Dunkelfeldstudie Kriminalität: Dieser Antrag ist aus unserer Sicht nicht sonderlich zielführend

Redebeitrag des Abgeordneten Valentin Lippman (GRÜNE) zum Antrag der Fraktion AfD "Erstellung einer Dunkelfeldstudie zur Kriminalitätsbelastung im Freistaat Sachsen" (Drs 6/8129)
63. Sitzung des Sächsischen Landtags, 16. November, TOP 9
– Es gilt das gesprochene Wort –

Werte Frau Präsidentin!
Werte Kolleginnen und Kollegen!
Es ist schon viel Richtiges gesagt worden. Klar ist, Kriminalität findet im Verborgenen statt und wir wissen anhand der offiziellen Zahlen in seltenen Fällen, wie die Kriminalität sich wirklich darstellt in unserem Land. Dunkelfeldstudien sind ein wichtiges und bewährtes Mittel, um Licht ins Dunkel zu bringen. Auch unsere Fraktion unterstützt regelmäßig Dunkelfeldstudien dort, wo sie sinnvoll und vor allem spezifisch sind. Beispielsweise gibt es zusammen mit der CDU und der SPD im Koalitionsvertrag in Sachsen-Anhalt eine explizite Dunkelfeldstudie zu dem hochproblematischen Feld sexualisierte Gewalt, insbesondere im häuslichen Umfeld.
Der vorliegende Antrag ist, obwohl wir als GRÜNE Dunkelfeldstudien generell befürworten, aus unserer Sicht so weder sinnvoll noch geboten, denn Sie haben es selbst angesprochen, Herr Wippel – wir haben das Problem, dass das Dunkelfeld sich bei verschiedenen Straftaten vollkommen anders darstellt. Ich kann da weitgehend auf die Äußerungen des Kollegen Pallas verweisen, möchte aber noch einmal deutlich machen, das Dunkelfeld bei häuslicher Gewalt oder sexualisierter Gewalt ist ein vollkommen anderes als beim Diebstahl eines Fahrrades und ist ein vollkommen anderes, als im Bereich der politisch motivierten Kriminalität. Das heißt, wenn wir es erforschen wollen, gibt es vollkommen unterschiedliche Gründe für dieses Dunkelfeld beim Anzeigeverhalten, weil möglicherweise das Fahrrad nicht wertvoll war bis hin zu der schon mehrfach angesprochenen Angst vor den Folgen, wenn man sich offenbart.
Das heißt, Sie müssen methodisch vollkommen anders an die verschiedenen Deliktbereiche herangehen und Ihnen nützt das Scheren über einen Kamm überhaupt nichts. Wenn Sie versuchen, das hochsensible Thema sexualisierte Gewalt mit einem Fragebogen zu lösen, werden Sie kaum Antworten bekommen, weil nicht davon auszugehen ist, dass die Opfer Ihnen dort groß antworten werden. Da müssen Sie mit anderen Methoden herangehen. Was Sie jetzt machen wollen, ist quasi einmal mit dem Saugrüssel durch die polizeiliche Kriminalstatistik gehen, und dann das Ganze irgendwie verwerten und erzählen, dass wir daraus bessere Schlussfolgerungen ziehen können. Das sieht meine Fraktion nicht so. Da gibt es bessere und wissenschaftlich probatere Methoden. Sie scheinen das selber verstanden zu haben; denn Ihren Antragspunkt zwei, der ein spezifisches Deliktfeld herausstellt, bräuchte man nicht, wenn man das schon vorher mit der Dunkelfeldstudie erläutert hat.
Herr Wippel, Sie erzählen gern von Ihren Erfahrungen als Polizist. Jetzt erzähle ich Ihnen etwas aus meiner Profession, der empirischen Sozialforschung. Befragungen, die Sie machen wollen, haben ein riesengroßes Problem. Wenn die Menschen vorher wissen, dass, wenn sie im Fragebogen nur angeben, dass sie von Kriminalität häufig betroffen sind, sich möglicherweise etwas an der Polizeidichte ändert, dann implizieren Sie das, was man sozial erwünschtes Verhalten in einem Fragebogen nennt. Die Leute kreuzen Ihnen das gegebenenfalls sogar an, ohne betroffen gewesen zu sein. Die Folge ist, dass Sie Daten haben, mit denen Sie faktisch nichts anfangen können.
Oder Sie haben es mit Straftaten zu tun, wo man aus guten Gründen nicht antworten will. Da nützt Ihnen auch der beste Fragebogen nichts. Der wird in den Mülleimer geworfen oder was auch immer. Deswegen kommen Sie nur weiter, wenn Sie sich qualitativen Elementen der empirischen Sozialforschung widmen und über die rein quantitativen hinausgehen. Das habe ich aber bei Ihnen bisher nicht gehört. Die Hochschule der Polizei ist ein kompetenter Ansprechpartner und hat das in der Vergangenheit auch gemacht.
Wir werden den Antrag nicht nur deswegen ablehnen, weil er uns zu unspezifisch ist, sondern weil wir als GRÜNE, obwohl die FH keine Wissenschaftsfreiheit hat und eher eine nachgelagerte Behörde des Innenministers ist, immer seht vorsichtig sind, der FH vorschreiben zu wollen, was sie forschungstechnisch tun soll. Ich glaube, wir haben es dort mit gebündeltem kompetenten Sachverstand zu tun und man kann es diesen Leuten selbst überlassen, dass sie das, wenn sie es für nötig halten, auch umsetzen.
Kurzum: Der Antrag ist aus unserer Sicht, obwohl wir Dunketfeldstudien generell, wenn sie deliktspezifisch sind, unterstützen, nicht sonderlich zielführend, und deswegen werden wir ihn ablehnen.
Vielen Dank.

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