Elke Herrmann zur Gesetzesnovellierung der Früherkennungsuntersuchung bei Kindern

Redebeitrag der Landtagsabgeordneten Elke Herrmann zur 2. Lesung des Entwurfs „Gesetz zur Förderung der Teilnahme von Kindern an Früherkennungsuntersuchungen“ in der 15. Sitzung des Sächsischen Landtages, 19. Mai 2010, TOP 6
Es gilt das gesprochene Wort!
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist schon gesagt worden: Wir haben uns im vergangenen Jahr bei der Diskussion zum Gesetz offensichtlich nicht ausreichend Zeit genommen. Deshalb haben wir es heute wieder auf der Tagesordnung.
Die Kritikpunkte unserer Fraktion aus der letzten Legislaturperiode sind bei der Änderung des Gesetzes nicht berücksichtigt worden. Auch die grundlegende Kritik des Datenschutzbeauftragten an der Vorgehensweise ist mit dieser Novellierung nicht aus der Welt. Das hat Herr Schurig im Ausschuss sehr deutlich gemacht. Ich begrüße den Entschluss der Koalition sehr – nachdem sie festgestellt hat, dass das Gesetz in der Praxis nicht so funktioniert, wie sie sich das vorgestellt hat –, uns die Novellierung vorzulegen und damit einzugestehen, dass es nicht vollkommen war, und im Zuge dieser Novellierung die Argumente des Datenschutzbeauftragten, nur die vorgesehenen Änderungen betreffend, aufzugreifen und umfassend umzusetzen. Deshalb habe ich mich im Ausschuss beim Änderungsantrag enthalten.
Insgesamt sind unsere Kritikpunkte am Gesetz nicht ausgeräumt worden. Es waren doch vor allem die Berichte in den Medien über Kindesvernachlässigung und Gewalt an Kindern, die sowohl den Bund als auch die Länder dazu gebracht haben, diese Gesetze auf den Weg zu bringen. Es war nicht in erster Linie der Gedanke, die Bereitschaft der Eltern zu erhöhen, Vorsorgeuntersuchungen in Anspruch zu nehmen, um auf medizinische Probleme aufmerksam zu werden. Der Ausgangspunkt war Kindesvernachlässigung. Die Frage ist zu stellen, ob mit diesem Gesetz dem Ziel Genüge getan wird.
Es gibt Untersuchungen in verschiedenen europäischen Ländern, die – ich nenne sie so – verpflichtende bzw. nicht verpflichtende Vorsorgeuntersuchungen vorsehen, die zeigen, dass eine Verpflichtung, wie wir sie hier vornehmen, nicht dazu führt, dass eine signifikante Erhöhung der Rate der teilnehmenden Kinder erreicht wird. Das heißt, wir hätten andere Mittel benutzen sollen – es gibt auch andere Maßnahmen –, um Eltern davon zu überzeugen, sich an Vorsorgeuntersuchungen zu beteiligen.
Die Koalition macht mit dem Gesetz Folgendes: Sie verwendet eine Vorsorgeuntersuchung – die ursprünglich dazu vorgesehen war, eine altersgerechte Entwicklung der Kinder zu beobachten bzw. Entwicklungsverzögerungen zu erkennen – als Nebeneffekt – so nannte es Herr Krauß –, um Kindesvernachlässigungen zu entdecken. Genau das wird nicht passieren; das wird scheitern. Wenn man den Punkt 1, Gesundes Aufwachsen der Kinder, im Auge hat, hätte man andere Mittel verwenden können, um die Akzeptanz zu erhöhen. Bei Punkt 2 stelle ich prinzipiell infrage, ob er überhaupt erreicht wird. Damit bin ich nicht allein.
Die Bundespsychotherapeutenkammer hat gesagt, dass solche Gesetze kaum geeignet sind, Missbrauch und Vernachlässigung festzustellen. „Verfügbare Screeningelemente für Regulationsstörungen, hyperkinetische Störungen, Störungen des Sozialverhaltens und Entwicklungsstörungen würden nicht eingesetzt. Dabei ist eine systematische Erhebung der emotionalen, psychosozialen und kognitiven Entwicklung des Kindes zur Erkennung von Misshandlungen und Vernachlässigung unerlässlich.“ Ich denke, darauf sind diese Vorsorgeuntersuchungen nicht ausgerichtet. Deshalb können sie uns über die gesundheitliche Entwicklung hinaus kaum Anhaltspunkte liefern, die dazu geeignet sind, Vernachlässigung von Kindern zu finden. Genau deshalb wäre eine wissenschaftliche Begleitung des Gesetzes unbedingt notwendig gewesen, damit wir erkennen können, ob das Ziel, das mit diesem Gesetz verbunden wird, überhaupt erreicht wird. Es ist schade, dass diese wissenschaftliche Begleitung, wie meine Kollegin bereits sagte, in der Novellierung nicht mehr zwingend vorgesehen ist.
Es gibt einige Bundesländer, die mittlerweile Kinderschutzgesetze in ähnlicher Form eingeführt haben. Auch dort lässt sich nicht nachweisen, dass damit mehr Fälle von Kindesvernachlässigung entdeckt bzw. aufgeklärt werden. Für diesen zweifelhaften Fortschritt nehmen wir aber in Kauf, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Eltern und Arzt erheblich beeinträchtigt werden kann, allein deshalb, weil Eltern – ob uns das passt oder nicht – Ärzte als verlängerten Arm des Jugendamtes wahrnehmen und vielleicht bestimmte Probleme, die sie mir ihren Kindern haben, nicht mehr ansprechen werden. Der Grund ist ihre Angst, dass das Jugendamt davon Kenntnis erhält. Ich nenne das Problem Schreikinder.
Weiterhin werden Eltern, die es darauf anlegen, nicht erkannt zu werden, häufig den Arzt wechseln, sodass er über keinen längeren Zeitraum die Entwicklung des Kindes verfolgen kann. Insgesamt wollen wir dafür 2,2 Millionen Büro einsetzen. Das Geld hätte an anderer Stelle besser eingesetzt werden können. Dazu kommt, dass die Gesundheitsämter nicht in der Lage sein werden, mit ihrer derzeitigen Ausstattung den Aufgaben des Gesetzes nachzukommen. Auch die Jugendämter sind, trotz der angesprochenen weiteren Unterstützung im Rahmen früher Hilfen, nicht ausreichend ausgestattet. Das wird dazu führen, dass Eltern für eine Beratung beim Jugendamt oder Beratungsstellen Wartezeiten in Kauf nehmen müssen.
Die gesundheitliche Entwicklung betreffend, müssen wir daran denken, dass wir zum Beispiel die Frühförderung entsprechend ausstatten. Wenn wir schon annehmen, dass wir gesundheitliche Beeinträchtigung stärker feststellen, dann müssen wir auch darauf reagieren und diejenigen, die die Kinder beim gesunden Aufwachsen begleiten, entsprechend ausstatten.
Wir werden das Gesetz aus den von mir angeführten Gründen ablehnen. Ich hätte mir gewünscht, dass den Bedenken aus der letzten Legislatur stärker Rechnung getragen worden wäre.
Danke.