Elke Herrmann zum Entwurf eines Sächsischen Kinder- und Jugendrechtsgesetz

Redebeitrag der Abgeordneten Elke Herrmann zum Entwurf "Gesetz zur Stärkung der Rechte von Kindern und Jugendlichen im Freistaat Sachsen" (Drs. 5/7651) in der 47. Sitzung des Sächsischen Landtages, 15.12., TOP 2
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
ich möchte Sie erinnern, dass die UN-Konvention über die Rechte von Kindern und Jugendlichen seit 20 Jahren ratifiziet ist. In Artikel 4,dieser Konvention heißt es: «Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und sonstigen Maßnahmen zur Verwirklichung der in diesem Übereinkommen anerkannten Rechte!»
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind der Meinung, dass Sachsen das bisher nur unzureichend gemacht hat und dass Sachsen vor allem in dem Bereich des
Kinderschutzes tätig geworden ist. Kinderrechte umfassen aber mehr als diese Schutzrechte. Kinder sind weder unfertig noch kleine Erwachsene, noch sind sie ausschließlich Objekte unseres Handelns. Kinder haben eine eigene Sicht auf die Dinge dieser Welt, und sie haben auch eine eigene Stimme. Höchste Zeit wird, dass wir ihnen auch in Sachsen dazu Raum geben. Unsere Aufgabe ist es, solche Bedingungen zu schaffen, dass Erwachsene und Kinder den Alltag des Aufwachsens gemeinsam gestalten können.
Deshalb legen wir Ihnen heute unseren Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Rechte von Kindern und Jugendlichen im Freistaat Sachsen vor.
Gleich an dieser Stelle möchte ich ein Wort zum Wahlalter sagen, weil das im Allgemeinen am meisten interessiert. Auch in der letzten Legislaturperiode wurde hauptsächlich das
Wahlalter diskutiert. Es ist klar, dass wir das Wahlalter senken wollen, aber ich sage Ihnen dazu: Die Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen und zur Wahl zu gehen, ist etwas, was gelernt werden muss. Es ist ein Prozess. Diesem Prozesscharakter tragen die Vorschläge in unserem Gesetzentwurf insgesamt Rechnung. Egal, ob mit 14, 16 oder 18 Jahren — Erfahrungen sind der Schlüssel zum Engagement und auch der Schlüssel zur Verantwortungsübernahme.
Solche Erfahrungen wollen wir allen Kindern ermöglichen und dies nicht dem Selbstlauf oder den Familien überlassen. Unser Ziel ist es, dass Kinder ihre Sicht der Welt ganz selbstverständlich mit uns Erwachsenen teilen.
Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Kinderblick eröffnet neue Perspektiven. Sie alle kennen das, wenn Sie sich mal bemüht haben, in die Hocke zu gehen und Ihr Zuhause aus der Perspektive von Kinderaugen anzusehen. Der Blick von Kindern kann auch für uns Erwachsene sehr anregend sein.
Die Achtung vor dem anderen Blick muss sich auch in unseren Entscheidungen spiegeln. Kinder sollen lernen können, dass es unterschiedliche Interessen gibt. Sie sollen lernen können, wie man tragfähige Kompromisse aushandelt und sich am erreichten Ergebnis erfreuen kann, ohne sich ausgeschlossen zu fühlen, weil man eine andere Meinung hatte. Solche Erfolge sind für Kinder und Jugendliche wichtig. Erfahrungen, die mit Erfolgen verbunden sind — Sie wissen das alle —‚ machen Spaß und vor allem machen sie auch Mut, es wieder zu versuchen. Auf diese Weise entwickeln Kinder und Jugendliche auch eine positive Haltung zu demokratischen Prozessen und zu unserer Zivilgesellschaft. Sie mischen sich ein und sie werden sich dann auch in Zukunft einmischen. Davon lebt unsere Demokratie.
Es hat sich eingebürgert oder es ist in letzter Zeit vor allem dazu gekommen, dass wir die Kindheit und die Jugend mit der Brille des gesellschaftlichen Nutzens betrachten. Wir klagen darüber, dass zu wenige Kinder geboren werde,und viele haben dann mangelnde Steuereinnahmen und den Rentenkonflikt im Kopf, wenn sie darüber sprechen.
Kindheit und Jugend sind aber Lebensphasen mit einer eigenen Logik, die ihre Berechtigung in sich selbst tragen. Wir brauchen eine neue Haltung zu den eigenständigen Rechten von Kindern und Jugendlichen. Kinder sind nicht nur Objekte von Zuwendungen oder Objekte unseres Handelns zu ihrem Besten. Kinder sind vor allem auch Subjekte und damit immer auf der Suche nach Partnern, die sie hören und die ihnen zuhören.
Natürlich haben zunächst die Eltern die Interessen ihrer Kinder im Blick und sie vertreten sie auch, jedenfalls die meisten. Wenn Jugendliche in Jugendparlamenten versuchen, kommunale Politik zu verstehen und Einfluss zu nehmen, ist das sicher ein guter Weg. Aber beides reicht nicht. Warum?
Wir wollen nicht nur die Fähigen beteiligen oder die, die dazu im Elternhaus motiviert werden, sondern wir wollen alle Kinder beteiligen, alle Jungen und Mädchen, Kinder mit Migrationshintergrund, Kinder mit Handicap. Viele Sichtweisen sind gefragt und sollen erlebt werden können. Wir wollen, dass Kinder und Jugendliche das Recht haben, sich selbst als Gestaltende ihres Alltags und seiner Rahmenbedingungen zu erleben, genauso wie es die UNO-Kinderrechtskonvention vorsieht. Um diesen Anspruch durchzusetzen,sind rechtliche Änderungen notwendig, die wir Ihnen heute vorschlagen.
Kernpunkte des Gesetzes sind daher die Änderungen in der Verfassung des Freistaates Sachsen, Artikel 9, zusammengefasst: Die Subjektstellung von Kindern und Jugendlichen wird hervorgehoben. Die Rechte auf Prävention und Protektion werden in der Verfassung verankert, also das Recht auf Entwicklung und Entfaltung der Persönlichkeit, gewaltfreie Erziehung, Schutz vor Gewalt, Vernachlässigung usw. Aus der Subjektstellung von Kindern und Jugendlichen leitet sich auch das Recht von Kindern und Jugendlichen ab, an allen Entscheidungen, die ihr Leben unmittelbar betreffen, beteiligt zu werden. Bei allen politischen und staatlichen Entscheidungen sind deren Folgen für Kinder und Jugendliche einzubeziehen.
Aus diesen Punkten ergeben sich weitere Änderungen, die wir vornehmen. Lassen Sie mich diese noch kurz begründen.
Kinder sind eigenständige Persönlichkeiten und der Verweis auf die Familie in der Formulierung des Elternrechts trägt diesem Anspruch nicht Rechnung und setzt darüber hinaus voraus, dass alle Kinder in Familien aufwachsen, die diesen Anspruch einlösen können. So wünschenswert das ist, es entspricht nicht der Lebenswirklichkeit. Zu viele Kinder werden dadurch ausgeschlossen. Gerade wenn Familien Probleme haben, brauchen Kinder ein soziales Umfeld, das es ihnen ermöglicht, sich trotz dieser Probleme zu entfalten. Deshalb wollen wir die Kitas stärken und wir wollen vor allem, dass sich alle Mitarbeitenden allen Kindern in der Kita zuwenden können. Wir streichen mit Artikel 5 jegliche Zulassungskriterien für Kitas aus dem Kita-Gesetz. Kitas fördern die frühkindliche Entwicklung und sie sind Bildungseinrichtungen. Sie verwirklichen das Kinderrecht auf Bildung und keinem Kind soll der Zugang verwehrt werden.
Mit der Änderung der Gemeindeordnung wollen wir erreichen, dass Kinder und Jugendliche in den Kommunen über alle Entscheidungen, die sie in besonderem Maße betreffen, unterrichtet und beraten werden. Wir regeln das auch konkreter als in der letzten Legislatur. Wir haben im Vergleich dazu nachgebessert. Wir haben aufgenommen, dass Kommunen geeignete Verfahren zur Beteiligung entwickeln müssen und dabei vom Kinder- und Jugendhilfeausschuss beraten werden können.
Konsequent ist dann auch, dass Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren Einwohneranträge und Anträge auf Einwohnerversammlungen stellen können, wenn 5 % der Einwohner zwischen zwölf und 21 Jahren diese unterzeichnet haben. Wir wollen, dass Kinder und Jugendliche das aktive Wahlrecht für Kommunalwahlen erhalten. Aber ich sage es noch einmal ganz deutlich: Eine Herabsetzung des Wahlalters allein genügt nicht.
Es ist ein Prozess und muss von vielen anderen Maßnahmen flankiert werden. Wir wollen mit dem Gesetz die Rechte von Kindern und Jugendlichen stärken. Ich bitte Sie um Überweisung an die Ausschüsse. Ich bitte Sie, den Sozialausschuss als mitberatenden Ausschuss zusätzlich aufzunehmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich auf konstruktive Auseinandersetzungen zum Gesetzentwurf in den Ausschüssen.
Danke.