Elke Herrmann: Crystalkonsum in Sachsen: Alleinige Konzentration der Koalition auf Kriminalität ist entscheidende Lücke
Redebeitrag der Abgeordneten Elke Herrmann zur Aktuellen Debatte "Gefahren durch Crystal: Bevölkerung umfassend aufklären – Kriminalität entschlossen bekämpfen", 71. Sitzung des Sächsischen Landtages, 13. März 2013, TOP 1
– Es gilt das gesprochene Wort –
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Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
"Gefahren durch Crystal: Bevölkerung umfassend aufklären – Kriminalität entschlossen bekämpfen" so lautet der Titel unserer Debatte. Es ist der Versuch von CDU/FDP-Fraktion auf einen fahrenden Zug aufzuspringen und ein Thema zu besetzen, das tatsächlich von hoher Aktualität ist.
Wir haben diese Forderung bereits in den Haushaltsberatungen eingebracht und vor einigen Wochen mit einem Antrag untersetzt, den wir gemeinsam mit PraktikterInnen aus der Suchtberatung erarbeitet haben.
Die ambulante Suchtberatung braucht ein Sofortprogramm, um den Arbeitsaufwuchs der sich aus dem gestiegenen Konsum der Droge Crystal ergibt, aufzufangen.
Seit 2009 steigt die Zahl Klientinnen und Klienten in den Suchtberatungsstellen in Sachsen, die Crystal konsumieren drastisch an. 2002 waren es 869 Personen. 2011 sind es bereits 2389 Personen. Dabei verläuft der Anstieg drastisch, 2009 zu 20010 betrug der Anstieg 24 Prozent und 2010 zu 2011 29 Prozent.
Das Problem lässt sich regional kaum eingrenzen:
Betroffen sind über die Hälfte aller Suchtberatungsstellen in Sachsen. Besonders konzentrieren sich die Fälle in den Städten Dresden, Chemnitz und Leipzig, sowie in den Landkreisen Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, Erzgebirgskreis, Landkreis Zwickau und dem Vogtlandkreis. Insgesamt haben die Probleme, die im Zusammenhang mit Crystal auftreten in Sachsen ein Ausmaß angenommen, das die Hilfesysteme überlastet.
Was brauchen wir jetzt?
Wir brauchen Taten, bzw. vielmehr die Menschen, die etwas tun können. Alle weiteren Maßnahmen, dürfen nicht nur punktuell angelegt sein. Das weitere Vorgehen, muss in Absprache mit und für die Suchtkrankenhilfe greifen und auch die angrenzenden Hilfesysteme einbeziehen.
Ein Sofortprogramm ist unerlässlich, denn die Beratungsstellen brauchen sofort Entlastung und zusätzliche Kapazitäten. Sachsenweit müssen zehn zusätzliche Beraterinnen und Berater eingestellt werden. Wir hatten diese Forderung schon in den Haushaltsberatungen aufgemacht.
Warum brauchen Crystal-Klientinnen eine besondere Herangehensweise?
Crystal ist als unscheinbares weißes Pulver oder in kristalliner Form auf dem Markt. Es ist weltweit auf dem Vormarsch und gelangt nach Deutschland bzw. Sachsen v.a. über Tschechien. Wir alle haben in den letzten Wochen laufend Berichte darüber gelesen.
Crystal ist derzeit billig zu haben und leichter verfügbar als jede andere Droge. Es macht wach, euphorisch, leistungsfähig. Es ist eine Droge, die perfekt zu unserer heutigen Zeit passt.
(vgl. Crystal-Meth Broschüre aus Chemnitz S.31): "Die Anwendung psychoaktiver Substanzen in unserer Zeit kann als eine Form der Auseinandersetzung mit den Bedingungen und Gegebenheiten der modernen Wirklichkeit verstanden werden. Insofern passt C mit seinem Wirkspektrum hervorragend: mit C kann man noch, wenn andere schon völlig erschöpft sind, C kann man sich leisten, mit C bleibt man schlank, mit C hat man den Durchblick, mit C merkt man nicht, wie "scheiße" der Alltag manchmal ist, mit C nerven die Eltern nicht, mit C kann man lange am PC konzentriert sein."
Die Effekte sind massiv und Konsumierende oft schon nach dem zweiten oder dritten Rausch süchtig. Die Rückfallquote ist hoch. Das Einstiegsalter liegt bei 14-18 Jahren. Konsumierende kommen aus allen Schichten.
Problematisch ist, dass regelmäßiger Crystal-Konsum die Nervenzellen nachhaltig schädigt. Gedächtnisstörungen, Aufmerksamkeitsstörungen, Konzentrationsstörungen oder psychotische Störungen sind die Folge, die sich u.U. auch bei Abstinenz fortbestehen. Eine Erholung dauert von Monaten bis zu zwei Jahren (vgl. Crystal-Meth Broschüre S.30). Das macht die Betreuung von Crystal-Klienten aufwändiger, als die von anderen Suchtkranken.
Einen weiteren Aspekt möchte ich erwähnen. Im Zusammenhang mit Crystal-Konsum sind immer häufiger Familien und Kinder betroffen.
Crystal wirkt sexuell stimulierend, das Lustempfinden ist gesteigert und kann oft über Stunden anhalten, C kann den Zyklus der Frau stören, aber eine Schwangerschaft kann entstehen. Dabei ist C grundsätzlich toxisch für das Ungeborene. Wenn es zu keiner Fehlgeburt kommt, sind Folgeschäden für das Kind zu erwarten. Dabei wird der C-Gebrauch während der Schwangerschaft eher selten festgestellt.
Ein großer Teil (vgl. Crystal-Meth Broschüre S. 42 und 43) der C-Anwender sind Eltern. Für drogengebrauchende Eltern ist es schwierig, sich mit den Konsequenzen ihrer Abhängigkeit für ihre Kinder auseinander zu setzen. C-Konsum fällt aufgrund seiner langen Wirkweise stets in die Zeitfenster, in denen Eltern sich um die Kinder kümmern (Frühstück, Weg zur Kita etc.), d.h. Kinder erleben die veränderten Reaktions- und Verhaltensweisen ihrer Eltern mit.
Die Suchtberatungsstellen brauchen eine adäquate Grundausstattung, die haben sie mit dem Haushalts-Topf ermöglicht, aber für die Arbeit mit den Crystal-Klienten und für die Prävention im Zusammenhang mit Crystal und auch für die Weiterbildung brauchen sie zusätzliche Mittel.
Die Suchtberatung braucht ausreichend Ressourcen, für ziel- und fachgruppenspezifische Weiterbildungsangebote.
Die Suchtberatung muss sich mit den Fachmenschen in den benachbarten Hilfe- bzw. Betreuungssystemen für Jugendliche und junge Erwachsene mit Crystal-Konsum vernetzen können.
Darüber hinaus ist eine breit angelegte Kampagne erforderlich, die Nutzerinnen und Nutzer und die Öffentlichkeit informiert.
Was fehlt noch: Die Suchtberatungsstellen berichten, dass auch Veränderungen in den Angeboten erforderlich sind, um Crystal-Klientinnen und -Klienten adäquat durch Reha-Träger versorgen zu können. Da geht es z.B darum, dass ein längerer Nachsorgezeitraum erforderlich ist, es können aber auch noch weitere Punkte auftauchen.
Dass sie im Titel ihrer Aktuellen Debatte die erforderliche Prävention und Suchtberatung an sich aussparen, ist eine entscheidende Lücke.
Wer ist denn fachkompetent, um die Bevölkerung umfassend aufzuklären?
Von wem stammt den die Fachbroschüre zu Crystal Meth, die sich seit kurzem auf der Homepage des Sozialministeriums findet? Von den PraktikerInnen der Suchtberatung in Sachsen.
Wer ist für die Prävention in Bezug auf den Konsum von Suchtmitteln zuständig? Auch das sind auch die Suchtberatungsstellen.
Oder meinen Sie tatsächlich, wenn die Bevölkerung ausreichend aufgeklärt ist oder wird und die Kriminalität entschlossen bekämpft wird, werden wir in Sachsen kein Problem mehr mit Crystal haben? Das wäre sehr naiv.
Zum Thema Kriminalitätsbekämpfung will ich nur zwei Punkte äußern:
Die Polizei ist aktiv im Bereich Drogenkriminalität, aber sie hat Kapazitätsprobleme und wünscht sich mehr Mittel für die Prävention. Wir GRÜNE treten vehement gegen den Stellenabbau bei der Polizei ein. Damit will ich es belassen. Denn wenn man den Zeitungsmeldungen der letzten Wochen glauben darf, gab und gibt es ja Fahndungserfolge im Zusammenhang mit Crystal.
Danke
Hintergrund zur Finanzierung in der ambulanten Suchtkrankenhilfe:
- Die Landesförderung ist in einem Topf – Volumen 4,1 Mio Euro p.a. (Doppel-HH 2013/14)
- Die Verteilung der Mittel erfolgt über ein Punktesystem. Wie viel ein Punkt konkret in Euro wert ist, hängt davon ab, wie viel aus dem Topf beantragt worden ist.
- Das heißt: wenn alle Anträge eingegangen sind, kann ermittelt werden, wie viel ein einzelner Punkt wert ist. Dabei ist klar, dass das Land nie mehr Geld ausreichen wird, als im Topf vorhanden ist. Das ist zwar ärgerlich, aber es ist ein fachlich fundiertes System, um einen Festbetrag zu verteilen, der für eine Aufgabe zur Verfügung steht.
- Aber, einen Haken hat die Sache, wenn man unter dem Blickwinkel der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse guckt. Warum?
- Die Landesförderung ist an eine kommunale Kofinanzierung gebunden, d.h. wenn ein Landkreis für die ambulante Suchtkrankenhilfe weniger Geld einsetzt, dann fließen in diesen Landkreis auch weniger Landesmittel und entsprechend mehr Landesmittel bleiben für Menschen in anderen Landkreisen. Oder anders ausgedrückt, der Einwohner-Fachkraftschlüssel ist in den Landkreisen mit geringerer Ko-Finanzierung eben viel schlechter als z.B. in den großen Städten.
» Der Antrag im Wortlaut (Drs. 5/10944)
» Alle GRÜNEN Reden finden Sie hier …