Enquetekommission ärztliche Versorgung – Kuhfuß: Probleme sind bekannt, es braucht nur den Umsetzungswillen

Redebeitrag der Abgeordneten Kathleen Kuhfuß (BÜNDNISGRÜNE) zum Antrag der Fraktion AfD: „Einsetzung der Enquetekommission ‚Sicherstellung der ambulanten ärztlichen Versorgung im Freistaat Sachsen’“ (Drs 7/10134)
53. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 13.07.2022, TOP 7

Sehr geehrte Frau Präsidentin,
sehr geehrte Damen und Herren,

können Sie sich noch an die Enquete Pflege erinnern? Ich war nicht dabei, habe aber zu Beginn der Legislatur ein dickes Buch gefunden mit 43 vorgeschlagenen Maßnahmen zur Pflege in Sachsen auf über 400 Seiten. Eine einzige davon haben wir in dieser Legislatur im Parlament gehabt, andere Empfehlungen haben sich schier erledigt, weil Corona mit seiner gigantischen Übersterblichkeit von hochaltrigen Menschen leider zu vielen freien Betten in Pflegeheimen geführt hat, statt zu einem Bettenmangel.

Aber stellen wir uns mal die Frage: Was könnte uns eine Enquetekommission bringen?

Erstens vielleicht einen Erkenntnisgewinn: Wir erhalten wahrscheinlich wieder eine Reihe von Empfehlungen. Aber die Probleme des Bereiches sind doch bekannt, erforscht und sie werden sogar in Ihrem Antrag teilweise benannt, wie beispielsweise:

  • die mangelnde Vereinbarkeit von Familie und Beruf im ärztlichen Bereich
  • die fehlende Delegation von ärztlichen Leistungen
  • oder zu wenig Engagement im Bereich der kommunalen medizinischen Versorgungszentren

Was kann man von einer Enquete noch erwarten?

Zweitens vielleicht die Sensibilisierung auf den politischen Ebenen, dass es ein Problem gibt!
Schauen wir in den Bund, dort ist das Problem erkannt und im Koalitionsvertrag u.a. die sektorenübergreifende Versorgung oder regelhafte telemedizinische Leistungen vereinbart. Die Gesundheitsregionen sollen gestärkt werden.

Auch auf der Ebene der Kassenärztlichen Vereinigung ist klar, dass sie einen Sicherstellungsauftrag hat und die vertragsärztliche Versorgung gewährleisten muss. Sie müsste in unterversorgten Regionen Eigenpraxen betreiben und Ärzt*innen und medizinisches Fachpersonal anstellen. Aber auch die Kassenärztliche Vereinigung kann die erforderlichen Fachkräfte nicht herzaubern. Daher kündigt der Bund auch hier an, gemeinsam mit den Kassenärztlichen Vereinigungen die Versorgung in unterversorgten Regionen sicherzustellen.

Auch unsere Kommunen wissen, dass sie in kommunalen medizinischen Versorgungszentren Ärzt*innen anstellen können, die dazu beitragen können, dass gerade im ländlichen Raum, Mediziner*innen ohne eine Niederlassung und damit ein unternehmerisches Risiko arbeiten können.

Es ist also nicht so, dass es kein Bewusstsein gibt, dass es hier neue Lösungen braucht. Auch hier lässt sich nicht erkennen, wie uns eine Enquete weiterhelfen soll.

Drittens vielleicht dient die Forderung nach einer Enquete ganz anderen Zielen?

Lassen sie uns doch mal tief in die Moral des Antrages kriechen. Unter Römisch III. 8. steht: „Sicherstellung des Ausbildung- und Kenntnisstandes, der Sprach- und Verständigungsfähigkeiten sowie die Behandlungsqualität von zugewanderten Ärzten insbesondere aus Drittstaaten“. Hier zeigt sich doch des Pudels Kern Ihres Antrages: Ihr menschenverachtendes Bild gegenüber allen Menschen, die nicht rein deutsch sind oder keine Ahnung haben, was man im Erzgebirge mit einem „Immeringfatzlampel“ meint.

Anstelle einer Willkommenskultur unterstellen Sie, dass die Arztausbildung in anderen Ländern weniger wert ist und wir als Deutsche uns besser nicht von Ärzt*innen aus aller Welt behandeln lassen sollten.

Selbst wenn ich nicht den Luxus hätte, in einer Partei aktiv zu sein, in der die Zusammenarbeit mit Rechtspopulisten und Rechtsextremisten ausgeschlossen ist, wäre hier der Punkt, wo mein Verstand und mein Herz sagen: „Pfui Teufel“!

Wir haben über 3.000 Ärzt*innen mit Migrationshintergrund in Sachsen, die täglich mit dazu beitragen, die Versorgung sicherzustellen. Leider sinkt die Zahl dieser Mediziner*innen und ein Grund sind SIE mit Ihrem Gift des Hasses und der Ausgrenzung. Ich verstehe die Medizinerfamilien aus dem Nahen Osten oder Osteuropa, die ihre Kinder nicht in einer Kleinstadt aufwachsen sehen wollen, in der jeder Nichtdeutsche von Ihnen zum „Freiwild“ erklärt wird.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass eine Enquetekommission „ambulante Versorgung“ die Probleme nicht angeht, sondern nur vertagt. Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind bekannt und benannt. Es braucht den echten politischen Willen und eine Verzahnung der Maßnahmen auf kommunaler, Landes- und Bundesebene.

Wir als BÜNDNISGRÜNE sind Mitten in dieser Krise in die Regierungsverantwortung innerhalb der Koalition gekommen. Die Entwicklungen der vergangenen 30 Jahre, Privatisierung der Krankenhäuser, kaum Anreize für Landärzt*innen und letztendlich das Ignorieren der demografischen Entwicklung und damit der drohende Fachkräftemangel können wir nicht innerhalb einer Legislatur wegzaubern. Was wir aber können, ist den notwendigen politischen Willen auf allen Ebenen formen und Schritt für Schritt den Weg aus dem Dilemma suchen:

  • ein konkreter Schritt des vergangenen Jahres ist das „Landarztgesetz“, welches wir hier beschlossen haben. Im Herbst starten die ersten 50 Student*innen ihr Medizinstudium. Sie werden perspektivisch als Hausärzt*innen in unterversorgten Regionen arbeiten. Dies ist allerdings keine Adhoc-Maßnahme, sondern wird erst in etwa zehn bis elf Jahren Wirkung zeigen
  • ein weiterer großer Schritt ist die Novellierung des Krankenhausgesetzes und die damit verbesserten Rahmenbedingungen für eine sektorenübergreifende Versorgung
  • sinnvoll und pragmatisch ist die schnelle Befassung mit dem Strategiepapier: „20 Maßnahmen zur nachhaltigen Sicherstellung einer bedarfsgerechten medizinischen Versorgung im Freistaat Sachsen bis 2030“, welche im Juni 2019 von der damaligen Staatsregierung beschlossen wurde. Die Maßnahmen brauchen ein Update und ein langfristiges, wie auch finanzielles Bekenntnis, um beispielsweise den Studiengang Humanmedizin auch nach 2024 am Standort Chemnitz anzubieten

Den Antrag zur Enquetekommission lehnen wir ab. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!