Dr. Karl-Heinz Gerstenberg: Kultur ist mehr als Bestandspflege – Es fehlen klare kulturpolitische Ziele

Redebeitrag des Abgeordneten Dr. Karl-Heinz Gerstenberg zur Fachregierungserklärung der Staatsministerin Sabine v. Schorlemer
92. Sitzung des Sächsischen Landtages, 12. März 2014, TOP 3

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren,
Sachsens Reichtum begründet sich auf ein kulturelles Erbe, das im globalen Maßstab hervorsticht. Unser Kulturland beheimatet hochklassige künstlerische Leistungen. Diesen kulturellen Reichtum gilt es als öffentliches Gut zu erhalten. Manchen – und damit meine ich nicht nur den Finanzminister – erscheint Kultur vielleicht eher als Last denn als Schatz. Eine Last die angeblich nicht mehr länger auf diesem Niveau zu tragen ist. Aber diejenigen sollten daran denken, was Sachsen ohne seine Kultur wäre, und diese fängt bereits beim kleinen Stadtmuseum, bei Amateurtheatern oder Bandauftritten auf dem Lande an und reicht bis zu den Spitzenangeboten von Weltrang in den Großstädten.
Kultur ist jedoch mehr als Bestandspflege. Kultur muss sich durch die Aktivität der Menschen stetig weiterentwickeln, wenn sie trotz glanzvoller Verpackung keinen Staub ansetzen soll. Kulturelles Schaffen fördert Kreativität, Kommunikation, Toleranz und Identität. Kunst darf stören, irritieren, sie zeigt verschiedene Weltsichten auf. Kunst und Kultur sind eine Voraussetzung für eine offene und demokratische Gesellschaft. In Sachsen sollen daher alle Menschen ungeachtet ihrer sozialen Herkunft an Kultur teilhaben können.
Ein kulturpolitisches Grundprinzip ist die freie Entfaltung von Kunst und Kultur. Dazu gehört es, neue künstlerische Ausdrucksformen zu ermöglichen und junge und innovative Kulturschaffende zu unterstützen. Kulturelle Vielfalt und Teilhabe entstehen dadurch, dass wir in Sachsen ein günstiges Umfeld für eine freie Kulturszene, für Künstlerinnen und Künstler schaffen. Sie sollen sich produktiv und provozierend mit Gesellschaft, Menschen und Ideen auseinanderzusetzen, neue Produktions- und Nutzungsformen ausprobieren.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
wie ist vor diesem Hintergrund die Kulturpolitik der Staatsregierung einzuschätzen? Welche Ergebnisse haben Sie, Frau Staatsministerin von Schorlemer, vorgelegt? Und vor allem, wo wollen Sie hin? Ihre Erklärung gibt uns für die Zukunft wenig Antworten. Aber auch die Bewertung der bisherigen kulturpolitischen Leistungen fällt aus Sicht von uns GRÜNEN, und ich behaupte auch aus Sicht vieler Menschen im Freistaat, insbesondere den Kulturschaffenden vollkommen anders aus, als Sie es uns in Ihrer Erklärung des schönen Scheins vorgespiegelt haben.
Da wäre zum ersten der Stil, mit dem Sie Kulturpolitik betreiben. Sie verprellen die Kulturschaffenden und Engagierten in diesem Land regelmäßig und anhaltend. Den schwerwiegendsten Eingriff haben wir bei den Landesbühnen Sachsen erleben müssen. Als 3,2 Millionen Euro für die Landesbühnen zulasten aller Kulturräume von deren Zuschüssen abgezweigt wurden, ging eine Protestwelle durch das Land. Sie haben diese Einwände vollständig ignoriert, als wären die Warnungen vor Kulturabbau, vor einem Vertrauensverlust und fatalen Planungsunsicherheiten nur heiße Luft gewesen. Das war kein unbeholfener Faux-Pas, sondern ein eiskalter Bruch mit den Grundregeln des Kulturraumgesetzes. Wenn Sie heute sagen „Strukturen optimieren“, dann heißt das für viele Kulturschaffende im Land: Strukturen gefährden und zerstören!
Ganz allgemein vermissen wir einen konstruktiven Dialog. Sie reden zwar über unsere „schöne Kultur“, aber oftmals von oben herab. Zwar bitten sie Kulturvertreter und Verbände um Rat, aber was nützt es, wenn deren Empfehlungen dann in der Schublade verschwinden. Konstruktive Zusammenarbeit sieht anders aus!
Ihre kulturpolitischen Leitlinien haben Sie direkt zum Jahresbeginn angekündigt, ziemlich lautlos, ohne dass man sie lesen und diskutieren konnte. Sie haben offensichtlich Furcht vor einer öffentlichen Auseinandersetzung. Aber genau diese halten wir GRÜNE für notwendig. Dazu braucht es Vertrauen in die sich selbst regelnden Kräfte in der Kultur, eine breite Diskussion, mehr Offenheit und mehr Wagnisse. Sie, Frau Staatsministerin von Schorlemer, wollen die Zukunft unserer Kulturlandschaft dagegen in kleinen parteipolitischen Zirkeln aushandeln und das Ergebnis mit großer Geste präsentieren. Wir wollen jedoch mehr demokratische Kultur, gerade in der Kulturpolitik!
Zweitens vermissen wir klare kulturpolitische Ziele.
Mit ihrer Regierungserklärung wollen Sie den Eindruck vermitteln, alles sei in bester Ordnung und Sachsen müsse sich nur noch um einige kleine Baustellen kümmern. Sie sagen: Jetzt kommt die Kür, weil die Pflicht schon getan ist. Aber wir sehen es ganz klar: Den großen Herausforderungen stellen Sie sich nicht.
Die von Ihnen genannten Zukunftsfelder sind ja richtig, aber eine echte Strategie für das Kulturland Sachsen können wir nicht erkennen. Sie  zementieren ein strukturelles Problem der Kulturpolitik in Sachsen, weil Sie die Leitfunktion des Kunstministeriums nicht ausfüllen. Sie begnügen sich damit, das Bestehende zu loben und zu beschönigen,
Es gibt keine echten „Leitlinien“, keine Vision, keine Entwicklungsperspektive, sondern eine chronische konzeptionelle Armut – normalerweise heißt es: Nicht nur Reden sondern Handeln. Aber Ihnen und der Regierungskoalition fehlen schon die Ideen!
Am deutlichsten wird das beim Kulturraumgesetz. Mit der kommenden Evaluation steht ein historisches Zeitfenster offen. Wir GRÜNE begreifen das Gesetz als Instrument, um in Zeiten des demografischen Wandels vom Vogtland bis zur Lausitz – und eben nicht nur in Chemnitz, Leipzig und Dresden – ein Angebot an Theatern und Orchestern, Festivals und Museen, und damit eine lebendige Kulturgesellschaft auch außerhalb der Großstädte zu erhalten. In Sachsen regiert im Moment die Angst vor dem demografischen Wandel. Umso wichtiger ist es, mögliche kulturpolitische Strategien gegen den Bevölkerungsrückgang zu diskutieren. Sie, verehrte Frau Ministerin, erwähnen dazu einige Fragen, aber das Land erwartet Antworten von Ihnen!
Hier geht es um den Beitrag der Kultur zur Entwicklung des ländlichen Raumes, in dem die Mittelstädte eine zentrale Funktion einnehmen.
Für das Kulturraumgesetz heißt das, die Kostensteigerungen durch eine Steigerung des staatlichen Zuschusses zumindest anteilig auszugleichen weil sich das Gehaltsdumping über Haustarife in Theatern, Orchestern, Museen  nicht immer weiter treiben lässt. Die Attraktivität der ländlichen Räume bleibt nur mit einem hochwertigen und vielfältigen kulturellen Angebot erhalten. Frau Staatsministerin, ich freue mich ja, dass nun auch Sie eine Aufstockung der Finanzmittel für die Kulturräume unterstützen, nachdem diese alte Forderung unserer Fraktion durch die Regierungskoalition immer wieder abgelehnt wurde. Die Mittel des Freistaates sind seit 2005 eingefroren, was einer faktischen Kürzung gleichkommt. Das ist ein Zwang zur Aufstockung. Hinzu kommt das bereits erwähnte Landesbühnendesaster. Ich kann mich aber des Eindrucks nicht erwehren: Wenn Sie jetzt plötzlich für eine Aufstockung eintreten, dann erkenne ich dort ein Prinzip, das wir bereits bei den Musikschulen beobachten mussten: Erst werden wichtige Zuschüsse gekürzt, um sie dann im Wahljahr öffentlichkeitswirksam wieder zu erhöhen.
Mehr Geld ist notwendig, aber das ist nicht alles: Das Gesetz muss zukunftssicher weiterentwickelt werden. Wichtig ist dabei für uns die Förderung von Projekten und freien Initiativen vor Ort, um innovative und beteiligende Kulturangebote zu stärken. Wichtig ist auch die Änderung der aktuellen Kulturraumverordnung. Es mag ja juristisch zulässig sein, Investitionen in die Berechnungsgrundlage aufzunehmen – es ist kulturpolitisch unverantwortlich, wenn damit die Planungssicherheit für die Kulturräume verloeren geht und sie einem Auf und Ab ausgesetzt werden.
Wenn Ihre Idee der Kulturbusse hingegen die einzige bleibt, dann ist es das falsche Signal. Frau Staatsministerin, Sie wissen doch genau: Identität entsteht, wenn Menschen vor Ort Kunst und Kultur machen, aber nicht durch eine „Fremdbespielung“.
Selbstverständlich sind die Entscheidungen im Rahmen der Kulturpflege auch weiterhin in kommunaler Selbstverwaltung vor Ort zu treffen. Dennoch muss ein Kunstministerium im Prozess der Weiterentwicklung des Kulturraumgesetzes eine aktivere Rolle spielen, als gestaltende Kraft wirksam werden, Diskussionen anregen, eine eigene Position einbingen, ohne den Kommunen die  Ergebnisse vorzuschreiben. Beraten und moderieren, wie Sie es heute formulierten, ist viel zu wenig. Hier erfüllen Sie eine wichtige Aufgabe Ihres Ministeriums nicht, das ist heute noch einmal deutlich geworden.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen,
auch bei den staatlichen Kultureinrichtungen sind Qualität und Zugänglichkeit alles andere als abgesichert, obwohl diese im Vergleich zur Kultur in der Fläche weniger starken von Einschnitten betroffen waren. Heute hat die Ministerin zu Recht die Staatlichen Kunstsammlungen gelobt, aber die Frage nicht beantwortet, wie die gewünschten herausragenden Forschungsleistungen der SKD weiterhin gewährleistet werden sollen, wenn die Ausstattung mit wissenschaftlichem Personal in nahezu allen Sammlungen so kritisch [ist], dass Forschungsleistungen wie z. B. Publikationen überwiegend in der Freizeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erarbeitet werden.“ So steht es in der Stellungnahme des Wissenschaftsrates, mit der Sie kürzlich eben nicht nur Lob, sondern auch die Quittung für den desaströsen Personalabbau der vergangenen Jahre erhalten haben. Dass Sie das vollkommen ignorieren, Frau Staatsministerin, und nur von einer „außerordentlich positiven Evaluierung“ sprechen, das ist nicht aufrichtig.
Die sächsische Museumskonzeption ist zu einem verwaisten kulturpolitischen Instrument geworden. Dabei müssen dringend Antworten gefunden werden, wie mit knappen Ressourcen der Bestand qualitativ erhalten werden kann. Ohne eine leistungsfähigige Landesstelle für Museumswesen wird das nicht gehen. Und welche Perspektive hat denn das Japanische Palais, ein herausragender Ort der sächsischen Bau- und Museumsgeschichte? Ich bin Ihnen ja außerordentlich dankbar, Frau Ministerin, dass Sie die Wahlkampfblasen eines Porzellanschlossses oder gar eines sächsischen Nationalmuseums nicht weiter verfolgt haben. Aber die Ethnografischen Sammlungen und die Naturhistorischen Sammlungen müssen endlich ihre wertvollen Bestände von Weltgeltung aus den Depots holen und der Öffentlichkeit präsentieren können. Leerstehen und verfallen lassen – das ist keine Lösung für das Japanische Palais.
Um Staatsoper und Staatsschauspiel war es in den letzten Jahren ruhig, die Zusammenführung zu den Staatstheatern ist lautlos verlaufen. Umso unüberhörbarer war der Paukenschlag bei der Besetzung der Opernintendanz. Es war wahrscheinlich richtig, die Reißleine zu ziehen und ich weiß, dass viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Oper froh sind über diese Entscheidung.
Aber zumindest zwei für mich wichtige Fragen haben Sie heute unbeantwortet gelassen: Wenn eine Findungskommission Serge Dorny auswählt und er anschließend zum höchstbezahlten Intendanten eines deutschen Opernhauses gemacht wird – wieso erkundigt sich dann niemand an den bisherigen Wirkungsstätten? Den autokratischen Führungsstil von Herrn Dorny scheinen in Lyon ja die Spatzen von den Dächern zu pfeifen.
Und zweitens: Wenn Sie sich von diesem Intendanten trennen wollen und er selbst auf ultimative Weise mit Kündigung droht – warum haben Sie dann nicht die Größe und die Gelassenheit, diese Kündigung abzuwarten? Es ging Ihnen doch offensichtlich nur darum, symbolisch das Heft des Handelns in der Hand zu behalten, das Gesicht zu wahren. Aber diese politische Kosmetik ist mir mit einem Risiko von 1,5 Millionen Euro viel zu teuer erkauft!
Meine Damen und Herren,
unsere freie Kulturszene ist der gesellschaftliche Innovationsmotor schlechthin. Bei den Kulturverbänden liegen die Kompetenzen, die Szene zu unterstützen. Wenn das SWMK die Verbände als Partner verstehen würde, dann würde es sie nicht so unterschiedlich behandeln wie bisher. Womit begründen Sie das?
Die Häuser der freien Szene sind Plattformen für professionelle Künstlerinnen und Künstler und den Nachwuchs. Institutionell gefördert werden das LOFFT in Leipzig und das Projekttheater in Dresden, keine Haus aber in Chemnitz. Womit begründen sie das?
Bei der Förderung der einzelnen Sparten in ihren Besonderheiten ist Sachsen im Vergleich mit anderen Bundesländern weitgehend einfallslos. Das ist lähmend und wirkt vor allem auf die junge Generation geradezu abschreckend. Um neue kulturelle Entwicklungen zu unterstützen, sind passende Werkzeuge notwendig, beispielsweise eine gezielte Spielstättenförderung, mit der junge Bands und Solomusikerinnen und -musiker eine Chance erhalten. Die Konzeptförderung der Kulturstiftung ist ein gutes, nachhaltiges Instrument. Sie wird aber nur mit angezogener Handbremse gefahren und ist derzeit für kleinere Projekte, etwa im Literaturbereich, schlicht außer Reichweite.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Wir müssen in mehrfacher Hinsicht feststellen: Die Kunstministerin hat es offensichtlich nicht geschafft, das Kabinett von der Notwendigkeit der Kulturentwicklung zu überzeugen. Bezeichnenderweise hakt es bei ressortübergreifenden Themen ganz gewaltig. Das liegt natürlich nicht nur in Ihrer Verantwortung, aber auch.
Die interministerielle Abstimmung bei der kulturellen Bildung war bisher höchst bescheiden. Bei der Kultur- und Kreativwirtschaft hat das Wirtschaftsressort offenbar nie verstanden, inwiefern sich Kultur und Wirtschaft überlagern. Nämlich vor allem bei der kleinteiligen Kulturproduktion, den selbstständigen Künstlern und Kreativen. Wir brauchen endlich eine Unterstützung der Kultur- und Kreativwirtschaft, wie sie anderen Branchen auch zuteil wird. Hier bleibt die Staatsregierung in wesentlichen kulturpolitischen Belangen untätig.
Und natürlich spreche ich auch noch zu Bibliotheken. Bei den Bibliotheken nehmen Sie, Frau Staatsministerin, Hand in Hand mit der Koalition den Bildungsbereich geradezu aus der Schusslinie, indem Sie die Bildungsaufgabe der Bibliotheken vom Tisch wischen und schlicht auf deren Finanzierung durch das Kulturraumgesetz vertrauen. Das zeugt von einem rückständigen Bibliotheksbegriff. Ihre Reden zur Zukunft der Bibliotheken klingen zwar anders, aber faktisch scheint die Vermittlung von Lese-, Medien- und Informationskompetenz für die derzeitige Koalition keinen besonderen Stellenwert zu haben. Nur so ist erklärbar, dass Sie eine Verantwortung des Freistaates, die Etablierung von Mindeststandards bei Qualifikation und Medienausstattung und eine gezielte zusätzliche Unterstützung der öffentlichen Bibliotheken durch den Freistaat ausschlagen.
Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition! Frau Staatsministerin!
Ein schöner Schein, gepaart mit unsystematischen und teilweise unklugen Eingriffen, viel Selbstzufriedenheit, Kritikunfähigkeit und lähmende Passivität – mit dieser Taktik werden Sie dem kulturellen Erbe Sachsens nicht gerecht! Unser Land hat eine großartige kulturelle Vergangenheit. Es braucht eine kulturpolitische Strategie, vorausschauende Verantwortungsübernahme und die Suche nach kreativen Wegen gemeinsam mit den Kulturschaffenden, um darauf die Zukunft aufzubauen!

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