Elke Herrmann: Perspektiven für Flüchtlinge – Neuansiedlungsprogramm einrichten
Flüchtlinge aus Krisengebieten brauchen Perspektiven – Sachsen muss sich im Bund für Neuansiedlungsprogramm einsetzen, das in anderen Ländern bereits erfolgreich ist
Redebeitrag der Abgeordneten Elke Herrmann zum Antrag der GRÜNEN-Fraktion "Flüchtlinge aufnehmen – Rahmenbedingungen für dauerhafte Neuansiedlung Schutzbedürftiger aus Drittstaaten schaffen" (Drs. 5/5921) in der 40. Sitzung des Sächsischen Landtages, 14.09., TOP 11
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren,
politische Krisen, Kriege oder andere existenzielle Nöte zwingen jedes Jahr viele tausend Menschen zur Flucht. Ohne eine Perspektive auf ein menschenwürdiges Leben sitzen sie in provisorischen Lagern unter katastrophalen Bedingungen fest.
Die GRÜNE-Fraktion setzt sich dafür ein, dass in Deutschland im Rahmen eines Neuansiedlungsprogramms (Resettlement-Programm) kontinuierlich Flüchtlinge aus den Krisengebieten der Welt aufgenommen werden. Die GRÜNE-Fraktion fordert deshalb, dass sich Sachsen gegenüber dem Bund zu seiner humanitären Verpflichtung bekennen, seine Aufnahmebereitschaft bekunden und dabei die Kommunen mit ins Boot holen soll, um eine gelingende Integration vor Ort sicher zu stellen.
Wir fordern mit unserem Antrag nichts Übermenschliches, nichts, was uns über Gebühr belasten würde, nichts, was uns nicht zumutbar wäre. Wir, die wir weder Hunger leiden, nicht von verheerenden Naturkatastrophen betroffen sind, wir, die in einem demokratischen Rechtsstaat leben, wir sind aus humanitären Gründen verpflichtet, schutzbedürftigen Flüchtlingen eine Lebensperspektive in unserem Land zu bieten. Sind wir doch einmal ehrlich: viele Dinge, die uns beschäftigen, über die wir uns aufregen sind im Gegensatz zur Lebensrealität der meisten Flüchtlinge reine Luxusprobleme. Unsere Beschwerden erscheinen in diesem Zusammenhang wie Jammern auf hohem Niveau.
Diejenigen, die nun fürchten, dass mit Aufnahme von Flüchtlingen im Rahmen eines Resettlementprogramms gemeint sei, wir öffneten damit unsere Türen für eine unüberschaubare Masse an Menschen, diejenigen, die nun zigtausende Flüchtlinge bei uns ankommen sehen, kann ich beruhigen. Resettlementprogramm heißt gerade, dass wir nicht ad hoc, sondern planmäßig jedes Jahr ein bestimmtes Kontingent an schutzbedürftigen Flüchtlingen in unserem Land aufnehmen und diesen Menschen ein zu Hause, eine menschenwürdiges Leben bieten. Meine Damen und Herren, auch das gehört zu einer verantwortungsvollen Zuwanderungspolitik.
Seit vielen Jahren stellen Staaten Aufnahmeprogramme für Flüchtlinge ("Resettlement"- oder "Neuansiedlungsprogramme") bereit. Die traditionellen Resettlement-Staaten sind die USA, Kanada, Australien und Neuseeland.
Aber auch zehn EU-Mitgliedstaaten, namentlich Dänemark, Finnland, die Niederlande, Norwegen, Schweden, Irland, Island, Portugal, Frankreich, Rumänien, das Vereinigte Königreich und die Tschechische Republik nehmen jährlich spezifische Kontingente schutzbedürftiger Flüchtlinge auf und integrieren diese in ihre Gesellschaft und machen sehr gute Erfahrungen damit. Die Zahl der Personen, die pro Jahr neu angesiedelt werden sollen, beträgt z.B. für Portugal 30 Flüchtlinge, für Frankreich ca. 350 bis 450, für Rumänien 40 und für die Tschechische Republik 30. An dieser Stelle wird deutlich, dass ein planvolles, abgestimmtes Handeln vielen Menschen auf der Welt eine Lebensperspektive bieten kann.
Bedingung für die Aufnahme ist grundsätzlich, dass das UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) vor Ort eine Person als Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention anerkennt. Darüber hinaus vermittelt UNHCR nur solche Flüchtlinge an Resettlementstaaten, bei denen eine besondere Schutzbedürftigkeit festgestellt wurde. Dazu zählen vor allem Folteropfer und traumatisierte Flüchtlinge sowie kranke Personen, die im Erstzufluchtsstaat nicht adäquat behandelt werden. Zu besonders Schutzbedürftigen gehören auch Frauen, die in den Erstzufluchtsstaaten häufig besonderen Risiken ausgesetzt sind, insbesondere wenn sie in einem Lager leben, allein stehend oder allein erziehend sind. Personen, die ebenfalls bevorzugt für eine Neuansiedlung in Frage kommen, sind Minderjährige oder ältere Flüchtlinge sowie Personen, die bereits Familienangehörige in den Resettlement-Staaten haben.
Flüchtlinge, die eigenständig den Weg zum Beispiel in ein europäisches Land geschafft haben, werden in der Regel von einem Neuansiedlungsprogramm nicht erfasst, sondern müssen, um Schutz zu finden, ein Asylverfahren in Europa erfolgreich durchlaufen.
Wie läuft die Aufnahme praktisch ab?
Die Staaten, die sich mit Resettlement-Programmen am internationalen Flüchtlingsschutz beteiligen, legen auf freiwilliger Basis jährlich die Aufnahmequoten sowie die dabei zu begünstigenden Personengruppen fest.
UNHCR-Vertreter schlagen den Staaten dann in der Regel individuell die Flüchtlinge vor, die sie für eine Aufnahme empfehlen. Letztendlich können die Aufnahmestaaten selbst entscheiden, ob eine vom UNHCR vorgeschlagene Person Aufnahme findet oder nicht.
Wenn ein Staat der Neuansiedlung einer bestimmten Person zustimmt, wird – meist mit Hilfe des UNHCR – die Ausreise aus dem Erstzufluchtsland in den Aufnahmestaat organisiert. Manche Staaten organisieren schon vor der Ausreise erste Orientierungshilfen oder Sprachkurse für die Betroffenen. In den meisten Resettlementstaaten erhalten die aufgenommen Flüchtlinge umgehend einen Flüchtlingsstatus, Integrationshilfen und weitgehende soziale Rechte.
Die Europäische Kommission (Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat zur Einrichtung eines gemeinsamen Neuansiedlungs-programms) sieht in der Neuansiedlung in einem Drittland eine der drei so genannten "dauerhaften Lösungen" für Flüchtlinge. Der Vorteil für das Aufnahmeland besteht darin, dass es sich um ein geregeltes Verfahren handelt; dem Flüchtling garantiert sie physische Sicherheit. Neu angesiedelte Flüchtlinge müssen nicht auf Formen der illegalen Einwanderung (z. B. Menschenschmuggel) zurückgreifen. Auch bietet sie dem Land der Neuansiedlung den großen Vorteil, dass die Aufnahme und die Eingliederung vorausgeplant werden können.
Lassen Sie uns handeln und nicht länger in der Schockstarre verharren, wenn wieder in den Nachrichten darüber berichtet wird, dass 123 Personen beim Versuch, Italien über das Mittelmeer, per Boot zu erreichen, ertrunken sind.