Elke Herrmann zur gesundheitlichen Versorgung von Menschen mit Behinderungen in Sachsen

Redebeitrag der Abgeordneten Elke Herrmann zum Antrag "Gesundheitliche Versorgung von Menschen mit Behinderung in Sachsen sicherstellen" (CDU, FDP Drs. 5/7490) in der 49. Sitzung des Sächsischen Landtages, 26.01., TOP 4
Ich vermisse Handlungsschritte und Prüfaufträge, die der UN-Behindertenrechtskonvention in Sachsen zu seiner praktischen Umsetzung verhelfen
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
zunächst einmal begrüße ich, dass sich die Damen und Herren von der Regierungskoalition dem Thema gesundheitliche Versorgung von Menschen mit Behinderung widmen – ein Thema, das viele Jahre nur eine untergeordnete, eine "Sonderrolle" spielte, aber auch ein Thema, bei dem die Bezeichnung "Zweiklassensystem" als Resultat einer Praxis von ausgrenzenden Institutionen und Versorgungssystemen nicht unerwähnt bleiben sollte. Auch gerade deshalb stehen wir heute vor großen Herausforderungen.
Die Herausforderungen bestehen nicht nur darin, Barrierefreiheit herzustellen. Und damit meine ich nicht nur den Zugang zu Krankenhäusern, Arztpraxen und anderen Gesundheitseinrichtungen zu gewährleisten. Ich meine auch die Barrieren bei der Kommunikation zwischen Patient/Patientin und Ärzteschaft, die durch Unterstützung beispielsweise durch Gebärdendolmetscherinnen behoben werden können.
Ich meine aber auch die Verständlichkeit im Allgemeinen, (z.B. Hinweisschilder in Praxen und Krankenhäusern, Formulare zur Patientenaufklärung, die für die Einwilligung in medizinische Maßnahmen unerlässlich sind, Beipackzettel von Arzneimitteln…) auf die gerade Menschen mit geistiger Behinderung angewiesen sind. Als Stichworte nennen möchte ich an dieser Stelle die einfache Sprache und das universelle Design, die im Gesundheitssystem dringender als in anderen Bereichen Standard werden sollten.
Neben der soeben angesprochenen Barrierefreiheit gilt es eine weitere Hürde im Gesundheitswesen zu beheben. Es kann nicht sein, dass Menschen mit Behinderung immer noch die Sozialgerichte bemühen müssen, um Hilfsmittel, wie zum Beispiel eine Braillezeile bezahlt zu bekommen. Viel zu oft scheitert die Aufnahme oder Weiterführung eines Studiums oder einer Ausbildung, weil sich die Krankenkassen oder Sozialämter jeweils für unzuständig halten und den Antragsteller von A nach B schicken. Das ist ein Problem der Rechtsumsetzung und schließlich Resultat der unterschiedlichen Sozialgesetzbücher.
All das eben Geschilderte erscheint mir heute nicht mehr zeitgemäß. Heute, damit meine ich eine Zeit, in der sich gerade ein Bewusstseinswandel vollzieht, ja sogar von einem Paradigmenwechsel ist häufig die Rede. Menschen mit Behinderung sollen nicht mehr länger Objekte der Fürsorge sein.
Dieser Paradigmenwechsel findet seinen deutlichsten Niederschlag in der Konvention der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderung. Auch bezüglich der Gesundheitsversorgung spricht die Konvention deutliche Worte und verpflichtet die Vertragsstaaten, Menschen mit Behinderungen «das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit ohne Diskriminierung aufgrund von Behinderung» zu gewähren (Artikel 25). Außerdem besteht die Verpflichtung, den Zugang zu geschlechtssensiblen Gesundheitsdiensten zu ermöglichen. Zudem ist dafür zu sorgen, dass behinderten Menschen dasselbe Angebot, dieselbe Qualität und derselbe Standard an kostenloser oder bezahlbarer Gesundheitsversorgung zur Verfügung stehen, wie dies für nicht behinderte Menschen der Fall ist.
Dabei ist die Herstellung von Barrierefreiheit von allen medizinischen Einrichtungen und Diensten und Kommunikationsmitteln eine Schlüsselaufgabe. Gerade für den Bereich der Praxen von niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten besteht jedoch nach Angaben von Betroffen noch ein erheblicher Handlungsbedarf bei der Umsetzung.
Und nun komme ich zu meinem Hauptkritikpunkt. Ich vermisse bei dem vorliegenden Antrag deutliche Worte. Ich vermisse Handlungsschritte und Prüfaufträge, die den Paradigmenwechsel der Konvention aufgreifen und in Sachsen zu seiner praktischen Umsetzung verhelfen. Anlass für Ihren Antrag – meine Damen und Herren von der Regierungskoalition – so steht es in der Begründung ist nur die Erkenntnis, dass aufgrund «verbesserter medizinischer Möglichkeiten und der Steigerung der Lebenserwartung im Generellen» in Zukunft mehr Menschen mit Behinderungen gesundheitlich zu versorgen sind.
Mal ganz ehrlich: ein bisschen mehr Tiefgang und Gestaltungswille wäre doch sicherlich auch bei Ihnen möglich gewesen. Dann frage ich mich natürlich, wie kommt es dazu, wie kann es sein, dass Sie so einen Antrag, der keinerlei Bezug zu elementaren Aussagen der UN-Behindertenrechtskonvention herstellt, dem Parlament zur Abstimmung vorlegen?
Eine Erklärung fällt mir sofort ein: Ihr andauernder Verzicht auf einen Landesaktionsplan oder Maßnahmeplan zur Umsetzung der in der Konvention verbrieften Rechte führt dazu, dass Sie deren Inhalte schlicht und ergreifend vergessen.
Der Antrag hinterlässt jedoch bei mir noch weitere Fragezeichen: Es soll geprüft werden, «inwieweit die Gründung sektorübergreifende regionale Netzwerke von ambulanten und stationären Leistungen etabliert» werden kann. Was heißt das? Worin genau sieht die Staatsregierung ihre Rolle, bzw. wofür will sie hier Verantwortung übernehmen? Das wird mir und sicherlich auch einigen anderen meiner Kolleginnen und Kollegen nicht klar. Frau Clauß, sicherlich können Sie für Aufklärung sorgen.
Was ich mich auch frage: Wann können wir denn mit den ganzen Darlegungen und Prüfergebnissen rechnen? Auch diesbezüglich schweigt der Antrag.
Schließlich wurde im Punkt römisch drei gleich noch ein weiterer Themenkomplex verwurstet, der originär nicht wirklich etwas mit Gesundheitsversorgung zu tun hat, nämlich das Konzept des Landespflegeausschusses über Lebens- und Wohnformen von Menschen mit Behinderung im Alter. Das ist ein wichtiges Dokument, das dringend diskutiert werden muss und das ein planvolles und zielgerichtetes Handeln zur Versorgung der zahlenmäßig größer werdenden Gruppe von älteren Menschen mit Behinderung ermöglichen soll und dabei auch den Paradigmenwechsel der UN-BRK aufgreift.
Wenn wir die entsprechenden Weichen schon jetzt stellen, ersparen wir uns das große „Ach“ und „Oh“ in 10 Jahren, das uns derzeit allerorts zum Beispiel bei dem großen Thema Lehrermangel begegnet.
Wir brauchen also kein längeres "Tappen im Dunkeln", sondern zukunftsweisende Konzepte auch für die Gesundheitsversorgung von Menschen mit Behinderung. Frau Clauß, wachen Sie endlich auf! Lassen Sie nicht länger Dinge einfach passieren, sondern nehmen Sie Ihren Auftrag als Ministerin, das politische Geschehen zeitgemäß zu gestalten endlich ernst.