versorgen muss, einen Angehörigen pflegt oder gar selbst an einer Beeinträchtigung leidet, stößt hier schnell an seine Grenzen und an die der Regelstudienzeit. Es ist unsere Aufgabe, hier gemeinsam mit den Hochschulen, zum Beispiel über die Zielvereinbarungen, nach Lösungen zu suchen. Klar ist aber auch, dass Qualitätssicherung und neue Studienformen nicht zum Nulltarif zu bekommen sind, erst recht nicht, wenn sie für immer mehr Studierende gemeistert werden sollen.
Die Folgen des beschriebenen Zustandes bringt uns zur sozialen Dimension, die mit der Umsetzung des Bolognaprozesses in Sachsen einhergeht. Nach der Inanspruchnahme psychosozialer Beratungsangebote gefragt, trifft das Wissenschaftsministerium folgende bemerkenswerte Aussage: "Aufgrund der Zunahme der Nachfrage von psychosozialen Beratungen seit der Studienreform und der aktuell hohen Studierendenzahlen ist zu erwarten, dass die Beratungsangebote auch in Zukunft eine wichtige Säule für die Betreuung der Studierenden bilden." Diese Ansicht teile ich voll und ganz, nur stellt sich dann natürlich die Frage, wieso diese wichtige Aufgabe der Studierendenwerke so wenig Unterstützung erfährt. Die psychosoziale Beratungsstelle des Studentenwerkes Dresden beispielsweise wird nur durch die Semesterbeiträge der Studierenden am Leben erhalten, Semesterbeiträge, die mittlerweile zum Teil 70 Euro pro Semester erreicht haben und damit zu den höchsten in Deutschland gehören. Eine Aufstockung der Zuschüsse für die Studierendenwerke ist auch angesichts dieses Zustandes überfällig.
Werte Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, Sie müssen endlich zur Kenntnis nehmen, dass die Studienreform Herausforderungen mit sich gebracht hat, die von den Hochschulen in einem akzeptablen Zeitfenster nicht allein gelöst werden können. 14 Jahre nach dem Startschuss von Bologna ist es höchste Zeit, sich der Entwicklung voll und ganz anzunehmen und dafür Sorge zu tragen, dass die in Sachsen nun auch schon seit über zehn Jahren laufende Reform zielstrebig zu einem erfolgreichen Ende gebracht wird. Dies verlangt auch von unserer Seite größere Anstrengungen, teils im gesetzgeberischen Handeln, aber auch bei den kommenden Haushaltsberatungen. Nur so können wir die mit Bologna verbundenen Hoffnungen eines europäischeren, flexibleren und qualitativ hochwertigeren Studiums realisieren.
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