Elke Herrmann: Das Vermeiden finanzieller Schulden darf nicht zu sozialer Verschuldung führen
Das Vermeiden finanzieller Schulden darf nicht zu sozialer Verschuldung führen
Redebeitrag der Abgeordneten Elke Herrmann zum „Haushaltsplan 2011/12, EP 8: Soziales und Verbraucherschutz“ in der 26. Sitzung des Sächsischen Landtages, 16.12., TOP 1.9.
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!
Das Sozialministerium ist ein Ressort, das überproportional von den Kürzungen betroffen ist und das bei einer extrem hohen Zweckbindung der in diesem Haus veranschlagten Mittel. Die Kürzungen betreffen besonders den konsumtiven Bereich. Das heißt auch, dass sich die Kürzungen unmittelbar bemerkbar machen. Das haben wir in diesem Jahr schon erlebt und der Haushaltsentwurf, der uns heute vorliegt, wird die Situation weiter verschlechtern.
Und da wundern sie sich, dass Sozialpädagogen, Erzieherinnen und Erzieher, Menschen, die in Beratungsstellen arbeiten, sich nicht nur entsetzen, sondern sich auch öffentlich artikulieren? Aber sie wundern sich nicht nur, sie werfen engagierten Menschen, die zum Teil seit Jahren schlecht bezahlt werden, mehr Stunden arbeiten, als sie bezahlt bekommen, Besitzstandswahrung vor!
Eine Folge ihrer Politik zeichnet sich schon heute ab: Gut ausgebildete Fachkräfte aus den Bereichen Jugendhilfe, soziale Arbeit, Kultur, Bildung und Pflege verlassen Sachsen.
Ich habe gestern den Rednern aus Regierung und Opposition gut zugehört, in der Hoffnung, doch noch einen Plan in ihren Kürzungen zu erkennen.
Der Ministerpräsident erklärte: «Wir wollen Strukturen schaffen.»
Nun im Sozialbereich sind sie gerade dabei, Strukturen zu zerschlagen. Und Vereine und Träger, die bereit sind, einen Strukturwandel mitzugestalten, der aufgrund sinkender Einnahmen und demografischer Veränderungen erforderlich ist, stoßen sie vor den Kopf!
Sie gefährden ohne Not verlässliche Arbeitszusammenhänge und Strukturen. Im Bereich der Jugendhilfe hatten wir eine vom Landesjugendhilfeausschuss beschlossene Planung für die überörtliche Jugendhilfe für die Jahre 2010-2014. Die war schon mit den Kürzungen im laufenden Haushalt Makulatur.
Damit nehmen sie nicht nur die Arbeit eines gesetzlichen Gremiums nicht ernst, sie handeln ohne Plan mit dem einzigen Ziel Geld zu sparen. Das kommt davon, wenn in einem Ministerium nicht die Fachressorts in Überlegungen einbezogen werden, sondern ein allein fiskalisches Denken verpflichteter Staatssekretärin das Zepter in der Hand hat.
Wir sagen: Das Vermeiden finanzieller Schulden darf nicht zu sozialer Verschuldung führen.
Sie halten entgegen ihrer Worte Strukturen für verzichtbar.
Das zeigt sich nicht nur bei der überörtlichen Jugendhilfe, sondern auch bei den Spitzenverbänden der freien Wohlfahrtspflege. Wir werden das erste Bundesland sein, das Wohlfahrtsverbände auf der Landesebene ab 2019 nicht mehr fördert. Fachkompetenz und vor allem konstruktive Kritik ist nicht gewollt, wird ausgehungert, bis sie verstummt.
Das zeigen sie auch im Umgang mit dem Landesfrauenrat. Da passt wohl das Wort aus der Rede von Herrn Flath gestern: Hier setzen wir mal aus.
Frauen und nicht nur Frauen wie sie sehen können, werden das nicht hinnehmen. Wir sagen: Hier setzen wir mal ein, setzen wir uns ein – für Gleichstellungspolitik. Die können sie nicht nach Gusto an oder abschalten!
Zitat Lars Rower: «Die Opposition will Dinge, die nicht überlebensfähig sind abschaffen.» Was meinen sie damit? Die Suchberatung, die Insolvenzberatung, Familienberatung, die Familienerholung, die Aids-Beratung? Sagen sie es uns, sagen sie es öffentlich. Was brauchen wir nicht mehr?
Ach ja, ihr Kollege Spahn aus dem Bundestag will ja die Eltern an den Kosten beteiligen, wenn junge Leute sich ins Koma saufen. Schon mal über Ursachen oder über Möglichkeiten der Prävention nachgedacht?
Sie wollen denen, die auf gesellschaftliche Ursachen oder Schieflagen aufmerksam machen, die Rote Karte zeigen, haben sie gestern gesagt. Rote Karte für Nörgler und Schwätzer. Damit meinen sie ja ohne Zweifel die Demonstranten, die sich seit Anfang des Jahres gegen ihren Kahlschlag im Sozialbereich gewehrt haben. Klar, dass Ihnen das nicht gefällt, wo doch der Ministerpräsident gerade öffentlich gesagt hat, mit den Sachsen kann man alles machen!
Wenn der Sozialhaushalt ein Ziel hat: Es ist gefährlich in Sachsen Kritik zu üben und das auch noch öffentlich. Also: Nörgler und Schwätzer, Sozialpädagogen, ihr Menschen in den Beratungsstellen und ihr Ehrenamtlichen nehmt euch in Acht: Wer diesmal noch davongekommen ist, wird durch immer neue Aufgaben erst mürbe gemacht und dann ganz gestrichen.
Unbeantwortet bleiben bei solchem Vorgehen allerdings die wirklich wichtigen Fragen:
- Wie soll denn das Sachsen aussehen, in dem wir in Zukunft leben wollen?
- Was ist das für ein Land?
- Für wen lässt es sich da gut leben?
- Für Kinder?
- Für Jugendliche?
- Für Familien?
- Für alten Menschen?
- Was aber ist, wenn Menschen Probleme haben?
- Was ist, wenn Menschen Behinderungen haben?
- Wenn sie ohne Schulabschluss oder ohne Berufsausbildung dastehen?
Das Vermeiden finanzieller Schulden darf nicht zu sozialer Verschuldung führen.