Elke Herrmann über die Integration Behinderter am Arbeitsplatz
Redebeitrag der Abgeordneten Elke Herrmann zum Antrag “ Bessere Integration von Menschen mit Behinderungen auf dem Arbeitsmarkt“ in der 15. Sitzung des Sächsischen Landtages, 19. Mai, TOP 10
Es gilt das gesprochene Wort!
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zu einer Zeit, wo landauf landab die UN-Behindertenkonvention diskutiert wird und Begriffe wie Barrierefreiheit und Inklusion überall zu hören sind, hätte ich mir schon gewünscht, dass Sie Ihren Antrag in diese Beziehung setzen. Was Sie uns heute vorlegen, ist ein Schmalspurantrag, der zum Ziel hat bzw. die Staatsregierung auffordert, darüber zu berichten, wie man mehr Außenarbeitsplätze schaffen könnte.
Wenn man die UN-Konvention ernst nimmt, geht es um Inklusion in den verschiedenen Bereichen der Gesellschaft und um selbstbestimmte Teilhabe von Menschen mit Behinderung auch in unserer Gesellschaft, zum Beispiel: Schule, Wohnen, politische Partizipation und natürlich auch Arbeit. Inklusion ist das erklärte Ziel, und der Weg dahin sind durchaus nicht nur Außenarbeitsplätze.
Wir haben verschiedene Möglichkeiten, um Inklusion zu verwirklichen. Auch unterstützte Beschäftigung, und auch das von Herrn Pellmann angeführte Instrument der Ausgleichsabgabe kann benutzt werden, um Unternehmen anzuregen, mehr Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung zu schaffen.
Wenn wir Lebensläufe betrachten, von Menschen mit Behinderungen, sehen wir einen gewissen Automatismus. Die Bildungskarriere beginnt in der Förderschule, geht dann über den Berufsbildungsbereich in die Werkstatt für Menschen mit Behinderung, wo diese meistens bis zum Eintritt des Rentenalters verbleiben. Der Gesetzgeber formuliert aber auch an die Werkstätten eine ganz andere Aufgabe, nämlich die Vorbereitung der Mitarbeitenden auf den ersten Arbeitsmarkt.
Nach Vorstellung des Gesetzgebers sollen geeignete Beschäftigte nur für eine bestimmte Zeit in der Werkstatt tätig sein. Jetzt müssen wir uns fragen, was die Hemmnisse sind, die dazu führen, dass Menschen mit Behinderung in vielen Fällen ein Leben lang in einer Werkstatt arbeiten, ohne die Arbeit der Werkstätten – das haben die Vorredner auch schon gesagt – in irgendeiner Weise nicht hoch genug einzuschätzen.
Wo liegen nun die Hürden? Sie liegen zuerst einmal bei der Akquirierung geeigneter Außenarbeitsplätze. Wenn wir uns den Arbeitsmarkt ansehen, dann ist uns allen sicher klar, dass Arbeitsplätze, die infrage kommen, dünn gesät sind. Es spielen da nicht nur bauliche Barrieren eine Rolle, sondern die schon immer wieder zitierten Vorurteile in den Köpfen. Da wir durch unser Schulsystem unter anderem eine frühzeitige Separierung von Menschen mit und ohne Behinderung vornehmen, gibt es dann auch nur wenig Berührung im Umgang miteinander. Man weiß gar nicht, was Menschen mit Behinderung für Interessen und für ein Leistungsvermögen haben. Potentielle Arbeitgeber sind dann natürlich eher skeptisch, den Menschen mit Behinderung in ihrem Betrieb eine Arbeit anzubieten.
Wir haben das Problem, dass wir trotz sinkender Geburtenraten einen ständig steigenden Bedarf an Werkstattplätzen haben und eine strukturell angespannte Arbeitsmarktlage, die natürlich auch von den Werkstätten erheblichen Einsatz fordert, um Außenarbeitsplätze zu akquirieren. In den Werkstätten gibt es kaum Ressourcen, diese Arbeit ausreichend und zusätzlich zu bewältigen.
Dazu kommt, dass so eine Vermittlung eines Menschen auf einen Außenarbeitsplatz oder auf den ersten Arbeitsmarkt auch mit einer längeren Begleitung verbunden ist und nicht in gleicher Weise bei dem einen oder anderen Arbeitnehmer erfolgen kann. Der Unterstützungsbedarf der Personen differiert ganz erheblich.
Wir müssen bei aller Euphorie sehen – die Kollegin der FDP hat uns ja hier vorgestellt, dass behinderte Menschen mit Begeisterung auf den ersten Arbeitsmarkt tätig werden wollen -, dass das ein rosarotes Bild ist. Das ist deshalb rosarotes Bild, weil sich nicht nur Menschen mit Behinderung und die Werkstätten engagieren müssen, sondern auch wir als Gesellschaft, die wir uns zum Teil abschotten.
Was passiert denn, wenn ein Mensch mit Behinderung tatsächlich einen Arbeitsplatz auf dem Arbeitsmarkt erlangt? Damit ist noch nicht gesagt, dass seine Arbeit wertgeschätzt ist. Genauso gut kann es ihm nämlich passieren, dass seine Kollegen zum Beispiel Schwierigkeiten in der Kommunikation mit dem neuen Mitarbeiter haben, Berührungsängste vorhanden sind, der Behinderte eher an den Rand gedrängt wird und er mit dieser Arbeit nicht glücklich ist. Was passiert, wenn er seine Arbeit wegen Kündigung oder Pleite der Firma verliert? Dann ist eine Rückkehr in die Werkstatt nur sehr schwer möglich, weil sich die Person schon auf dem ersten Arbeitsmarkt bewährt hat.
Natürlich kann man sagen, dass Inklusion bedeutet, dass Risiken, die für uns alle gelten, auch für Menschen mit Behinderung gelten. Das Problem ist nur, dass Menschen ohne Einschränkungen geeignete Instrumente zur Verfügung stehen, um für den ersten Arbeitsmarkt wieder fit zu werden. Diese Instrumente stehen in der Regel Menschen mit Behinderung nicht zur Verfügung. Oder kennen Sie Umschulungsangebote, die sich auch an Menschen mit Behinderung wenden und auf die Einschränkungen eingehen, die diese Menschen haben? Kennen Sie vielleicht Angebote von Volkshochschulen für Menschen mit Behinderung?
Es gibt eine ganze Reihe von Problemen, die weder in den Werkstätten noch bei den Menschen mit Behinderung liegen, sondern bei uns als Gesellschaft.
Insgesamt habe ich ein Problem mit Ihrem Antrag, dem wir trotzdem zustimmen, denn er schadet nicht. Herr Pellmann hat es schon gesagt. Ich denke aber, dass Sie damit eine Kostenersparnis erwirken wollen, weil Plätze in der Werkstatt teurer sind, als wenn wir Menschen mit Behinderungen auf den ersten Arbeitsmarkt bringen und dann diese – leider ist das in vielen Fällen so – ihrem Schicksal überlassen.